Arkham Horror Das Kartenspiel ist ja bekannterweise alles andere als ein neues Spiel, doch an mir bislang immer irgendwie vorbei gegangen. Spielerisch zumindest. Gehört, gelesen, gesehen habe ich jede Menge dazu und hatte immer Lust, es zu spielen. Bei all den Lobhudeleien war ich aber gleichzeitig auch immer davon überzeugt, dass meine durch die mediale Aufmerksamkeit erzeugte Erwartungshaltung nur dazu führen kann, dass das Spiel in meinen Augen am Ende enttäuschen wird. Denn soooo gut kann es doch gar nicht sein, um meinem persönlichen Hype standzuhalten. Also lieber einen Bogen drumherum machen. Aber wie das manchmal so ist, landete es nun doch auf meinem Tisch. Und um den Spoiler gleich vorweg zu nehmen, spielerisch konnte das Spiel definitiv mit meinem Hype standhalten, ich finde es toll. Spielerisch gesehen. Vom Umfang bzw. vom rein quantitativen Inhalt der Packung her war ich bei dem angesetzten – für ein Kartenspiel doch recht hohen Preis – aber etwas geschockt, muss ich zugeben. Aber eins nach dem anderen.
Nach dem Öffnen der ordentlich großen Schachtel findet man ein paar Stanzbögen mit jeder Menge Markern und ein paar Karten, die in zwei Hände passen….Nach dem studieren der Anleitung stellt man dann fest, dass wir hier vier fertige Ermittlerdecks, einen größeren Stapel weiterer Spielerkarten (für Deckbau bzw. Entwicklung) sowie drei Decks mit Szenarien in der Box haben. Drei. „Echt, jetzt, drei?“ Dachte ich mir und ja, ich fand auch keine weiteren. „Puh…für 100 Mark schon echt wenig“, dachte ich mir (ja, ich rechne noch immer gegen, das bekommt man in meinem Alter glaub ich auch nicht mehr raus ;). Doch nach dem Spielen der Szenarien wurde ich etwas milder gestimmt. Denn die Szenarien sind nicht wie bspw. bei Andor (warum ich ausgerechnet das hier nenne, dazu später mehr), einmal gespielt und nie wieder angefasst, sondern bieten durchaus einen wiederspielwert. Und auch das hätte ich im Vorhinein nicht gedacht. Ein storygetriebenes Kartenspiel muss doch von der Story leben und wenn die einmal erzählt ist, ist das doch uninteressant, dachte ich mir. Nö. Ist so nicht, denke ich jetzt. Denn man hat auch nach dem dritten Szenariodurchlauf Lust, mit anderen Ermittlern und anderen Entscheidungen durch die Kampagne zu spielen. Trotzdem hätte ich mir etwas mehr Inhalt für etwas mehr Abwechslung gewünscht. Aber gut, dafür gibt es ja die unzähligen Erweiterungen, nach denen ich bereits giere. Aber das ist eine andere Geschichte. Geht man also mathematisch vor, bekommt man für die „100 Mark“ doch ordentlich Spielzeit, auch wenn der Inhalt im ersten Moment enttäuschend wirken kann. Wobei ich so simple Dinge wie Kartentrenner doch schmerzlich vermisse, aber dafür gibt es ja zum Glück BGG…und immerhin brauche ich bei der Neuauflage – wie es mir scheint, aber belehrt mich gern eines Besseren – keine zweite Grundbox um sinnvoll mit mehr als zwei Personen zu spielen (zumindest hatten wir nichts vermisst).
Aber bleiben wir mal beim Stichwort mathematisch. Ich denke, ich werde mir jetzt ein paar Feinde machen, aber ich muss hier noch einmal den Vergleich zu Andor bemühen, aber bitte nicht gleich aufregen, denn die Spiele sind natürlich trotzdem extrem unterschiedlich: Andor wird ja gerne vorgeworfen, im Kern ein Arithmetikrätsel zu sein, bei dem die Story nur aufgesetztes Beiwerk ist. Man muss bei Andor spezielle Aktionen durchführen (u.a. Gegner in die Burg lassen), um überhaupt gewinnen zu können, weil sonst der Erzähler gnadenlos weiterläuft und die „Zeit“ um ist, bevor man seine Mission erfüllt. Beim Arkham Horror Kartenspiel gibt es keinen Erzähler, aber dafür Verderbensmarker, die im Kopf das gleiche Gefühl erzeugen, wie der Erzähler bei Andor, wenn auch auf anderer Grundlage. Hier heißt es jetzt schonmal „wenn ich jetzt nicht Gegner x umhaue, dann kommen in der nächsten Runde zwei Marker hinzu und dann müssen wir in der Agenda weiter, aber da es die letzte Agendakarte ist, bekommen wir ein mieses Ende“. Anders als bei Andor kann man es hier aber darauf ankommen lassen, denn man scheitert nicht und muss das Szenario stumpf von vorne spielen, sondern spielt in der Kampagne weiter. Nur das man dann gegebenenfalls andere Notizen macht, als wenn man ein „gutes“ Ende des Szenarios erreicht hätte. Und das ist das Großartige: Arkham Horror Das Kartenspiel bietet echte Immersion. All unsere Entscheidungen in einem Szenario können sich auf das zu erreichende Ende (jedes Szenario hat mehrere Enden) auswirken. Am Ende eines Szenarios machen wir uns Notizen, die im nächsten Szenario abgefragt werden und sich dort entsprechend auswirken. Das ist natürlich im Kern nichts Neues und altbekannte RPG-Kost, aber in Kombination mit den übrigen Mechaniken des Spiels eine fast schon süchtig machende Mischung. Und eben hier ganz anders als bei Andor. Während Andor wie eine Serie wirkt, bei der in jeder Folge etwas anderes passiert und man es gar nicht schlimm findet, wenn man mal eine Staffel verpasst oder gar keine neue produziert wird, ist das Arkham Horror Kartenspiel wie eine ultraspannende Dauerserie, die voller Cliffhanger grade zu zum Binge-Watchen zwingt. Im Kern ist der Vergleich also mehr als nur hinkend, aber irgendwie erinnerte mich diese Verderbensmarker-Mechanik dann eben doch an eben jenen Erzähler. Gut. Schluss mit Andor, zurück nach Arkham.
Apropos Mechaniken: Was man hier eigentlich macht, habe ich bislang ja noch gar nicht erwähnt. Aber braucht es das bei diesem Spiel? Eigentlich nicht, denn das Spiel lebt von der Art der Immersion. Was man hier tut, ist eigentlich nebensächlich, denn es geht immer darum, wie man seine Möglichkeiten als Gruppe (oder auch solo, völlig egal, denn das Spiel skaliert dies unfassbar gut und ganz nebenbei), richtig einsetzt. Aber vielleicht mal ein kurzer Abriss, über das, was hier mechanisch passiert: Zunächst schnappen sich alle eine/n Ermittler/in und deren Decks oder aber bauen eigene Decks auf. Dafür gibt es natürlich Regeln. Notwendig ist das Deckbauen am Anfang aber nicht, denn die Startdecks sind super zusammengestellt und während der Kampagne kann (und sollte) man noch genug „bauen“, versprochen. Also los geht’s. Das erste Szenario „Die Zusammenkunft“ kommt auf den Tisch. Bestehend aus ein paar Agendakarten (die quasi einen schlechten Spielverlauf darstellen) und den Szenenkarten (die unsere Spielziele darstellen). Beide Decks haben eine feste Kartenreihenfolge. Außerdem gibt es ein verdecktes Begegnungsdeck mit allerlei Schlechtem und dann gesellen sich zu der illustren Kartenrunde noch die Orte, wobei die aktiven Orte (zu Beginn nur das Arbeitszimmer) präsent auf den Tisch gelegt werden. Unsere Figuren starten das Szenario auch in eben jenem Arbeitszimmer, also legen wir unsere Minikarten mit unseren Ermittlern dorthin (hier hätte ich persönlich Standees bevorzugt, aber man kann nicht alles haben bzw. man kann sich diese mit den Kärtchen auch einfach „basteln“). Jetzt wird die Geschichte aus dem Kampagnenheft vorgelesen und je nach Schwierigkeit noch der Chaosbeutel befüllt. Dieser ist im Kern ein Würfelersatz, in dem sich je nach Schwierigkeitsgrad unterschiedliche Plättchen befinden. Zum Sinn und Zweck des Beutels, gleich mehr. Nun liest man noch die grade aktive Szenenkarte und da unsere Ermittelnden im Arbeitszimmer sind, wird die Karte umgedreht und vorgelesen, was dort steht bzw. getan werden kann. Damit ist das Spiel nun bereit, gespielt zu werden und zuerst ziehen alle je 5 Karten und bekommen 5 Ressourcen – quasi die Spielwährung
Die Spielenden beginnen das Spiel und entscheiden jeweils selbstständig, wer dran ist. Die jeweilige Person darf drei Aktionen aus folgendem „Pool“ auswählen: Karte ziehen oder Ressource nehmen (beides nur Notfall-Aktionen, wenn nichts anderes geht), eine Ereignis- (einmaliger Effekt) oder Vorteilskarte (dauerhafter Nutzen) ausspielen, eine Aktion einer entsprechend gekennzeichneten ausliegenden Karte nutzen, sich an einen Nachbarort begeben, ermitteln (dazu gleich mehr), einen Gegner bekämpfen oder schlicht in einen Kampf verwickeln (im RPG-Sprech „provoken“) oder einem Gegner entkommen. Soweit alles recht selbsterklärend, wobei grade das Entkommen einen taktischen Vorteil bringt: schafft man es, wird der Gegner getappt und kann später nicht angreifen. Das muss man im Hinterkopf behalten. Beim Ermitteln geht es schlicht darum, dass auf jedem Ort Hinweise ausgelegt werden (je nach Karte und Spielendenzahl unterschiedlich viele). Diese Hinweise muss man sammeln, indem man eine Probe ablegt. Und das ist spielentscheidend, da man diese Hinweise braucht, um den positiven Weg der Story zu schaffen. Die erwähnten Proben findet man nicht nur beim Ermitteln, sondern auch beim Kämpfen und Fliehen sowie an anderen Stellen im Spiel. Unsere Ermittelnden haben ganz RPG-like diverse Statuswerte und die Proben im Spiel zielen auf einen dieser Werte und verlangen, dass man einen bestimmten Wert erreicht. An einem konkreten Beispiel: Möchte ich z.B. kämpfen, muss ich mit meinem Stärkewert bspw. den Wert 4 erreichen. Meine Ermittlerin hat aber nur 2 Stärke. Ich habe aber eine Waffe ausgerüstet, die mir +1 Stärke gibt. Wären 3 puh, sieht übel aus. Ich kann nun mit meinen Handkarten diesen Wert erhöhen, indem ich Karten ablege, die das Symbol des entsprechenden Statuswertes ablege. Dafür kann ich auch die Aktionen von Fähigkeitskarten nutzen. Diese besonderen Karten kommen nur bei Proben zum Einsatz. Ich erhöhe meinen Wert durch die Karten auf 4. Und da ich mit einem anderen Ermittler im gleichen Raum bin, darf dieser mir mit einer Karte helfen. So komme ich auf Stärke 5. Super, oder? Nicht so ganz. Denn nun ziehen wir einen Chip aus dem Chaosbeutel. Mit Glück habe ich eine +Zahl oder die Null oder das Sonderzeichen für die Ermittelnden gezogen. Dann ist alles gut. Auch eine -1 wäre noch ok. Ziehe ich aber eine -2 oder -4 oder eins der anderen Symbole (die mithin in jedem Szenario etwas anderes bedeuten), dann war mein Zug für den Eimer und im schlimmsten Fall schlage ich auf meinen Mit-Ermittler ein. Puh. Das bringt richtig Spannung ins Spiel. Klar, eigentlich ist der Chaosbeutel auch nur ein besserer Würfel. Aber es fühlt sich anders an. Klingt vielleicht schräg, aber ich glaube, mit einem Würfel hätte ich das deutlich weniger gut gefunden. Dieses Chip Raussuchen und beim Rausziehen hoffen, dass alles gut wird….toll.
Haben nun alle ermittelnden ihren Zug gemacht, laufen manche Gegner auf einen zu und diejenigen Bösewichte, die sich eh schon im Kampf mit uns befinden (und aktiv sind), greifen an. Hier gibt es keine Probe. Man bekommt direkt Schaden und Horror. Ganz im Cthulhu-Play-Style eben. Überschreiten die eigenen Schadens- oder Horror-Marker das eigene Maximum, heißt es „Tschüss“ für diesen Ermittler. Anschließend werden alle getappten Karten wieder untapped, alle Ermittelnden erhalten eine Ressource und eine Karte und die neue Runde startet mit der sogenannten Mythosphase: Ein Verderbensmarker kommt auf die Agenda, die Zahl der Verderben im Spiel wird gezählt (und bei Erreichen des Schwellenwerts schreitet die Agenda voran) und dann müssen alle Ermittelnden je eine Begegnungskarte ziehen. Und in diesen wartet das Grauen in Form von neuen Gegnern oder negativen Ereignissen. Atmosphärisch toll. Hinzu kommt eine Besonderheit, die ich so aus keinem anderen Kartenspiel kannte: Jeder Ermittelnde verfügt über eine Schwäche-Karte. Zieht man diese, muss man sie sofort aufdecken und abhandeln. Und diese Schwächen stören natürlich – teilweise massiv – die eigenen Pläne. Man hofft also stets, diesen Mist nicht zu ziehen oder wenn es schon sein muss, dann so früh wie möglich, um die Schwäche noch managen zu können. Das war’s auch schon. Ist doch mehr Mechanik, als gedacht, aber in Summe eine richtig tolles Spielsystem, das absolut Lust auf mehr macht. Wenn man denn eine gewisse Affinität für diese Art von Spiel hat. Wobei…selbst wenn nicht. Wenn man Kartenspielen grundsätzlich nicht abgeneigt ist, muss man das Arkham Horror Kartenspiel einfach selbst erlebt haben, um einschätzen zu können, ob man sich diesem Zog entziehen kann oder nicht.
Hat man nun ein Szenario hinter sich gebracht (denn man muss es nicht zwingend „schaffen“), dann darf man mit den erspielten Siegpunkten neue Karten kaufen oder bestehende Karten upgraden. In jedem Fall darf das Deck anschließend aber nicht mehr Karten haben, als es vorher hatte bzw. darf die persönliche Maximalanzahl an Karten des entsprechenden Ermittlers nicht überschreiten. Und hier kommen nun die vorhin genannten übrigen Spielendenkarten ins Spiel, die man erstmal sichten und für sich bewerten muss, wobei jeder Ermittlungsmensch nur bestimmte Typen von Karten überhaupt nutzen darf. Wer das gar nicht mag, kann zwar ohne zu leveln weiterspielen, aber umso schwerer kann es dann auch werden. Und grade im Hinblick auf das dritte Szenario, sollte man schon ordentlich gewappnet sein. Denn auch hier steckt mehr drin als es scheint und der Wiederspielwert dieser „nur 3“ Szenarien offenbart sich. Mehr will ich dazu gar nicht sagen, aber wer schonmal Andor Sternenschild….nein, alles gut, ich lass es.
Nun ist dieser Artikel deutlich länger geworden als ich geplant hatte und somit dürfte bereits beim drüberfliegen und insbesondere nach dem Lesen klar sein: Ich bin begeistert. Und das hätte ich trotz (oder eigentlich grade wegen) aller Vorschusslorbeeren nicht erwartet. Für mich ist Arkham Horror: Das Kartenspiel ein absolutes Juwel, ein Must-Have-Titel und doch ein Groschengrab (wobei Groschen sind das schon lange nicht mehr, was dafür fällig wird). Wow. Wenn ihr Euer Geld beisammenhalten wollt, lasst also lieber die Finger von dem Teil, denn sonst gibt es kein Entrinnen. Wow!...
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Arkham Horror: Das Kartenspiel von Nate French und Maxine Juniper Newman
Erschienen bei Asmodee
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sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Asmodee)
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