30.08.2024

Ierusalem: Anno Domini


Devir Games ist durchaus für unkonventionelle Themen bekannt. Ob nun rote Kathedralen, weiße Burgen, Kompositionen oder Waldgeister bis hin zu Salzseen. Und nun schnappte man sich einfach eine der bekanntesten Szenen des neuen Testaments - das letzte Abendmahl - und formte einen Euro-Titel drum herum. Und ich muss sagen, mein erster Gedanke war zwiegespalten, denn es ist ja bekannt, dass man Streitereien am besten dann verhindert, wenn man nicht über Politik, Kinder, Geld oder eben Religion spricht. Ein Brettspiel mit religiösem Hintergrund, da befürchtet man erstmal etwas Missionarisches, das in einem Spiel versteckt wird. Tatsächlich ist Ierusalem: Anno Domini durchaus thematisch aufbereitet – bspw. tauchen in der Anleitung Bibelzitate auf und die Handlungen im Spiel haben einen thematischen Hintergrund – aber nie missionarisch oder mit dem Wunsch, die Spielenden in irgendeiner Form zu bekehren. Sondern ganz im Gegenteil: Spielerisch kann man das Spiel rein mechanisch angehen und hat davon keinerlei Einbußen, aber dazu später mehr.


Zwiegespalten war ich dann auch hinsichtlich des Materials. Bitte nicht falsch verstehen, das Material ist durchaus schick und wertig. Die vielen Holzkomponenten machen haptisch absolut was her und alles (vor allem das Spielbrett) ist toll gestaltet. Aber zum einen liegen Stickerbögen mit unzähligen Stickern bei, die man natürlich ignorieren kann…aber will man das? Nein, man klebt die Dinger eben auf. Auf die Ressourcen natürlich auch noch beidseitig (auf die Jünger aber schrägerweise nicht) und da diese ausgeformt und irgendwie nicht regelmäßig sind, quält man sich eigentlich durchs Kleben länger durch, als zwei Partien des Spiels dauern. Nun ja. Und ob zum anderen es wirklich eine Dornenkrone als Rundenmarker gebraucht hätte, darf auch jede/r für sich selbst entscheiden. Ja, passt zum Ausgang des letzten Abendmahls aber….wie schon gesagt: nun ja.

Schauen wir also mal auf das Spiel an sich. Unser persönliches Ziel ist es, „unsere“ Jünger möglichst nah an die Tafel des letzten Abendmahls zu bekommen und noch dazu möglichst nah an Jesus heran und auf keinen Fall hinter Judas (denn das gibt Minuspunkte). Parallel dazu versuchen wir, sieben Gleichnis-Plättchen zu erhalten, denn dieses Set-Collection Element bringt am Ende ordentlich Extrapunkte. Um unsere Jünger in die Nähe der Tafel zu bekommen, müssen wir sie über Kartenaktionen zuerst an einen der vier Orte des Spiels schicken, wo sie uns dabei helfen, Ressourcen oder neue Karten zu erhalten. Die ausgespielten Karten legen wir jedoch nicht einfach ab, sondern dürfen sie in den drei Spalten unseres Playerboards sammeln. Auf dem Spielplan warten nämlich noch die Apostel, auf dass sie einen Platz an der Tafel zugeordnet bekommen. Jeder der 12 Apostel ist einer von drei verschiedenen Ortskombinationen zugeordnet (die wiederum aus drei Orten bestehen). Habe ich auf meinem Board Karten liegen, die eine der drei Ortskombinationen in der richtigen Reihenfolge aufzeigen, so darf ich diese gegen einen Besuch beim Apostel eintauschen, bekomme einen Bonus und darf entscheiden, wo sich dieser an die Tafel setzt. Das ist spielentscheidend, doch dazu gleich mehr. Anschließend darf ich noch eine Karte kaufen und darf wieder auf fünf Handkarten aufziehen. So wird gespielt, bis der Dornenkrone-Marker das Spiel-Ende-Feld erreicht hat oder aber jemand seinen letzten Jünger an der Tafel platziert hat.


Um diese an der Tafel zu platzieren benötige ich eine Karte mit der entsprechenden Aktion und Jünger an den erwähnten Ressourcen-Orten. Ich nehme nun dort einen weg und platziere ihn auf einer Stelle an der Tafel, die ich mir auch leisten kann. Jedes Feld hat nämlich unterschiedliche Ressourcenkosten, damit ich dort eine Figur einsetzen kann. Im Gegenzug dazu bringen die Felder neben den erwähnten Siegpunkten zum Teil auch Sonderboni, wie bspw. die bereits erwähnten Gleichnisse. Die Siegpunkte hängen davon ab, hinter welchem Apostel mein Jünger steht und in der wievielten Reihe (1 Punkt weniger pro Reihe).
Neben den beiden genannten Aktionen, meine Jünger zum Arbeiten oder an die Tafel zu schicken, bringen die Karten noch weitere Aktionen mit sich: so kann ich hierüber ebenfalls Gleichnissen lauschen, anderen Spielenden einen Gefallen erweisen (jemand anderes bekommt etwas und ich bekomme dafür Siegpunkte und eine Karte von einem besonderen Stapel), einen meiner Jünger an der Tafel kostenlos umplatzieren, den Markt (Ressourcen- oder Karten kaufen) oder Tempel (neue Jünger gegen Geld zum Arbeiten schicken) nutzen, Ressourcen bekommen, meine Karten auf dem Tableau neu sortieren oder den Rundenmarker weiterschieben.


Hat die Dornenkrone bestimmte Felder erreicht (jedes 2.), werden kleine Zwischenwertungen ausgelöst und hat der Marker das Ende erreicht, wird gewertet: Alle Jünger-Punkte und die Punkte für die Gleichnis-Kollektion werden addiert und Gabenplättchen (die man während des Spiels sammelt) und mein nicht eingelöstes Erleuchtungsplättchen (quasi eine Art Joker) geben noch Punkte. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt. Im Spiel zu zweit und Solo gibt es ein paar Sonderregeln. Hier sind viele Plätze bereits durch Jünger der Nichtspielenden-Farbe belegt. Dafür darf ich meine Jünger auf von den neutralen Jüngern besetzte Felder stellen. Diese neutralen Jünger landen in meinem Vorrat und ich darf sie später wieder einsetzen oder auch umsetzen. Im Solo-Modus spielt man zudem gegen eine leicht zu steuernde Automa und statt der Zwischenwertungen kommen hier besondere Plättchen zum Einsatz, die das Spielfeld ein wenig aufmischen.


Soweit die Regeln von Ierusalem: Anno Domini in Kurzform. Alles im Kern recht übersichtlich und auf Kenner-Niveau. Das Fazit gestaltet sich etwas schwieriger. Ja, das Thema ist unverbraucht und durchaus mutig und irgendwie ein Tanz auf der Rasierklinge. Aber, die Mechaniken sind hier dann doch so simpel und einfach und so sehr auf Ressourcen- und Set-Sammeln ausgerichtet, dass einem das Thema nach 5 Minuten völlig egal ist. Auch hilft das Thema leider nicht beim Erklären der Regeln (denn wieso sind es „meine“ Jünger und wieso müssen sie erst an einen See, bevor sie an die Tafel dürfen? Wieso muss man Fische und Steine als Eintritt bezahlen? Etc.). Gut, sei’s drum. Viele Euros haben nur zum Schein ein Thema und können trotzdem sehr gut sein.
Ich will damit nicht sagen, dass Ierusalem: Anno Domini ein schlechtes Spiel ist. Ist es nicht. Alles funktioniert und lässt sich relativ schnell runterspielen. Aber, ich muss schnell Ressourcen sammeln und meine Jünger schnell hinter die Apostel bringen. Durch die ohnehin wenigen Ressourcen hab ich in der Regel keine Wahl, wohin ich sie setzen möchte, sondern muss nehmen, was ich zahlen kann, sonst haben die anderen Mitspielenden all ihre Jünger eingesetzt und das Spiel endet und mir gehen faktisch Siegpunkte durch die Lappen. Da bleibt keine Zeit, sich eine Strategie zurecht zu legen und diese zu verfolgen. Selbst taktisch lässt sich hier wenig machen. Ich habe x Ressourcen, dafür kann ich diesen oder jenen Platz besetzen, beim ersten bekomme ich einen Punkt mehr, alles klar. Man nimmt, was man bekommt, oft ohne nachdenken zu müssen. Hinzu kommt das etwas frickelige Einsetzen der Jünger auf dem Board. Durch die aufrecht stehenden Apostel sieht man oft nicht alle Boni auf den freien Plätzen auf den ersten Block, was ein wenig nervt. Nicht schlimm, aber eben doch etwas störend.

Und so hinterlässt Ierusalem: Anno Domini einen „ok-en“ Eindruck. Man kann es spielen und es funktioniert alles, aber weder fordert es die grauen Zellen noch macht es irgendwie besonders viel Spaß oder reißt einen mit seinem Thema mit. Ich finde es nicht schlecht und die gespielten Partien waren nett, aber es hat mich persönlich eben nicht vom Hocker gehauen.
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Ierusalem: Anno Domini von Carmen García Jiménez
Erschienen bei Strohmann Games
Für 1 - 4 Spielende in 90 Minuten ab 12 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Strohmann Games)
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