Immer wieder schön das Gefühl, etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Zu Beginn ist noch nichts da, und am Ende steht Neoville vor dir, die modern-futuristische Großstadt, bespickt mit Wolkenkratzern, Sportplätzen, Parks und Bioprojekten. Nun würde ich so so gerne noch hinzufügen, dass der Anblick dieser majestätischen Stadt vor Anmut und Schönheit kaum zu überbieten ist, doch dann würde ich schlichtweg lügen. Neoville ist leider alles andere als schön und hat mich lange abgeschreckt, ehe ich mich dann doch einmal überwunden habe, es zum Testen auf den Tisch zu bringen.
Einmal aufgebaut und gespielt, habe ich jedoch gemerkt, dass dieses Plättchen-Lege-Spiel am Ende doch ein wenig mehr kann, als es der Blick aufs Spielmaterial vermuten ließ. Um den Ablauf kurz und knapp zu erklären: wir bauen aus quadratischen Plättchen mit unterschiedlich verteilten Geländetypen ein 4x4-Raster zusammen und legen beim Platzieren wahlweise Wolkenkratzer oder Bioprojekte auf das Plättchen, ohne dabei jedoch Sport- oder Parkanlagen zu überdecken. Die so platzierten Pappgebäude bringen am Spielende dann Plus- oder Minuspunkte ein, je nachdem, ob man die dazugehörigen Voraussetzungen erfüllt. Platziere ich einen Wolkenkratzer mit dem Wert 12 auf eine Geländeart des Plättchens, muss das Gelände am Ende auch aus mindestens 12 zusammenhängenden Gebieten desselben Typs bestehen; bei einem 6er-Wolkenkratzer, müssten es ensprechend nur 6 sein. Wähle ich hingegen Bioprojekte, erfordern diese entweder, dass sie an einer bestimmten Stelle im Raster platziert werden, sich auf Gebieten mit einer bestimmten Form befinden oder in ihrer Spalte und Zeile eine bestimmte Anzahl an Wolkenkratzern, Sportanlagen, Parks oder Bioprojekte zu finden sind. Am Ende werden die Punkte hinzu- oder abgezogen, und es werden noch Extrapunkte für die meisten eingebauten Park- und Sportanlagen vergeben. Und das war es auch schon.
Das spannendste an Neoville ist, dass man beim Platzieren jedes Plättchens überlegen muss, ob und falls ja, welches Pappgebäude (Wolkenkratzer etc.) man darauf platzieren möchte. Schnappe ich mir gleich am Anfang den 12er-Wolkenkratzer für die Wassergebiete, damit sich die anderen Spieler diesen nicht mehr nehmen können? Riskiere ich vielleicht gegen Ende noch ein Bioprojekt, für das ich jedoch noch dringend eine Parkanlage brauche, die gerade jedoch auf keinem der ausliegenden Plättchen vorhanden ist? Setze ich auf viele Kleine Projekte oder einige Große? Riskiere ich Minuspunkte oder gehe ich auf Nummer Sicher? Das alles sind tatsächlich kleine Mikroentscheidungen, die grundsätzlich Spaß machen, da man bei zu langem Zögern immer Gefahr läuft, dass die Mitspieler vorher zuschlagen; sich bei zu schnellem Zugreifen vielleicht aber auch auf Kosten von Minuspunkten verschätzt.
Alles andere wirkt in Neoville jedoch eher uninspiriert. Das hat man alles schon irgendwo gesehen, nur halt deutlich hübscher. Und da stellt sich die Frage, ob die oben beschriebenen Faktoren ausreichen, um hier eine Empfehlung auszusprechen. Leider kann ich persönlich Neoville nicht uneingeschränkt empfehlen. Am Ende des Tages handelt es sich halt um ein einfaches Plättchenlegespiel mit mittelmäßiger Materialqualität, enttäuschender Optik und Pappwolkenkratzern, die dazu neigen, umzufallen, wenn jemand gegen den Tisch stößt, wodurch dann das große Rätselraten bezüglich der ursprünglichen Position des Gebäudes losgeht. Vielleicht sind die ästhetischen Ansprüche Brettspielen gegenüber aufgrund so vieler schön gestalteter Beispiele in den letzten Jahren extrem gestiegen, doch das ändert am Ende nichts an der Frage, die man sich bei Interesse an Neoville nun stellen muss: reicht ein recht gut funktionierendes Spiel für die eigene Sammlung aus, wenn wir doch erst kürzlich mit deutlich hübscheren Titeln wie Cascadia, Dorfromantik und co beehrt wurden?
Für mich reicht es leider nicht, doch ich hatte meinen Spaß - auch wenn zu viert beim Grübeln die Downtime ein echter Spaßverderber sein kann und der Wiederspielwert durch die doch stark eingeschränkte Anzahl unterschiedlicher Bioprojekte zwar vorhanden, aber sicher auch kein Premiumverkaufsargument ist.
Doch Spaß bleibt Spaß. Und trotz der Kritik bleibt Neoville mechanisch ein solides Spiel. Hardcore-Plättchenlegefans mit einer gewissen Toleranz in Sachen Optik sollten also vielleicht doch einen Blick darauf werfen, da sich die ein oder andere Entscheidung sicher ein wenig anders anfühlt als in anderen Vertretern des Genres. In diesem Fall wünsche ich euch viel Spaß und möglichst erdbebenfreie Spieleabende!
______________________________________________________________
Neoville von Phil Walker-Harding
Erschienen bei HCM Kinzel
Für 2 bis 4 Spieler in ca. 45 Minuten ab 10 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier HCM Kinzel)
*es handelt sich um einen Affiliate-Link