02.09.2024

Wonderland's War

 

‚We’re all mad in here‘ ist nicht nur eins der bekanntesten Zitate aus Lewis C. Carolls‘ "Alice im Wunderland", sondern auch das Motto hinter dem auf der Romanvorlage basierenden Spiel Wonderland's War. Alleine die Prämisse hinter dem Spiel ist eigentlich zu abgedreht, um zu funktionieren: Bag Building à la Quacksalber trifft auf Area Control auf gehobenem Kennerspiel-Niveau? Klappt das oder bleibt der Hype bei der schönen Optik hängen?


Wonderlands War ist ein Area Control-Spiel von Tim Eisner, Ben Eisner und Ian Moss für 2-5 Spieler*innen ab 13 Jahren und dauert circa 45-125 Minuten.

[Spielmaterial: Schöner geht’s nicht]

Wenn Wonderland's War auf dem Tisch liegt, bleiben alle stehen. Und das egal ob normale Retail- oder Kickstarter-Deluxe-Version. Das opulente und kunterbunte Brett alleine macht schon viel her (und benötigt übrigens ziemlich viel Tisch-Platz), dazu kommen noch die verschiedenen Spielfiguren, die im Basisspiel Papp-Aufsteller sind, und andere Elemente wie Plastik-Schlösser, Holz-Meeple. Und jede. Menge. Chips.

In Punkto Tischpräsenz hat das Spiel also die volle Punktzahl verdient – auch, weil das Design den perfekten Spot zwischen Nutzerfreundlichkeit und optischer Brillanz trifft. Ein wenig dauert es gerade bei der ersten Partie entsprechend auch, das Spiel überhaupt erstmal aufzubauen. An der Stelle auch ein dicker Daumen runter, dass ein Spiel dieser Komponentendichte über exakt kein Inlay verfügt. Für einen Kaufpreis von knapp 100 Euro ist das einfach frech.


[Spielablauf: Irrer Mechanik-Mix]

Zitat eines Mitspielenden: „Ich habe so viel von dem Spiel gehört und auch richtig Lust darauf, aber wirklich keine Ahnung, wie es funktioniert.“ Und tatsächlich lässt Wonderland's War auf den ersten Blick recht wenig Rückschlüsse darüber ziehen, was hier gleich passieren wird. Zunächst erhalten alle Spieler*innen jedenfalls einen der fünf im Grundspiel enthaltenen Charaktere: Alice, den Hutmacher, die Grinsekatze, den Jabberwocky oder die Herzkönigin.

Dazu gibt es jeweils ein Tableau, ein Start-Chip-Set, teils eigene Zusatz-Elemente wie die Gift-Tokens beim Jabberwocky und Burgen, Tokens und Meeple der entsprechenden Farbe. Steht das einmal, kann es nach einer kleinen Auslagen- und Brett-Vorbereitung losgehen.

Gespielt wird Wonderland's War über drei Runden, wobei jede Runde aus einer Teeparty- und einer Kriegsphase besteht. Nach drei Runden gewinnt der Wunderländer mit den meisten Siegpunkten. Was in diesen beiden Phasen passiert, ist dabei ziemlich spannend in seiner Kombination aus bekannten Mechanismen.


[Die Teeparty: Schnappt eure Lieblingsaktionen]

Losstarten und Tee trinken – das ist bei jeder Runde die erste Aufgabe der Spieler*innen. Dafür gehen sie am schön mit Karten gedeckten Tisch entlang und picken sich reihum eine Aktion in Form einer der Karten aus. Bedeutet: Figur auf das Feld am Tisch-Rondell stellen, das die Karte der Wahl beinhaltet, Aktion ausführen, Karte nehmen, nächste Person. Das geht so lange weiter, bis alle Spieler*innen vier Karten ausgewählt haben.

Die Karten können dabei ganz unterschiedliche Aktionen auslösen:

  • Wunderländer aus der offenen Auslage nehmen. Alle Wunderländer haben eigene Aktionen und Möglichkeiten und sind entweder in Form von Chips im Beutel oder in Form von Figuren auf dem Brett vertreten.
  • Chips in den Beutel legen. Auch hier haben alle Basis-Tokens unterschiedliche Fähigkeiten. Diese sind wie bei Quacksalber in verschiedenen Versionen enthalten, im ersten Spiel wird das Spiel mit Effekt A empfohlen.
  • Anhänger in den Regionen platzieren – denn nur mit mindestens einem eigenen Token pro Region dürft ihr beim dortigen Kampf teilnehmen.
  • Splitter abwerfen – jeder Splitter ist am Ende ein Minuspunkt
  • Wahnsinnschips abwerfen – so könnt ihr euren Beutel optimieren

Das Besondere: Felder, auf denen eine Karte genommen wurde, werden erst wieder aufgefüllt, wenn eine Person den Tisch umrundet. Zurückgehen dürft ihr hier übrigens nicht. Kommt ihr wieder am Kopf des Tischs an, müsst ihr den Splitterwürfel werfen und entsprechend viele Splitter zu euch nehmen. Das schränkt die Bewegung angenehm ein.

Zieht eine Person die letzte Karte, stellt sie ihren Anführer in eine der fünf Regionen, die den Tisch umgeben. Der Kampf kann beginnen.


[Der Krieg: Jetzt geht’s um den Beutel]


Sind die Vorbereitungen durch die Teeparty erst abgeschlossen, nimmt Wonderland's War so richtig Fahrt auf. Denn nun kommen alle zuvor erworbenen Aktionen, Fähigkeiten und Chips zum Einsatz. Dafür werden nacheinander alle fünf Regionen erkämpft. Und das im Mix aus klassischem Area Control und wildem Beutel-Brimborium.

Bei jeder Region wird dafür zunächst überprüft, wer hier wie viele Präsenzen – also Wunderländer, Schlösser oder seinen Helden – hat. Auf Basis dieser Präsenzen wird der Kampfwert aller anwesenden Spieler*innen für diese Region bestimmt, der über eine Leiste auf dem Brett angezeigt wird.

Nun kommen die Chips zum Einsatz: Alle Kampfbeteiligten ziehen einen Chip aus ihrem Beutel und lösen dessen Effekt aus bzw erhöhen ihren Kampfwert. Die Chips können dabei ganz unterschiedliche Effekte auslösen, je nachdem mit welcher Seite gespielt wird und welche besonderen Wunderländer bei den Spieler*innen ins Team gewechselt sind. Zum Beispiel werden so die anschließend gezogenen Chip-Werte verdoppelt oder es dürfen über die ‚Schmiede‘-Funktion neue Funktionen auf dem eigenen Tableau freigeschaltet werden.

Nun haben alle Spieler*innen die Wahl: Möchten sie einen weiteren Chip ziehen oder steigen sie aus? Ganz ähnlich wie bei Quacksalber kann es nämlich auch bei Wonderland’s War dazu kommen, dass die wilde Zieherei ein plötzliches Ende findet. Was bei den Quacksalbern der Knoblauch ist, ist hier nur der Wahnsinn. Pro gezogenem Wahnsinn muss eine der eigenen Präsenzen aus der Region entfernt werden – sind keine mehr vorhanden, ist man automatisch aus dem Kampf ausgeschieden.

Der Kampf geht nun so lange weiter, bis entweder alle ausgestiegen oder wahnsinnig geworden sind oder nur noch die Person mit den meisten Punkten übrig geblieben ist. Der Gewinner oder die Gewinnerin bekommt dann die Siegpunkte der Region (die sich übrigens je nach Runde und Region unterscheiden) und darf – wenn noch nicht zuvor geschehen – ein Schloss platzieren, das eine dauerhafte Präsenz ist.

Übrigens haben auch die Spieler*innen etwas von dieser Aufregung, die selbst nicht im Kampfgeschehen beteiligt sind: Pro Kampf dürfen alle Zuschauer*innen zu Beginn eine verdeckte Wette abgeben, wer diesen Kampf gewinnen wird. Wer richtig liegt, erhält einen Chip seiner Wahl in den Beutel – wer falsch tippt, bekommt einen Splitter. Mitgejubelt werden darf also auch.

[Das große Finale: Punkte, Punkte, Punkte]

Nach drei Runde voller hitziger Duelle und nicht weniger hitzigen Teepartys kommt es zur großen Auszählung der Siegpunkte.

Schon während des Spiels konnten die Spieler*innen bei den einzelnen Kämpfen Punkte sammeln, die sie direkt auf der Punkteleiste vorrückten. Zusätzlich gibt es in dieser letzten Wertung Punkte für errichtete Schlösser und erfüllte Auftragskarten, die man während der Teeparty sammelt und in den Schlachten erfüllt. Diese individuellen Punktekarten beziehen sich zum Beispiel auf bestimmte Präsenzen in bestimmten Gebieten oder das Landen auf einer bestimmten Stärkezahl.

Jeder Splitter ist am Ende je ein Minuspunkt - und die Person mit den meisten Siegpunkten ist neue*r Herrscher*in des Wunderlandes!

[Fazit: Da klettern wir alle Alice gerne hinterher]

Wonderland’s War ist einer der großen Hype-Titel der letzten Jahre – bei dieser Optik lag die Gefahr für eine generische Überproduktion ziemlich hoch. Doch was hier an Spielmechaniken, Immersion und Möglichkeiten zusammengewürfelt wird, ist beinahe so genial wie die legendäre Romanvorlage dahinter.
Was Wonderland’s War so besonders macht:

  • Das Bagbuilding-Element ist hier super elegant gelöst und sorgt dennoch für Spannung, Nervenkitzel und ein angenehmes Zufallselement. Letzteres muss man natürlich mögen, doch gerade auf diesem Spielniveau lassen viele Spiele dieses Element hinter sich und ebnen damit den Weg für das Problem, dass immer die Spieler*innen mit der meisten Erfahrung gewinnen. Hier geht das kaum.
  • Die Wetten sind die Würze! Denn statt nur zu warten, bis der eigene Kampf startet, sind immer alle Spieler*innen aktiv eingebunden.
  • Wiederspielwert dank massig Content. Durch die vielen asymmetrischen Funktionen der vier Figuren, den individuellen Auftragskarten und der unzähligen Wunderländer und Effekt-Variationen steckt in der Basis-Box bereits genug Stoff für viele Reisen ins Wunderland. Und das, obwohl das Spiel eigentlich schon in der einfachsten Version brilliert.


Kurzum: Wonderland’s War ist eine wahnwitzige Empfehlung für alle, die ihre Kenner-Spiele nicht bis in die letzte Wahrscheinlichkeit durchrechnen möchten, sondern auch einfach mal dem Zufall die Hand reichen möchten. Nur ein kleiner Tipp: Für Erstpartien mit vier oder gar fünf Spieler*innen sollte ordentlich (circa 4 Stunden) Zeit eingeplant werden. Zu dritt funktioniert es aber bestens.

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Wonderland's War von Tim Eisner, Ben Eisner und Ian Moss
Erschienen bei Mirakulus
Für 2-5 Spieler in 45-120 Minuten ab 13 Jahren
Boardgamegeek-Link

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sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Mirakulus)

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