Am 1. November 1755, an Allerheiligen, wurde Lissabon von einem Erdbeben der geschätzten Stärke 8,5-9,0 erschüttert, gefolgt von einem Tsunami. Die Stadt brannte drei Tage und wurde fast vollständig zerstört – so wirft uns die Anleitung direkt in das große Unglück, welches Lissabon im 18. Jahrhundert widerfahren ist. In Lisboa (der portugiesische Name für Lissabon) spielen wir Adelige, die mit König, Minister/Marquis und Baumeister der Stadt zusammenarbeiten. Wer bei diesem Neuaufbau Lissabons am besten mitwirkt, wird dem wertvollsten Gut des neuzeitlichen Portugals für Adelige belohnt: Perücken! Und was will man mehr als dieses wunderbare, weiße Fakehaar auf dem Kopf? Also strengen wir uns an, damit Lissabon in neuem Glanz erstrahlt!
[Wie wird gespielt?]
Grundsätzlich dreht sich alles um den Wiederaufbau im Gebiet der Baixa de Lisboa. Hier sollen Geschäfte und öffentliche Gebäude errichtet und der Schutt beseitigt werden. Zudem versuchen wir dabei Edikte zu ergattern, welche uns Punkte auf verschiedenste Dinge geben. Diese Aktionen, weitere sechs sogenannten Staatsaktionen und anderes wird über Karten gesteuert. Dabei wird Lisboa über 2 große Abschnitte gespielt, innerhalb welcher durch das Abspielen einer Karte eine Aktion getriggert wird. Das Abspielen einer Karte gestaltet den Ablauf dabei relativ übersichtlich und zügig. Beim Spielen einer Karte habe ich drei Möglichkeiten, was dadurch passieren soll. Als absolute Verzweiflungstat kann damit ein Real (Währung in Portugal) erhalten werden – die sichtlich schlechteste Option. Die anderen beiden Arten unterscheiden sich durch den Abspielort der Karte.
Einerseits kann eine Karte in das eigene Portfolio, das persönliche Tableau, gespielt werden oder zentral auf den Spielplan, den sogenannten Königshof. Beim Spielen ins eigene Portfolio kann die Karte oberhalb oder unterhalb eingeschoben werden. Dies hängt von der Art der Karte ab. Das Spielen ins eigene Portfolio gibt mir entweder Zugriff auf Staatsaktionen oder auf den Handel mit Schiffen, welches die größte Einnahmequelle von Réis (plural von Real) darstellt. Spiele ich meine Handkarte auf den Königshof, habe ich Zugriff auf die drei eingangs skizzierten Adelsaktionen: Edikte erhalten, Geschäfte und öffentliche Gebäude eröffnen. Gebäudeaktionen bringen dabei in der Regel Siegpunkte – äh Perücken – und räumen zudem den Schutt auf den Straßen auf, da dieser damals direkt in den Gebäuden verbaut wurde. Die Besonderheit besteht nun darin, dass andere Adlige aka. die lieben Gegner einem bei dieser Aktion folgen können. Dafür benötigt man Gunsttoken, man spart sich aber eine ganze Aktion, was im Verlauf des Spiels durchaus einen guten Vorteil bringen kann!
Diese Aktionen mögen wahrscheinlich etwas verwirrend wirken, sind aber an vielen Stellen historisch begründet. Die Anleitung ist dahingehend richtig gut geschrieben, da sie verschiedenste Aktionen immer wieder im Kontext der Zeit des neuzeitlichen Lissabons erklärt. Beispielsweise, dass es zwei verschiedene Arten von Architekten gibt, Mardal und de Santos, welche damals auch beide tatsächlich die Gebäude designt haben. Dies ist nur ein Beispiel der vielen kleinen historischen Anspielungen. Vital Lacerda leistet mit diesem Spiel ein Tribut an sein Heimatland – das ist ihm wahrlich gelungen.
[Von der Ausstattung zu einem Fazit]
Eine weitere historische Anspielung stellt das Design von Ian O’Tool dar. Dieses mag auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig wirken, imitiert aber eine neuzeitliche portugiesische Fliesenoptik. Das mag zunächst stören, hat aber mit dem Hintergrundwissen auch einen gewissen Charme.
Alles in allem wirkt das gesamte Spiel äußerst wertig produziert, die persönlichen Tableaus sind auf raffinierte Art und Weise duallayered: zum einen lassen sich Dinge verrutsch frei positionieren und zum anderen können Karten durch Aussparungen sehr gut untergeschoben werden (anders als bei Revive bspw.). Die Pappe ist wunderbar dick und viele Holzelemente sind auch bedruckt. Einzig das Inlay hätte echt ein wenig besser sein können, zumal die Kartenslots zu klein für Sleeves sind. Da hier die Karten permanent in den Händen gehalten werden und das Spiel über 150€ UVP hat, sind Sleeves angebracht. Und nein – ihr habt euch nicht verhört. 150 Tacken. Das ist eine wahre Ansage, für die ganzen Lacerda-Spiele aber keine Seltenheit. Wäre das Spiel, so wie es vor mir steht, für unter 100€ zu haben – dann gäbe es eine bedenkenlose Empfehlung. Aber so? Es gibt halt auch echt viele gute Spiele, die weit weniger als die Hälfte kosten! Daher – wen Geld nicht sonderlich juckt, schlagt zu, es ist ein großartiges Spiel. Oder aber man hat sich die Last auferlegt und zählt zu den unzähligen Lacerda-Fans weltweit. Dann führt wohl auch kein Weg dran vorbei. Viele von diesen halten Lisboa übrigens für eines der besten Spiele aus dem Hause Lacerda.
Wenn euch meine ganze Berichterstattung also neugierig gemacht habt – vielleicht könnt ihr dieses schöne und geschichtsträchtige Spiel selbst mal irgendwo ausprobieren. Und dann muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob es einem das Geld wert ist.
PS: Historischer Sidefact: Wenn ich über den gesamten Artikel den Begriff neuzeitlich nutze, referenziere ich dabei auf die historische Epoche der Neuzeit. Diese ging in Europa von etwa 1500 bis 1806/heute, je nachdem, wen man fragt.
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Lisboa von Vital Lacerda
Erschienen bei Skellig Games/Eagle Gryphon Games
Für 1 bis 4 Spieler in 60 - 120 Minuten ab 14 Jahren
Sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Skellig Games/Eagle Gryphon Games)
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