Na, hast du auch in deiner Jugend davon geträumt total verrückte Filme mit abstrusen Handlungen zu drehen? Das bei Kean Bean erschiene Roll Camera! Des Autors Malachi Ray Rempen (Itchy Feet) macht es dir – zumindest auf spielerischer Ebene – jetzt möglich Filme wie „Beloved skeletons in my closet“ o.ä. auf die Leinwand zu bringen. Kean Bean ist der Eigenverlag von Rempen, in welchem er seine Spiele aber auch den Web-Comic Itchy Feet veröffentlicht. Die für ihn charakteristischen Bohnenfiguren des Web-Comics, welchen er auch selbst zeichnet, findet man auch in Roll Camera! wieder. Wenig verwunderlich, denn Rempen zeichnet sich auch für die grafische Gestaltung des Spieles zuständig. Der in Berlin lebende, reisebegeisterte Spieleerfinder hat das Spiel nahezu im Alleingang umgesetzt. Soviel sei vorweggenommen: Man würde dies angesichts der Gestaltung und des Produktdesigns nicht vermuten. Erst recht nicht mit dem Vorwissen, dass es erst Rempens zweites Spiel überhaupt ist.
Roll Camera! ist ein kooperatives Diceplacement-Spiel. Wir versuchen gemeinsam (1-4 SpielerInnen) einen Film zu drehen. Dabei setzen wir Würfel auf Einsatzfeldern ein und lösen damit Aktionen aus. Ziel ist es einen guten oder hundsmiserablen Film zu drehen bevor uns das Geld oder die Zeit dafür ausgeht. Keine Angst! Wir spielen nicht in Echtzeit. Vielmehr werden Zeit und Geld auf einem Dialcounter angezeigt und verbrauchen sich durch Aktionen und Spielzüge. Ist eines von beidem aufgebraucht, ohne dass wir fünf Filmszenen aneinandergereiht haben, so verlieren wir das Spiel. Im Spiel selbst übernehmen die Spielenden jeweils die Rollen von Mitgliedern der Crew (z.B. Editor, Producer, Director...). Dies ist insofern von Bedeutung, als dass mit jeder Rolle besondere Aktionsmöglichkeiten einhergehen. Neben den allgemeinen Würfeleinsatzfeldern auf dem Spielbrett gibt es nämlich noch persönliche Würfeleinsatzfelder auf den jeweiligen Spielertableaus. Diese bieten spezielle Aktionen, können aber auch nur vom Rolleninhaber genutzt werden.
Schauen wir uns die Würfel an, so sehen wir auf Ihnen sechs verschiedene Symbole, welche wiederum für verschiedene am Film beteiligte MitarbeiterInnen stehen. So kann man bspw. Schauspieler, Ton- und Kameraleute erwürfeln. Wirklich Relevanz hat diese Einordnung aber nur, wenn ich die Würfel am Set einsetze. Bei den meisten anderen Aktionen reicht es einfach Würfel einzusetzen – oft aber noch mit der Bedingung verknüpft, dass sie vom selben Typ sein müssen. Dafür möchte ich aber noch einmal einen Schritt zurück gehen und auf den Zugablauf schauen. Dieser gestaltet sich wie folgt:
1. Problemkarte ziehen
2. Crew-Würfel werfen
3. Würfel einsetzen und Aktionen durchführen
4. Würfel abräumen
5. Zeit voranschreiten lassen und Zeit/Geld-Anzeiger weitergeben
Das Weitergeben des in der letzten Zugphase benannten Anzeigers ist deshalb wichtig, weil er anzeigt, welcher der Mitspielenden aktiv ist. Diese Person führt nämlich beinahe alle Handlungen eines Zuges alleine durch. Je nach gewählter Schwierigkeit und Spieleranzahl haben die Spielenden 8-11 Züge zur Verfügung um das Spiel zu gewinnen, wobei man noch zu zusätzlicher Zeit/Zügen durch Aktionen gelangen kann. Am Zug wird als erstes eine zufällige Problemkarte aufgedeckt. Diese wirft ein Problem für die Filmproduktion auf und bleibt so lange im Spiel bis die Karte durch den Einsatz von Würfeln entfernt wurde. Üblicherweise blockieren Problemkarten Aktionsmöglichkeiten oder verteuern Aktionen. In Phase 2 werden die sechs Würfel geworfen, welche in Phase 3 dann eingesetzt werden. Es gibt dabei keinen Nachwurf. Man muss also mit dem vorliegenden Wurf arbeiten. Ein wenig hilft, dass VFX-Würfel Joker sind und damit für jedes andere Symbol gelten. Manipulieren lässt sich der Wurf nur durch einzelne Aktionsfelder oder das Ausspielen von Ideenkarten. Das Ausspielen jener Karten ist eine der Aktionsmöglichkeiten der Phase 3. Wie bereits geschrieben findet man spezielle Aktionsmöglichkeiten auf den jeweiligen Spielertableaus. Die zentralen Aktionsmöglichkeiten finden sich jedoch auf dem Spielbrett. Derer wären:
• Einsatzfelder um Problemkarten loszuwerden
• Felder um Ideenkarten ins Spiel zu bringen
• Ein Feld um einen Würfel auf eine beliebige Seite zu drehen
• sowie ein Feld um Set Pieces zu kaufen, zu platzieren und umzurangieren
Auf eben jenen Set Pieces lassen sich nämlich ebenfalls Würfel einsetzen. Hier erfolgreich einzusetzen, ist unser vorrangiges Ziel. Denn im Storyboardbereich des Spielbrettes liegen Karten des Scene Decks aus. Auf diesen Karten sind Würfelarrangements von vier bis fünf Würfeln vorgegeben, welche wir herstellen wollen. Gelingt uns das, so können wir die Scene-Karte abgreifen und im Editing Room-Bereich des Spielbrettes ablegen. Wir haben dann eine von fünf Szenen des Films gedreht. Jedes Scene Tile besteht aus vier Feldern, manche davon blau. Auf blauen Feldern lassen sich die Würfel einsetzen. Manche Felder haben zudem Vorgaben, welcher Würfel auf Ihnen platziert werden kann. Erwerben wir ein Scene Tile, so müssen wir es sofort im Set-Bereich des Spielfelds platzieren. Dies ist ein 5x5-Raster von Feldern, welches Anfangs nur ein einziges blaues Feld in der Mitte hat. So lässt sich noch kein Film drehen. Folglich müssen wir Set-Pieces kaufen und so geschickt im Set auslegen, dass sich damit die Vorgaben der ausliegenden Scene-Karten erfüllen lassen. Immer wieder wird es dafür auch nötig die Anordnung in unserem Set anzupassen. Je nachdem von welcher Stelle des Storyboards aus wir die Scene-Karten erfüllen, erhalten wir Strafen oder Boni. Die Qualität unseres Filmes könnte fallen oder wir könnten Zeit gewinnen. In jedem Fall kostet es uns Geld eine Szene zu drehen. Und wir erinnern uns: Geht uns das Geld aus, so verlieren wir ebenfalls das Spiel. Auf einigen der Scene-Karten sind zudem noch Qualitätssymbole abgebildet, welche die Qualität unseres Filmes steigen lassen. Auf der 17-stufigen Qualitätsleiste wollen wir bei Beendigung des Filmes entweder auf den obersten sechs Feldern stehen oder auf dem letzten Feld. Unser Film soll also gut werden oder so furchtbar schlecht, dass er schon wieder gut ist. Mit einem mittelmäßigen Film verlieren wir!
Wer denkt, es wäre einfach einen richtig schlechten Film zu drehen, der irrt. Einen Ed Wood-mäßigen Streifen hinzubekommen und damit Roll Camera! zu gewinnen ist meiner Einschätzung nach deutlich schwieriger, als mit einem guten Film das Spielziel zu erreichen. Ein weiterer Weg die Qualität unseres Films zu verbessern ist das zweiteilige Script. Bestehend aus zwei Karten gibt dieses vor welche Art Szenen in welcher Folge am Ende der Produktion auf den fünf Feldern des Editing Room ausliegen sollen. Dazu ist zu sagen, dass die Scene-Karten fünf verschiedene Farben haben, welche jeweils für Genres stehen. So könnte die Auslage des Scripts beispielsweise belohnen, dass möglichst viele lila Scene-Karten (Comedic) ausliegen. Als weiteren lustigen Nebeneffekt generieren die beiden Script Cards auch den Namen unseres Filmes. Dabei können dann Filme wie „Very attractive knive-wielding maniacs“ herauskommen.
Neben dem Einsetzen der Würfel auf den Set Pieces und dem Kaufen der Set Pieces ist ein weiteres sehr bedeutendes Feld das Einsatzfeld Production Meeting. Hier werden im eigenen Zug die Mitspielenden richtig aktiv eingebunden. Da wir ein kooperatives Spiel spielen, sollte man Handlungen auch bei den anderen Aktionen absprechen. Beim Produktionsmeeting ist Absprache jedoch vollkommen unerlässlich. Wird das Production Meeting einberufen, so spielen drei Mitspielende (der aktive Spieler wählt diese aus) jeweils eine Ideenkarte von der Hand. Liegen alle Karten aus, wird sodann diskutiert, welche der Karten sofort gespielt, welche für später auf die To-Do-Liste gesetzt und welche Karte verworfen wird. Da man vor dem Ausspielen der eigenen Karte nicht benennen darf was diese kann, kommt es naturgemäß, zu ordentlichen Diskussionen darüber, welche Karte man nun umsetzt. Typische Effekte der Karten wären bspw. Würfelmanipulation, Geld-, Zeit- oder Qualitätsbeschaffung. Die dritte Idee, welche ja weder umgesetzt noch verworfen wurde, wird neben einem der To-Do-Aktionsfelder platziert und kann in Folge dann durch Würfeleinsatz ebenfalls noch ausgelöst werden.
Nachdem alle Würfel eingesetzt und Aktionen durchgeführt wurden, werden die Würfel auch schon wieder zurückgenommen. Einzige Ausnahme: Würfel auf Set Pieces mit welchen man noch keine Szene gedreht hat. Bei diesen können wir uns dazu entscheiden sie liegenzulassen um damit möglicherweise dem nächsten Spieler das Drehen einer Szene ein wenig zu erleichtern. Nach dem Zurücknehmen wird dann auch nur noch die verbleibende Zeit auf dem Anzeiger um eins gesenkt und dieser dann an die nächste Person weitergegeben, welche/r in der nächsten Runde dann aktive SpielerIn ist.
Es gibt einige Dinge, welche mir an Roll Camera! wirklich gut gefallen. Zuvorderst möchte ich dabei das Produktdesign und die humoreske Gestaltung nehmen. Die Materialqualität und ebenso die graphische Gestaltung sind in meinen Augen vorbildlich. Gut gefällt mir auch wie das Thema mit einem Augenzwinkern umgesetzt wurde. Sehr dazu bei tragen die Bohnenfiguren. Sie machen das Design ein wenig eigenwillig aber definitiv unverwechselbar. Groß finde ich auch, dass bei der Bebilderung der Karten viel Arbeit investiert wurde. Die Karten sind von der Symbolik einerseits total klar, doch stets individuell. So hat jede Szenenkarte des Spiels auf Vor- und Rückseite eine individuelle Bebilderung. Aber es gibt noch mehr Stellen, an denen man merkt, dass dieses Spiel kein Schnellschuss war. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Dialcounter nennen. Er ist auf der Rückseite so gestaltet, dass man zu Spielbeginn ohne Hinzunahme der Spielregel die gewünschte Schwierigkeit für die jeweilige SpielerInnenanzahl einstellen kann. Positiv hervorheben möchte ich auch, dass sich das Spiel gut, im Grunde fast ohne Anpassung, solo spielen lässt. Die Spielregeln sind zudem sehr klar formuliert und schnell erklärt. Durch Hinzunahme des Elements Production Company Cards lässt sich die Komplexität des Spieles noch ein wenig anheben. Im Spiel selbst hat mich ein wenig gestört, dass man sehr stark damit beschäftigt ist die Problem Cards immer und immer wieder aus dem Spiel zu nehmen. Auch an anderen Stellen fühlt sich das Spiel ein wenig klemmig an. Die vorgegebenen Script Cards lassen sich kaum ändern und auch die ausliegenden Scene Cards bekommt man nicht wirklich sicher getauscht. Selbiges gilt auch für die Scene Tiles. Hier kommt man immer nur an die obersten Tiles der beiden Stapel heran. Möglichkeiten hier Einfluss zu nehmen hat man nur, wenn eine bestimmte Rolle im Spiel ist oder die passenden Problem- oder Ideenkarten kommen und darauf kann man nicht bauen. Es gilt also irgendwie mit der Auslage rumzuwurschteln. Das schränkt die Handlungsmöglichkeiten schon arg ein - für mein persönliches Spieleglück sogar ein wenig zu viel. Richtig gut gefällt mir hingegen das Element des Production Meetings. Hier kommt wirklich Interaktion auf und man spürt das kooperative Element des Spiels. Seine volle Stärke entfaltet Roll Camera! sicherlich, wenn man ein wenig ins Rollenspiel-Element geht und die entsprechenden Aktionen nicht nur abhandelt sondern die wirklich guten Flavourtexte der Karten auch vorliest und beim Production Meeting in der jeweiligen Spielerrolle wie Director oder Editor auch für Ideen argumentiert. Passenderweise hält die Regel in diese Richtung gehend auch fest, dass am Spielende der Film Premiere zu feiern hat und man sich gegenseitig den Film entsprechend der Scene-Karten im Editing Room erzählen soll. Für Spielende, welche sich gerne auf so etwas einlassen kann Roll Camera! ein schönes kooperatives Spiel sein, welches durch die anpassbare Schwierigkeit auch länger Herausforderung bietet. Für dieses Jahr ist zudem auch schon die B-Movie-Erweiterung angekündigt. Obwohl viele Aktionen des Spieles sprachfrei sind, würde ich es auf Grund der Texte auf den Karten nur Spielegruppen mit guten Englischkenntnissen empfehlen.
Um abschließend noch einmal den Bogen zum Kleinverlag Keen Bean und Spieleautor Malachi Ray Rempen zu schlagen: Meiner Meinung nach ist Roll Camera! ein wirklich gutes Werk für einen Autor, welcher so frisch in der Brettspielbranche ist. Bei vielen Spielen von Kleinverlagen hat man ja oft das Gefühl, dass dem Spiel noch ein wenig redaktionelle Bearbeitung wirklich gutgetan hätte. Mit Roll Camera! setzt Rempen aber meines Ermessens eine wirklich starke Duftnote, welche auf mehr aus dem Verlag Keen Bean hoffen lässt.
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Roll Camera! von Malachi Ray Rempen
Erschienen bei Keen Bean
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 45- 90 Minuten ab 10 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Keen Bean)