Gibt es mittlerweile eigentlich mehr Krimi-Rätsel-Exit-Spiel-Reihen oder Tatort-Folgen? Man kann da schnell den Überblick verlieren. Aber wenn die Nachfrage nunmal das Angebot bestimmt, will mit Piatnik nun auch der nächste Verlag mitmischen. Die neue Reihe heißt schlicht Crime Scene und London 1892 ist einer der ersten Fälle. Ob das blutige Cover hält, was es verspricht?
Crime Scene: London 1892 ist ein Krimi-Spiel von Richard Heayes, Markku Heljakka und Petter Ilander für 1+ Spieler*innen ab 18 Jahren und dauert circa 2 Stunden.
[Spielmaterial: Immersion bei Level 0]
Ein Cover weckt natürlich gewisse Erwartungen. Und auch wenn die Verpackung von Crime Scene: London 1892 jetzt nicht gerade ästhetisch wirkt, so liegt zumindest die Hoffnung auf etwas Horror-Feeling in der Luft, dem 18+-Siegel sei Dank. Im Karton selbst liegen aber einfach nur ein kleines „Szenenbild“, das in verschiedene Segmente geteilt ist und jede Menge Karten.
Selbst das Szenenbild hätten einige kostenlose Wimmelbild-Spiele online aufregender gestaltet, das restliche Material macht insgesamt auch wenig her und damit auch eher semi Lust aufs Detektiv-Spielen. Aber vielleicht ändert sich das ja, wenn die Geschichte überzeugen kann. Denn immerhin liegt mit einem zugegeben recht kurzen Storybuch auch noch das Thema Storytelling auf dem Tisch.
[Spielablauf: Wie war das nochmal?]
Erstmal gilt es aber, sich durch das Regelwerk zu blättern. Und selbst als Person, die wirklich schon so ziemlich jede der bekannten Krimi-Spiel-Reihen gespielt hat, kommt mir beim reinen Lesen ein riesiges Fragezeichen in den Kopf. Wie soll das jetzt funktionieren?
Ich versuche es mal zusammenzufassen:
- Ein Kapitel aus dem Storybuch wird vorgelesen.
- Die erste Indizienkarte wird aufgedeckt.
- a) Texträtsel: Findet das unterstrichene Wort aus dem Text im Szenenbild und such die Indizienkarte mit der Nummer des passenden Bildfelds aus dem Stapel heraus. Überprüfe das Ergebnis, in dem du es – wenn es ein Texträtsel ist – an das bereits ausliegende anliegst und die „Schnur-Verbindung“ checkst. Ist es ein Bildrätsel, geht es weiter. Oder so.b) Bildrätsel: Finde eine Zahlenkombination auf oder mit der Karte und überprüfe diese, indem du die Dokumentenkarte des jeweiligen Buchstabens heraussuchst. Ist die Zahl dort aufgelistet, schaust du jetzt die daneben abgebildete dreiteilige Zahlenkombi nach. Die steht für 1. Abschnitt, 2. Zeile und 3. Wort des Storybuchs. Dieses Wort müsst ihr jetzt als nächstes im Szenenbild finden.
- So geht ihr von Text- zu Bildrätsel hin und her, bis ihr zum Lesen des nächsten Kapitels aufgefordert werdet. Irgendwann erreicht ihr das letzte Kapitel und müsst eine letzte Frage beantworten.
Welcher Stapel jetzt wann wie aufgedeckt werden darf bzw soll und wie der Ablauf jetzt aussieht, ist selbst uns als recht geübten Ermittler*innen bis zum Schluss nie ganz klar geworden. Intuitiv oder offensichtlich ist dieser Spielablauf leider zu 0% - und vor allem für ein Spiel, bei dem es ja eigentlich um die Rätsel und nicht den Mechanismus gehen soll, vollkommen unnötig kleinteilig und umständlich. Kann es trotz dieser Schwäche überzeugen?
[Fazit: Einfach beim Tatort bleiben]
120 quälende Minuten später war der Tenor am Tisch einstimmig: Nein, so überhaupt gar nicht. Das Spiel fällt leider auf gleich so ziemlich allen Ebenen durch. Und das auch über den Mechanismus hinaus.
- Story mangelhaft: Wieso eine derartige Spielreihe nicht mit wirklich guten Autor*innen umgesetzt wird, ist mir ein – Achtung Wortwitz – Rätsel. Die Geschichte von London 1892 ist leider vorhersehbar, irrelevant und auch null dynamisch. Dazu kommt eine letzte, finale Entscheidung, die absolut stupide und 0 überraschend ist.
- Rätsel super arbiträr: Wann jetzt was gesucht werden muss, ist schon selten klar. Dann sind die meisten der gesuchten Objekte auf Kinder-Niveau versteckt (Reminder: Das Spiel ist ab 18), andere Rätsel sind eher okay. Kreativ wird es nur bei einem einzigen der Rätsel.
- Die Sache mit den Lösungen: Sagen wir, ihr seid doch mal auf dem Holzweg, dann erwartet ihr wohl Folgendes: Wer falsch deduziert, wird bestraft. Entweder mit Strafminuten, Fehler-Notiz oder anderen Optionen. Bei Crime Scene gibt es so etwas aber nicht. Entweder der Code ist richtig und ihr kommt weiter oder er ist falsch - und müsst das selbst erstmal irgendwie herausfinden. Die Überprüfungsmechanismen sind dafür wirklich absurd unelegant und man ist sich nie so ganz sicher, an welcher Stelle man überhaupt etwas falsch gemacht hat.
- Die Sache mit den Hinweisen: Und dann kommt zu allem Übel auch noch die Hinweis-Geschichte. Wer einen Hinweis nehmen will, muss dafür eine der Reputationskarten abwerfen, die für das "große" Finale wichtig werden. Die Hinweise gibt es aber nur für die Bildrätsel. Und eine Lösung steht für den Fall, dass man stecken bleibt, nicht auf der Karte. Solltet ihr also an einem Texträtsel oder anderen Stelle stecken bleiben oder euch der Hinweis nicht ausreichen, müsst ihr die Komplettlösung von der Piatnik-Website als PDF herunterladen. Uneleganter geht es dann auch wirklich nicht mehr.
- Wo ist der „Crime“? Vom wirklichen Ermitteln ist das Spiel so weit weg wie Thomas Gottschalk von einem modernen Moderator. Leider kommt hier gar weder Knobeln noch Entschlüsseln vor.
- Das Artwork-Drama: Optisch ist das Spiel wie bereits erwähnt leider auch alles andere als ein Hit und auch das Spielmaterial hätte mehr Liebe und Kreativität vertragen können.
Die einzig positive Eigenschaft von Crime Scene: London 1892 ist der Wimmelbild-Mechanismus. Doch dadurch, dass dasselbe Bild das gesamte Spiel über ausliegt, ist das Suchen in kürzester Zeit erledigt. Schließlich hat man sich das Bild zuvor schon etliche Male angeschaut. Wem das Suchen aber wirklich Spaß macht, kann lieber Micro Macro auf den Tisch bringen. Und für alle, die eine Crime Scene sehen wollen – bleibt einfach beim Tatort.
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Crime Scene: London 1892 von Richard Heayes, Markku Heljakka und Petter Ilander
Erschienen bei Piatnik
Für 1+ Spieler in 120 Minuten ab 18 Jahren
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sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Piatnik)
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