02.07.2024

Tiny Epic Crimes Deluxe + Kingpins


Die Tiny Epic Reihe ist ja nun wahrlich keine Neuheit in unserer Brettspielblase. Doch trotz des grundsätzlichen Interesses meinerseits, schaffte es noch kein Spiel hiervon auf meinen nicht vorhandenen Brettspieltisch. Warum das so ist, kann ich gar nicht sagen. Aber vermutlich liegt das daran, dass die Titel gar nicht so medial präsent sind, auch wenn es mittlerweile wirklich viele davon gibt. Aber genug gefachsimpelt und hin zum eigentlichen Thema. Denn nun hat es ja endlich ein Spiel der Reihe auf meinen Esstisch geschafft und noch dazu direkt mit allem drum und dran, was heißt, mit Mini-Erweiterung, mit „großer“ Erweiterung und mit Notizblöcken (gut, letztere sind eher lustiges Beigebsel).


Und ich muss sagen, ich bin echt erstaunt, was alles in so eine kleine Schachtel passt. Und ich frage mich auch, wie man das um Himmelswillen wieder alles so schön ordentlich dort hinein bekommen soll. Aber völlig egal, die beiden Schachteln sind picke-packe-voll mit Material und das bedeutet hier vor allem Karten und Meeple, aber sogar ein Stoffsäckchen hat es in die Box geschafft. Was ich ursprünglich insgeheim ein wenig erhofft hatte, war ein Krimi-Deduktionsspiel im Taschenformat. Nach dem Lesen der wirklich gut geschriebenen Regeln dachte ich dann aber, dass wir hier eher Cluedo ohne Würfeln (ok, ich dachte „Cluedo in cool“) hätten. Nach dem Spielen der ersten Partie war mir klar, dass es eher letzteres als ersteres ist. Und nach vielen Partien weiß ich: nicht mehr ohne die Erweiterung.

Aber kommen wir erstmal zu den eigentlichen ToDos im Spiel: Wir beginnen damit, uns unsere Stadt aus 25 quadratischen Kärtchen zusammen zu bauen. Einziger Fixpunkt ist dabei das Hauptquartier, das immer exakt in der Mitte liegt. An die obere und linke Kante des Stadtplans legen wir noch die Zahlen von 1 bis 5 als Koordinatensystem und zudem Token für Zeugen (links) und Informanten (oben). Auf den Stadtkärtchen ist fast immer auch ein weiteres Symbol abgedruckt, das uns zeigt, was man hier machen kann und auf viele davon werden ebenfalls passende Plättchen gelegt. Dazu kommt eine Zeitleiste auf der Events sowie das Spielende getriggert werden sowie das erwähnte Beutelchen voller Gangster-Meeple in drei Farben. Wer mitspielt bekommt ein eigenes Tableau (ok, es ist eine größere Karte), einen Meeple für die Zeitleiste, ein Auto-Meeple für den Stadtplan und ein Abzeichen-Token zum Abtragen des eigenen Rangs (schaltet später Sonderboni frei). Nun schnappen wir uns den Stapel der Verdächtigen, mischen ihn gut durch und ziehen daraus eine Karte, die wir ohne Anschauen in den Mörder-Umschlag stecken. Unsere Mission ist nun klar: Findet heraus, wer der Mörder ist. Dies kann man nun konfrontativ, kooperativ oder auch solo machen.


Und das geht so: Wir sind abwechselnd an der Reihe. Wer dran ist darf, wenn man möchte, auf dem Stadtplan umher fahren. Jedes Feld, dass man sich bewegt, kostet eine Zeiteinheit. Danach darf man eine Aktion durchführen, die ebenfalls Zeit kostet. Nach diesen beiden Tätigkeiten rückt man den eigenen Marker auf der Zeitleiste vor und prüft, ob ein Event getriggert wurde und führt dies aus und anschließend würfelt man neue Gangster, die den Plan bevölkern. Die Aktionen, die man ausüben kann, hängen immer von der Tageszeit (Tag oder Nacht) ab, die durch das Feld des eigenen Markers auf der Zeitleiste angezeigt wird. Man kann also nie alles machen. Unabhängig von der Tageszeit kann man immer Gangster einsperren (= den Meeple entfernen) oder eine Kaffepause (= nichts) machen. Tagsüber kann man Verstärkung rufen (= alle Gangster auf allen benachbarten Feldern einsperren), einen Informanten fangen (= Gangster entfernen und den Informanten-Marker der entsprechenden Zeile sammeln) oder einen Suchmarker aufsammeln (hier steht auf der Rückseite, ob es erfolgreich war oder nicht). Nachts kann man Zeigen vernehmen (= Gangster entfernen und den Zeugen-Marker der entsprechenden Spalte sammeln), Überwachungsmarker sammeln (= eine Anzahl Zeit wetten und schauen, ob man die Zahl auf der Rückseite des Tokens überboten hat, um ihn sammeln zu können) oder einen Gangster festsetzen (zwei getrennte Aktionen, die einen Marker bringen). In der kooperativen Variante gibt es keinen Tag-Nacht-Rhythmus, dafür ist aber jede/r Mitspielende in seinen grundsätzlichen Aktionsmöglichkeiten dauerhaft beschränkt.


Und vielleicht scheint es schon durch: Wir sammeln Marker und zwar fünf verschiedene Arten. Bei all diesen Markern gibt es bestimmte Schwellenwerte, die gemeinsam erreicht werden müssen (in der Regel 5 Stück, außer beim Solo/2er-Spiel, da gibt es nur je 3 Zeugen/Informanten). Jede Markerart schaltet bei Erreichen des Schwellenwerts einen Beweis frei. Sobald eine Person am Tisch den fünften Marker gesammelt hat, darf sich diese Person (und nur sie!) den entsprechenden Beweis anschauen. Dafür wird die Karte des Mörders aus dem Umschlag geholt und in einen der fünf Beweis-Umschläge geschoben, dann schaut man durch das Fenster des Umschlags den Beweis an und schiebt die Karte wieder zurück. Leider sind die Beweis-Umschlägen einen Tick zu klein geraten, sodass man die Karten immer etwas hineinfrickeln muss und sich diese dadurch recht schnell abnutzen. Schade. Den Beweis merkt man sich oder notiert ihn sich. Das Spiel selbst bringt keinerlei vorgefertigte Bögen oder ähnliches für Notizen mit, empfiehlt aber eine Form der Notation. Die Beweise selbst enthalten immer einen von zwei Möglichen Ausgängen. So ist das Fluchtfahrzeug bspw. entweder ein Auto oder ein Motorrad oder die Waffe war ein Messer oder eine Pistole. Alle anderen, die am Sammeln der Token beteiligt waren, bekommen den Beweis nicht zu sehen. Sie bekommen als Trost aber eine Verdächtigenkarte. Im Spiel gibt es insgesamt 16 Verdächtige – eine/r von ihnen ist im Mörderumschlag. Mit jeder Verdächtigenkarte die man bekommt, kann man also eine Person ausschließen. Um das Spiel dabei etwas asymmetrischer zu gestalten, bekommt jede/r zu Beginn eine dauerhafte Sonderfähigkeitskarte und man kann sich während der Partie noch weitere einmalig nutzbare Sonderfähigkeiten erspielen.


Und so laufen wir über die Karte, sammeln die Token ein, bekommen Beweise und schließen Verdächtige aus. Und die Zeit arbeitet gegen uns. Denn wenn wir das Ende der Zeitleiste erreichen muss jede/r Ermittler/in den Mörder benennen. Dafür dreht man seine Spielübersicht um. Hier sind alle 16 Personen mit ihrer persönlichen Kombination der fünf Beweise aufgeführt. Hat man tatsächlich alle Beweise, weiß man ganz genau, wer es war. Soweit kamen wir allerdings nie. Das Maximum (sowohl kooperativ als auch konfrontativ) waren vier Beweise. Und da läuft es auf ein 50/50-Raten hinaus. Bei weniger als vier Beweisen wird es kritisch, es sei denn, man hat genug Verdächtige ausgeschlossen. Wer am Ende den Mörder richtig getippt hat, gewinnt. Haben das mehrere geschafft, gibt es diverse Tie-Breaker in den Regeln. Hat niemand die richtige Person identifiziert, verlieren einfach alle.

Und natürlich gibt es Möglichkeiten, an die Beweise und Verdächtigen der anderen Mitspielenden zu kommen. Und zwar über den das Aufsteigen im eigenen Rang und vor allem über das Erfüllen der Events. Zu Beginn des Spiels liegt bereits ein Event offen aus, das erfüllt werden kann. Diese Events bringen immer Sonderregeln und Sonder-ToDos ins Spiel, blocken mitunter aber auch vollständig bestimmte Aktionen, solange das Event aktiv ist. Wer die spezifischen Bedingungen eines Events erfüllt, bekommt eine Belohnung (oftmals eben auch das Spicken bei anderen) und nimmt die Karte damit aus dem Spiel. Und das ist wichtig: Denn im Laufe der Zeit kommen mehr Events hinzu. Wir dürfen aber nur drei aktive Events offen ausliegen haben. Müsste ein viertes Event ausgelegt werden, müssen wir stattdessen eine Verdächtigenkarte unbesehen weglegen. Das ist ein oder zwei Mal nicht so wild, weil wir eh nie alle Verdächtige zu Gesicht bekommen, aber trotzdem wollen wir das natürlich nicht riskieren. Denn gibt es keine Verdächtigen mehr, verlieren wir alle Zeit auf der Zeitleiste. Und was hat es nun mit den Gangstern auf sich? Nun ja, am Ende jedes Zuges würfeln wir einen neuen Gangster aus (bei einem Pasch sogar zwei). Ist in der gewürfelten Koordinate schon ein Gangster, müssen wir stattdessen ein Event aufdecken. Und gibt es drei Events…nun ja, das habe ich schon erklärt.


Die Deluxe-Edition bringt zwei kleine Erweiterung mit: die korrupten Cops und die Capos. Die Capos sind besondere Gangster mit gefärbten Hutkrempen. Diese kommen mit in den Beutel und zieht man einen solchen, sucht man sich die passende Capo-Karte heraus und legt sie parat. Auf dieser Karte steht, was man tun muss, um den Capo wegzusperren. Einmal ins Spiel gebracht, fügt sich die Mini-Erweiterung nahtlos ein. Die Korrupten sind da etwas umfassender. Hier gibt es ein paar neue Loyalitätskarten unter denen sich eine korrumpierte befindet. Die Karten werden gemischt und jede/r bekommt davon eine. Wer die korrupte Karte bekommt, darf ab sofort nicht mehr auf oder über Felder ziehen, auf denen andere Cops stehen. Weiterhin darf man sich nun bei bestimmten Events als zusätzliche Belohnung die Loyalitätskarten eines Mitspielenden anschauen. Ist dort eine korrupte Karte dabei, bekommt man eine Belohnung, ansonsten eine Strafe. Wer ein Event auslöst, muss eine zusätzliche Loyalitätskarte ziehen und sind keine mehr da, dann bekommt der nicht-entdeckte Korrupte eine Belohnung. Dann werden wieder alle Loyalitätskarten gemischt und dieses Teilspiel beginnt von vorne.


Die Kingpin-Erweiterung bringt die namensgebenden Strippenzieher mit eigenem „Board“, Tokens, Karten, Wahrzeichen sowie neue Events und Sonderfähigkeiten. Beim Spielaufbau werden sowohl die Wahrzeichen als auch die neuen Absteigen auf dem Spielbrett verteilt und ein Patrouillenwagen im HQ bereitgestellt. Alle bekommen zudem eine „Cold Case“-Karte. Die Patrouille hat nun in jeder Runde einen eigenen Zug und die Kontrolle über die Patrouille wechselt innerhalb der Partie reihum. Darf ich die Patrouille lenken, bewege ich diese über den Spielplan und decke Absteigen auf. Diese haben auf ihrer Rückseite eins von vier möglichen Symbolen. Sobald zwei dieser Symbole insgesamt (mindestens) zwei Mal aufgedeckt wurde, offenbart sich der entsprechende Kingpin mit dieser Symbolkombination. Nun müssen alle gemeinschaftlich das jeweils dritte passende Symbol finden, um den Kingpin zu besiegen. Unsere Cold-Case Karten schreiben dabei immer vor, dass wir eine Belohnung bekommen, wenn der Kingpin durch ein bestimmtes Symbol mit-definiert wird. Außerdem haben unsere normalen Ermittler nun ebenfalls die neue kostenlose Aktion, Absteigen zu geheim zu untersuchen, damit mal später mit der Patrouille weiß, wo man hin möchte. Das besiegen des Kingpins ist wichtig. Denn: solange der Kingpin aktiv ist, wird mit jedem Event eine der Schema-Karten ausgelöst. Diese zeigen an, welches Wahrzeichen durch den Kingpin angegriffen wird - wurde der Kingpin entdeckt, vergrößert sich die Angriffsfläche zudem. Wer sein Auto im angegriffenen Bereich geparkt hat, verliert Zeit. Enttarnte Kingpins blockieren zudem – wie Events – bestimmte Aktionen.


Und auch wenn ich ein Fan der Erweiterungen bin, so würde ich empfehlen, erstmal nur das Grundspiel zu spielen, um überhaupt ins Thema zu finden und heraus zu bekommen, was man hier überhaupt machen muss, bevor man sich auf Capos und Kingpins einlässt oder das zusätzliche „Minigame“ mit den korrupten Cops hinzu nimmt. Hat man das alles aber mal geschnaggelt, erzeugen Capos und Kingpins aber durchaus zusätzlichen Stress und eben auch ein weiteres (semi-)kooperatives Element, das mir persönlich sehr gut gefällt.


Was bleibt also von Tiny Epic Crimes unterm Strich? Meine erste leise Hoffnung auf ein Deduktionsspiel hat sich nicht erfüllt. Tatsächlich geht es schlicht darum, so viele Sachen zu sammeln, dass man möglichst viel ausschließen kann. Am Ende kann man mit viel Glück genau sagen, wer es war, oder es bleibt nur das stumpfe Raten (meist mit 50/50-Chance). Und somit sind wir wieder bei „Cluedo in cool“, denn letztlich muss ich hier nie würfeln, weiß immer, wo ich hin will und was ich tun möchte und je mehr Menschen mitspielen, desto weniger erfahre ich im ersten Schwung und muss das durch das Erfüllen von Events und durch das Steigern meines Rangs wieder ausgleichen bzw. reinholen. Denn die Infos die ich brauche, sind entweder noch auf dem Spielfeld oder eben bei den Mitspielenden verborgen und gleichzeitig müssen alle immer gemeinsam schauen, dass die Stadt nicht von Kriminellen geradezu überrannt wird. Ein spaßiges Spiel mit einer knackigen Spielzeit und - für seine kompakte Größe - unfassbar viel Material und doch durchaus komplexen Regeln - wenngleich man gefühlt dann doch eigentlich "nur" Tokens sammelt. Ob es zum Dauerbrenner taugt, wird die Zeit zeigen, aber aktuell macht es echt Laune.

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Tiny Epic Crimes von Scott Almes
Erschienen bei Gamelyn
Für 1 bis 4 Spielende in 30 - 60 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Gamelyn)
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