Variabilität. Für die einen ein Fluch, da man eben nicht immer mit der gleichen Taktik spielen kann und entsprechend länger braucht, um immer den goldenen Pfad zu wählen; für die anderen ein Segen…aus ähnlichen Gründen. Was auch immer man Tiletum vorwerfen möchte, so ist es ganz sicher nicht die fehlende Variabilität. Denn was das betrifft, hat es die unscheinbare, aber proppenvolle Box, faustdick unter dem Deckel. Für wen Abwechslungsreichtum also eher ein Fluch ist, der mag hier schon abgeschreckt sein. Allerdings lässt sich Tiletum auch immer gleich spielen, wenn man das möchte. Nur…warum sollte man das wollen?
Aber bevor wir zu diesem Thema zurückkehren, kommen wir doch nochmal auf die Box zurück. Was hier an Material drin liegt, lässt sich wirklich sehen. Unzählige verschiedene Tokens, Marker, Tiles, schicke Holzhäuschen, Architekten-Figuren, Säulen, etc. und alles in wirklich toller Qualität. Nur über das Design kann man trefflich streiten. Ein optisches Highlight ist Tiletum nun wirklich nicht, es ist aber thematisch durchaus passend. Denn wir befinden uns in der Renaissance, also am Ende des Mittelalters und entsprechend mittelalterlich ist die Optik. Kann man mögen, muss man nicht mögen, ich selbst fand es ok, weil es eben thematisch passt. Hat mich nicht umgehauen, aber hässlich finde ich es nun auch nicht. Zweckmäßig eher. Alles hat seinen passenden Platz auf dem Board und man weiß immer, was wo liegt. Das ist super.
Aufgrund der Variabilität sollte man etwas Zeit für den Aufbau einplanen. Da werden Bonustiles genauso zufällig verteilt wie Baukosten, Personen, Verträge, verfügbare Kathedralen, Städte und Handelsplättchen, und noch einiges mehr. Durch diesen recht zufälligen Aufbau spielt sich jede Runde Tiletum tatsächlich anders, als die vorherigen. Nicht vom grundsätzlichen Spielgefühl her, das bleibt durchweg gleich, aber der Weg zum Ziel ändert sich eben immer wieder aufs Neue, so dass man taktisch nicht so festgefahren wird. Und wem das nicht reicht, der kann sogar zu Spielbeginn die Reihenfolge der möglichen Aktionen (oder eigentlich die Reihenfolge der Wertigkeit der Aktionen, aber dazu später mehr) ändern.
Und worum geht es? Um Eisen, Wolle, Steine, Essen und Gold und den Bau von Kathedralen und den Abschluss von Kontrakten. Ok, auch die alle sind nur Mittel zum Zweck. Letztlich geht es natürlich um Siegpunkte – denn wir haben hier einen Eurotitel, wie er im Buche steht (wobei das Thema beim Spielen durchaus durchkommt). Aber zurück zu den Ressourcen. Jede Ressource verfügt über eine Farbe und passende Würfel. Diese Würfel liegen auf dem Spielplan und wollen von den Spielenden genommen werden. Nimmt man einen Würfel, bekommt man auch die passenden Ressourcen in Anzahl der Würfelaugen. Doch Obacht! Nicht nur bekommt man die Ressourcen, sondern darf auch die entsprechende Aktion ausführen, bei der der Würfel liegt. Denn ein Rad in der Mitte der Aktionen bestimmt zu Rundenbeginn, welche Würfelaugen einer Aktion zugeordnet werden. Und damit geht einher: je weniger Ressourcen man bekommen hat, desto mehr Aktionspunkte bekommt man (und vielleicht auch mal ein Bonusplättchen). Hinter jeder Aktion verstecken sich in Wahrheit mehrere mögliche Aktionen, die man – je nach Menge der Aktionspunkte – mehrfach ausführen kann. Ein Beispiel: Die Händleraktion erlaubt es, dass man den eigenen Händler auf der Landkarte bewegen darf, je 1 Feld pro Aktionspunkt, man darf aber auch für einen Punkt in der Stadt, in der der Händler steht, ein Haus bauen oder aber (sofern vorhanden) das Bonusplättchen aus der Stadt nehmen, in der der Händler steht. Oder nehmen wir die Charakter-Aktion: Entweder man nimmt sich ein Charakterplättchen für 1 Punkt in sein Lager oder man tauscht alle verfügbaren Charakterplättchen aus oder man platziert einen Charakter aus seinem Lager in die Häuser auf dem eigenen Spielplan. Da gibt es dann auch noch diverse Stockwerke und je höher, desto mehr Aktionspunkte braucht man.
Was die Beispiele zeigen sollen: Die Entscheidung für einen Würfel ist gar nicht die Entscheidung für einen Würfel. Klar, manchmal geht es einfach nur um die Rohstoffe. Aber meist geht es um die Aktion die dahinter steckt und darum, wie viele Aktionspunkte man denn überhaupt bräuchte, um die eigenen Pläne umzusetzen. Und letztlich darum, welche Aktion denn überhaupt Sinn macht. Die Entscheidungen in Tiletum sind also alles andere als simpel, sondern (ver)brauchen ordentlich Hirnschmalz. Gleichzeitig sind die verfügbaren Aktionen aber stark durch die Würfel beeinflusst, die man zu Beginn einer Runde wirft. Im Herzen ist es aber eigentlich ein Workerplacent-Spiel bei dem das Workerplacen durch ein Dice-Drafting ersetzt wurde. Eine Mischung, die mir sehr gut gefallen hat. Doch erst noch ein wenig zu den übrigen Mechaniken.
Der Ablauf des Spiels ist überraschenderweise eigentlich wirklich simpel: Erst werden die Würfel verteilt, dann wird die Korruption bestimmt, dann darf reihum jeder einen Würfel nehmen und die Aktionen ausführen. Hat jeder drei Würfel gibt es Siegpunkte für nicht-korrupte Spielende und Minuspunkte für korrupte und anschließend gibt es einen Markttag (bzw. eine Messe), an dem nur Spielende teilnehmen dürfen, die in der jeweiligen Stadt einen Händler oder ein Haus haben. Hier kann es dann Siegpunkte regnen, wenn man die (natürlich variablen) Bedingungen erfüllt. Dann wird noch einmal aufgeräumt und nachgefüllt und die nächste Runde startet. Natürlich gibt es noch „Nebenaktionen“, die man jederzeit ausführen kann, wie bspw. Aufträge erfüllen, Waren tauschen oder Wappen für Boni einsetzen oder eben Kathedralen bauen. Nach insgesamt grade mal vier Markttagen ist dann auch schon Schluss und es wird abgerechnet. Man hat also nur 12 Mal die Wahl eines Würfels.
Abgerundet wird das Ganze durch einen Solomodus von (natürlich) David Turczi, diesmal aber zusammen mit Jeremy Avery. Und „Modus“ ist hier wirklich wörtlich gemeint. Neben zusätzlichen Komponenten (Automata-Karten) gibt es nämliche eine komplett eigene Anleitung für den Solobetrieb des Spiels.
So. Nun und nun zum eigentlichen Knackpunkt einer jeden Rezension: Dem Spielspaß. Ich gebe es gern zu. Das Thema hat mich nicht unbedingt angemacht. Und auch optisch fand ich Tiletum auf den ersten Blick – wie schon gesagt - nicht grade ansehnlich. Nach dem Spielen finde ich es immer noch nicht schön, aber alles hat seinen Platz und ist sehr übersichtlich und schön groß; erfüllt also absolut seinen Zweck. Und die Optik passt halt wirklich zum Thema (ich weiß, ich wiederhole mich). Hierdurch ist das Gesamtbild insgesamt rund und stimmig und insofern hatte Tiletum nach dem Spielen durchaus einen (verstaubten, mittelalterlichen) Charme. Nur die Farben der Würfel fand ich etwas suboptimal gewählt, muss ich sagen, denn bei hellblau, hellgrau und dunkelgrau kommt man schon mal schnell durcheinander. Sieht man dazu dann die grellbunten Spielendenfiguren, fragt man sich schon, warum da nicht mehr Farbe für die Würfel übrig war. Aber sei’s drum, man gewöhnt sich dran.
Spielerisch wird hier im Gegensatz zur spartanischen Optik Großes geboten. Tiletum hat mich mit seinen diversen Kettenreaktionen, die man auslösen kann, total in seinen Bann gezogen. Wie viel Spieltiefe in dermaßen wenige Regeln passen kann, fand ich wirklich richtig gut. Stellenweise fühlte ich mich wie in einem „Ganz schön Clever – Das Workerplacement…äh….Dice-Drafting-Spiel“. Und anders bei z.B. Arnak muss man sich hier die Kettenreaktionen nicht hart erarbeiten und gründlich vorbereiten, sondern sie sind fast immer einfach da und man muss nur die für sich beste Abzweigung wählen. Bei all meiner Begeisterung muss ich allerdings gestehen, dass ich bislang keins der anderen (? zählt Tiletum denn überhaupt dazu, trotz des anderen Settings?) berüchtigten T-Spiele gespielt habe und daher vieles für mich neu war. Vom Hören-Sagen her würde ich aber vermuten, dass für T-Spiel-Kenner das Ganze gar nicht so neu ist, aber eben neu gemischt und aufgefrischt. Zum Beispiel habe ich den Kreis mit den Würfeln schon mal bei Tekhenu gesehen, da war die Mechanik dahinter aber anders. Doch wie gesagt, wirklich einschätzen kann ich diese Vergleiche nicht. Was ich aber sagen kann, ist, dass mir Tiletum wirklich richtig viel Spaß (und bei der ersten Partie auch echte Kopfschmerzen) gemacht hat. Wenig Regeln, viel Tiefgang. Und das „Schlimme“ ist, dass jede Aktion Sinn macht und man eigentlich immer alles machen möchte und man immer am Suchen ist, was von den ganzen Möglichkeiten denn nun am sinnvollsten ist. Grundsätzlich eine tolle Sache….
Ein kleines ABER muss nun aber natürlich doch kommen. Das Spiel skaliert die Anzahl der Würfel sowie die freien Plätze und Bonustiles etc. nach der Zahl der Mitspielenden. Das führt dazu, dass sich Tiletum mit 2, 3 oder 4 Spielenden gleich anfühlt, was natürlich super ist, zumal sich die Interaktivität am Tisch darauf beschränkt, sich gegenseitig die Sachen wegzunehmen, die die anderen brauchen. ABER: Zu viert steigt die Downtime aufgrund der Kettenzüge ordentlich an. Und wenn man dann noch Menschen am Tisch hat, die keine Bauchspieler sind (und die ja erst wirklich ihre Optionen sehen, wenn sie dran sind), dann kann sich das Spiel durchaus quälend in die Länge ziehen. Daher: am besten zu zweit spielen oder mit ausschließlich Bauchspielenden (wobei es auch dann etwas länger werden kann).
Und nun zum Schluss kein Aber, aber ein echtes (aber behebbares) Manko, dass ich erwähnen muss, weil es mich einfach geärgert hat: Wirklich schade finde ich, dass die Ikonographie zwar einerseits wirklich gut gewählt wurde und man eigentlich alles versteht, man sich aber schon ein wenig einarbeiten muss. Wirklich ärgerlich finde ich aber, dass es keinerlei Spielerhilfe gibt. Und wenn sich dann mehrere Aktionsmöglichkeiten, die mitunter noch Sonderbedingungen bei der ersten Durchführung haben, hinter einem einzigen Symbol „verstecken“, dann hat man das nicht unbedingt immer alles im Kopf….insbesondere nicht in der ersten Partie oder nach einer längeren Pause mit dem Spiel. Zwar sind einige dieser Dinge auf dem Spielfeld und den Playerboard selbst zu sehen (wenn man denn weiß, wo man gucken muss), aber eigentlich auch nur dann zu verstehen, wenn man genau weiß, was gemeint ist. Eine Spielerhilfe wäre hier also ein Muss gewesen. Gut, man kann die (sehr gute!) Anleitung nehmen, aber hat dann auch zig Seiten mit Aktionserklärungen und Ikonographie vor sich und blättert ständig hin und her. Hm. Aber gut, kann man sich ja basteln oder auf die BGG-Community hoffen, insofern tut das dem Spielspaß keinen echten Abbruch und ist eher meckern auf hohem Niveau. Schön wäre es trotzdem gewesen.
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Tiletum von Daniele Tascini und Simone Luciani
Erschienen bei Board & Dice
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