Ach ja, da haben wir mal wieder eins dieser Tiny Epic Spiele. Ich weiß gar nicht genau, wie viele Titel der Gamelyn-Reihe nun bereits rezensiert auf unserer Website stehen. Doch eines wird dem treuen Leser wohl aufgefallen sein: die Spiele des amerikanischen Spieledesigners Scott Almes sind bei uns alles in allem stets gut weggekommen und werden zumindest bei mir daheim auch immer noch hier und dort auf den Tisch gebracht. Einer der Standardaussagen in unseren Rezensionen zur Tiny Epic Reihe weist in der Regel darauf hin, dass in einer winzigen Schachtel ein größeres (und komplexeres) Spiel steckt – quasi „tiny“, aber dennoch „epic“. Und genau mit diesen Erwartungen bin ich in See gestochen, habe mich vor der Marine versteckt, Handelsschiffe überfallen und meine kostbaren Schätze vergraben. Denn genau dies tun wir in Tiny Epic Pirates, das 2020 erfolgreich auf Kickstarter finanziert wurde. Doch ob es nun tatsächlich das Gefühl eines epischen Piratenabenteuers bei mir erzeugen konnte, werdet ihr im Laufe dieser Rezension erfahren.
Das Cover macht jedenfalls schonmal Lust auf Abenteuer und auch das Material, u.a. bestehend aus kleinen Plastikschiffen, Karten und diversen Holzkomponenten macht – wie wir es von Tiny Epic Spielen gewohnt sind – schon was her. Allerdings muss allen, die noch kein einziges Tiny Epic Spiel auf dem Tisch hatten, klar sein, dass die Komponenten verhältnismäßig klein und für große, ungeschickte Hände teils schwierig zu händeln sind. Bei Tiny Epic Pirates – und diesen Punkt greife ich aus dem Fazit hier einfach schonmal vor – machen es vor allem die Schiffe mit ihren aufgesteckten Segeln allen grobmotorischen Piraten schwer, die Waren in Form von Holzwürfeln auf ihnen zu platzieren und zu lagern, was man im Spiel jedoch des Öfteren tut.
Doch was genau tun wir denn nun alles auf hoher See? In jeder Runde wählen wir mit Hilfe eines mechanisch recht interessant gestalteten Auswahlrads eine von sechs möglichen Aktionen, bewegen danach unser Schiff und führen im Anschluss die zuvor ausgewählte Aktion aus. Prinzipiell funktioniert der Auswahlmechanismus so, dass man entweder die im Uhrzeigersinn nächste Aktion gratis ausführt, oder mit Hilfe seiner drei (bis vier) Deckarbeiter gewisse Aktionen überspringt. Hierfür werden die Deckarbeiter auf die zu überspringende Aktion auf dem Rad gelegt, wo sie später ein weiteres Mal beim Überspringen derselben Aktion genutzt werden können, ehe sie wieder einer von drei Aufgaben auf dem Deck zugeordnet werden – Takelage, Kanonen oder Erpressung. Je mehr Deckarbeiter der Takelage zugeordnet sind, desto weiter kann das Schiff fahren, je mehr bemannte Kanonen es gibt, desto mehr Feuerkraft hat man im Kampf, und für jeden Deckarbeiter, der sich gerade dem Erpressen widmet, erhält man beim Ausführen oder Überspringen der „Hide Out“ Aktion je ein Gold. Auf diese Weise wandern die Deckarbeiter immer zwischen Aktionsfeldern auf dem Rad sowie den drei Deckaufgaben hin und her.
Die Aktionen selbst lassen uns einerseits plündern, indem wir auf den entsprechenden Feldern der im 4x4-Raster ausliegenden See- und Hafenlandschaft Waren verdeckt aus einem Beutel ziehen. Beim Handeln können wir die erhaltenen und auf unserem Schiff gelagerten Waren dann entsprechend des aktuellen Marktwertes verkaufen, wobei immer nur eine Warensorte auf einmal verkauft werden kann und der Goldwert (2, 3, 4 oder 5) nach dem Verkauf so angepasst wird, dass die gerade verkaufte Warensorte auf 2 rutscht und alle anderen eine Position hinaufwandern. Reicht dem gemeinen Piraten das Plündern unschuldiger Dörfer nicht aus, kann er mit der Angriff-Aktion auch eines der umherfahrenden Handelsschiffe oder auch andere Piraten bzw. Mitspieler angreifen. Hierfür würfelt er eine gewisse Anzahl an Würfeln und schaut nach Übereinstimmungen der Augenzahlen mit denen auf seinen Crew-Mitgliedern und seinem Captain; hat er also zwei Crew-Mitglieder, die eine 1 und 2 sowie eine 1 und 3 zeigen, würde eine gewürfelte 1 zwei Schaden und eine gewürfelte 3 einen Schaden machen. Macht man mehr Schaden als der Kontrahent, gewinnt man. Bei den Handelsschiffen bedeutet das, dass man die darauf gelagerte Ware bekommt und zusätzlich einen Schritt auf der Legendenleiste hochwandern darf – im Grunde also ein Level aufsteigt. Allerdings kann man Mitspielern keine Waren abluchsen, kämpft also im Grunde nur für den Ruhm (Schritt auf der Legendenleiste).
Mit der „Crew Up“-Aktion kann man neue Crew-Mitglieder anheuern und ein Mal pro Partie eine Meuterei durchführen, um seinen Captain zu wechseln. Zusätzlich zu den hinzukommenden Würfelzahlen fürs Angreifen erlauben es sowohl der eigene Captain also auch die Crew Mitglieder, Bonus-Aktionen auszuführen, nachdem eine gewisse Aktion vorher ausgeführt wurde. Ein Crew-Mitglied könnte es dem Spieler also zum Beispiel erlauben, nach einer Plünderaktion sogleich eine Angriffsaktion auszuführen. Darüber hinaus gibt es noch die „Search“-Aktion, mit der man die auf der Karte verdeckt ausliegenden „Search Tokens“ mit einem gewissen aufgedruckten Bonus erhält. Und schließlich erlaubt es mir die Aktion „Hide Out“, mich im richtigen Moment vorm Marine-Schiff zu verstecken, ggf. Gold für Crew-Mitglieder auf Erpressung (extort) zu erhalten und meine gesamten Deckarbeiter beliebigen alten oder neuen Aufgaben zuzuordnen.
Des Weiteren wüten Stürme auf der Landkarte bei deren Durchquerung einzelne Deckarbeiter von ihrer Arbeit abgehalten werden (was im Übrigen auch der Fall ist, wenn man bei einem Angriff verliert). Allerdings lassen sich diese Arbeiter durch eine „Hide-Out“-Aktion wiederbeschaffen und selbst fürs Überspringen von Aktionen können sie problemlos hergenommen werden. Und führt ein Spieler eine Hide-Out-Aktion aus oder überspringt sie, bewegen sich die Handelsschiffe auf der Karte entlang einer festgelegten Route, und auch das Navi-Schiff bewegt sich eine gewisse Anzahl Felder auf den aktiven Spieler zu, der angegriffen und automatisch verlieren wird, sollte das Navi-Schiff auf dessen Feld landen und man nicht versteckt sein.
Und so navigiert man durch die Gegend, plündert, handelt, kämpft und sammelt fleißig Gold, Hat man genug Gold gesammelt, kann man eine seiner drei Schatztruhen durch die Bonusaktion des Kapitäns vergraben, wobei einem dadurch das Navi-Schiff schneller hinterhersegeln wird. Und je höher das eigene Level ist, desto weiter kann man navigieren, desto mehr Kanonen habe ich zur Verfügung und desto mehr Boni kassiere ich ein. Wer seine drei Schätze zuerst vergraben hat, löst das Spielende aus und gewinnt in den meisten Fällen die Partie.
Auf Basis des beschriebenen Spielablaufs könnte man doch nun getrost annehmen, dass auch Tiny Epic Pirates – strotzend vor Abenteuer – den gemeinen BoardGameAffen zu überzeugen weiß. Leider muss ich Tiny Epic Fans und solche, die es noch werden wollen, enttäuschen. Mir persönlich hat Tiny Epic Pirates einfach keinen Spaß gemacht. Keine Frage, das Spiel funktioniert und auch der Aktionsauswahlmechanismus mit dem Hin-und-her-schieben der Deckarbeiter ist durchaus reizvoll. Auch die Möglichkeit, sich über verschiedene Crewmitglieder verschiedene Bonusaktionen mit einzuplanen ist cool, auch wenn man dadurch, dass man zunächst immer die Bonusaktion des Captains und danach die der Crew durchführen muss, zeitweise ein wenig limitiert ist. Die Marktmechanik ist simpel aber effektiv, das Material ist – wie oben beschrieben – alles in allem voll in Ordnung und auch das Thema liegt mir persönlich sehr.
Woran genau hapert es also? Ich hatte während des Spiels einfach zu oft das Gefühl, dass das, was ich tue, letztlich völlig belanglos ist. Das stimmt zwar so nicht ganz, aber ich würde bei einem epischen Piratenspiel dann vielleicht doch erwarten, dass ich Mitspielern Waren klauen darf, oder sie zumindest anderswie in Bredrouille bringen kann. Stattdessen greife ich sie an, steige bei einem Erfolg auf der Legendenleiste auf und mein Mitspieler muss einen seiner Deckarbeiter von einer der Deckaufgaben abziehen, bekommt dafür aber noch einen Token, der es ihm oder ihr erlaubt, bei einem späteren Angriff einen Würfel auf eine beliebige Augenzahl zu drehen. Außerdem ist es nicht allzu schwer die Deckarbeiter wieder zu ihren wichtigen Aufgaben zu bringen. Ich verstehe schon, dass man Euro-Spieler nicht mit zu fieser Interaktion abschrecken will, doch ein wenig mehr Interaktion wäre doch wünschenswert bei diesem Thema und Setting.
Am Ende des Tages tuckert man also einfach in der Gegend herum, besorgt sich Waren, verkauft sie, und vergräbt eine Schatztruhe. Das wiederholt man weitere zwei Male und die Partie ist vorbei. Da kommen bei mir leider keine Emotionen auf. Ein bisschen mehr Würze und Abenteuer hätte es also gerne sein können. So bleibt Tiny Epic Pirates leider hinter meinen Erwartungen zurück, und ich hoffe, dass mich der nächste Titel der Reihe wieder mehr überzeugen kann. Denn ich bleibe weiterhin Fan und freue mich auf Wikinger, Fabelwesen, Drachen oder was auch immer das Team von Gamelyn Games in den kommenden Monaten und Jahren noch so alles ausbrüten wird. Die Piraten sind bei mir leider durchgefallen. Doch falls ihr nichts gegen ein gemütliches Piratenspiel mit schönem Material und einem Fokus aufs Aktionsmanagement habt, könnt ihr Tiny Epic Pirates natürlich gerne eine Chance geben. Viel Spaß dabei und möge der Wind euch gesonnen sein!
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