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18.12.2021

Purple Haze


Gooooooooood Moooooorning Booooaaaardgaaaamemooooonkeyyyyyys! Wer sich hier an einen berühmten Anti-Kriegsfilm der 80er-Jahre erinnert fühlt, ist thematisch schonmal im richtigen Setting. Auch in
Purple Haze geht es um den Vietnamkrieg. Und um es direkt ganz offen zu sagen: Das Thema und dessen Umsetzung sind durchaus schwierig. Da hätte es meiner Meinung nach ein fiktiver Krieg genauso getan. Vor allem auch, weil die Mechaniken vor dem geschichtlichen Hintergrund einen leicht bitteren Beigeschmack hinterlassen. Ein Thema allein macht aber – wie wir wissen – noch lange kein vollständiges Spiel, sondern die Mechaniken sind des Pudels Kern. Insofern schauen wir uns den Rest doch erstmal an:

Da wir einen Prototypen vorliegen hatten, ist eine abschließende Einschätzung über die Qualität der Komponenten nicht möglich. Das was bisher da ist, machte aber einen optisch durchaus guten Eindruck. Rein von seinen Mechaniken her ist Purple Haze auch kein hoch-taktisches Strategiespiel, sondern ein storygetriebenes Dungeoncrawler-Kampagnenspiel, nur dass der „Dungeon“ nun eben ein reales Kriegsgebiet ist. Wir spielen hier nämlich kooperativ einen 6köpfigen Trupp an US Marines und haben in jeder Mission einerseits ein Primärziel (Pflicht) sowie weitere Sekundärziele (Kür). In den uns vorliegenden drei Missionen handelte das Primärziel dabei immer davon, einen bestimmten Punkt auf der Map zu erreichen. Apropos Map: Jede Mission kommt mit einer eigenen daher, so dass hier kein Puzzlen von Maptiles notwendig ist.


Jede Mission ist zudem in eine Story verpackt, die verschiedene Wege und Wendungen nehmen kann. Hierfür gibt es ein Missionsbuch im Stile eines klassischen Abenteuerbuchs. Dazu kommen Begegnungs-Karten, auf denen nur ganz kurze Textzeilen und viele mögliche Belohnungen/Strafen ohne weiteren Text stehen. Die Spielenden sind dann aufgefordert, auf Wunsch ihre eigenen „Story-Brocken“ einzuflechten, ganz wie in einem Rollenspiel. Wer hierfür auf Inspiration angewiesen ist, soll Tipps und Hinweise im Missionsheft erhalten (diese waren bislang nicht dabei). Wer das nicht braucht, lässt es einfach weg. Im Kern ist das ein schöner Ansatz für all jene, die gerne eine übergreifende Story hätten, denen aber Flavour-Texte auf Karten immer zu viel Gelaber sind.

Während der Missionen erhält man außerdem diverse Schlagwörter "verliehen", die man sich notiert. Gelangt man dann an ein Story-Event, können diese Schlagwörter wiederum den Fortgang der Story verändern. Und das durchaus gravierend. Ein Beispiel: In Mission 1 gibt es drei Story-Events (die man durch Marker auf dem Spielfeld triggert). Gelangt man zur Nummer 2 gibt es je nach gesammelten Schlagwörtern drei verschiedene Absätze, an denen man weiterlesen muss, sowie einen bei dem man gar nicht mehr liest. Liest man dann am geforderten Absatz weiter, wird man in der Regel vor eine Entscheidung gestellt. Je nach Entscheidung folgen dann oft Belohnungen, Strafen oder weitere Absätze, an denen man weiterliest. Dies führt dazu, dass allein für Mission eins – mit drei Story-Events – aktuell 33 unterschiedliche Absätze im Missionsbuch stehen. Anders als bei vielen anderen Kampagnenspielen ist hier der Wiederspielreiz also durchaus hoch – wenn man denn die verschiedenen Storys erleben möchte - denn viele sind optional. Außerdem wartet am Ende einer Mission in der Regel unabhängig vom gewählten Weg in der Regel storytechnisch immer das gleiche Ende und nur die Belohnungen/Strafen ändern sich.


Wie in jedem guten Dungeon-Crawler gibt es verschiedene Charaktere mit unterschiedlichen Spezialisierungen. Eine schöne Idee bei Purple Haze ist, dass die Spezialisierungen von den eigentlichen Charakterkarten getrennt sind und man sich diese im Laufe der Kampagne durch Erfahrungspunkte verdienen muss. Auch hat jeder Charakter bestimmte Eigenschaftswerte, die im Laufe des Spiels mittels Proben herausgefordert werden. Es kommt also durchaus Rollenspielflair auf. Das Besondere an Purple Haze im Vergleich zu anderen Dungeon Crawlern ist aber: Es spielt nicht jeder am Tisch einen Charakter, sondern alle am Tisch steuern alle sechs Marines und entscheiden gemeinsam, wer welche Probe ablegen muss, etc. Dies mindert den Rollenspielflair natürlich deutlich.

Herzstück des Spiels ist aber tatsächlich das Proben-Würfeln. Wobei die Eigenschaftswerte nicht einfach nur einen Würfelwert angeben, den man „treffen“ muss. Sie bestimmen die Anzahl an roten Würfeln, die man bei Proben werfen darf. Gleichzeitig wirft man dann immer auch blaue Würfel, deren Anzahl von der Probe festgelegt wird. Einen Erfolg hat man, wenn ein roter Würfel die gleiche Zahl zeigt, wie ein blauer. Und bei manchen Proben kommen dann noch weiße Würfel ins Spiel. Die weißen Würfel stellen die (im Spiel immer unsichtbaren) Gegner dar. Auch hier gilt es als Erfolg, wenn ein weißer Würfel zu einem blauen passt. Die Differenz aus eigenen Erfolgen und Gegnererfolgen ergibt dann das Endergebnis. Und wie in jedem ordentlichen Rollenspiel bzw. Dungeoncrawler gibt es viele Dinge, mit denen man die Würfelei beeinflussen kann. Da werden Würfel dazu- oder weggenommen, dürfen neu gewürfelt werden, etc.

Aber nicht nur die Proben sind hier ein wenig anders, als in anderen Spielen des Genres, sondern auch die Bewegung. Da immer der gesamte Trupp bewegt wird, haben wir keine Aktions- oder Bewegungspunkte zur Verfügung, sondern jeder Schritt kostet Zeit (abhängig vom Terrain) und Erschöpfung und bringt immer auch Bedrohungspunkte mit sich (die sich nachts sogar noch erhöhen). Und auch die Gegner stehen nicht einfach in der Gegend rum - denn sie sind unsichtbar -, sondern greifen immer dann an, wenn der Bedrohungsmarker in kritische Regionen vorstößt.
Um die Gesundheit der Marines zu erholen, die Erschöpfung der Truppe zu kurieren oder die Schwerverletzten zu evakuieren (damit man sie später in der Kampagne noch einsetzen darf), kann man jederzeit Campen – was aber ebenfalls die Bedrohung ordentlich erhöht. Nach jeder Bewegung erwartet unseren Trupp dann grundsätzlich entweder ein Story-Event (wenn man einen entsprechenden Marker betreten hat) oder eine Begegnung. 


Und auch bei den Kämpfen läuft vieles anders, als bei anderen Vertretern des Genres. Es wird eine Karte aufgedeckt, auf der eingetragen ist, wie viele Angreifer es gibt und welchen weißen Würfelwert (= Gesundheit) diese jeweils haben. Außerdem kommt eine Initiative-Leiste zum Zuge, die immer angibt, ob aktuell die Marines oder der Vietcong am Zug ist. Zudem darf nun jeder Marine maximal einmal genutzt werden. Auch die Reichweite des Angriffs bzw. der Gegner wird über die Karten (inkl. der eigenen Waffenkarten) bestimmt. Sowas wie eine „Sichtlinie“ gibt es hier aber nicht, zumal ja auch keine Figuren irgendwo rumstehen. Der Kampf selbst läuft dann für die Marines über die Proben, wie sie oben beschrieben wurden (ohne weiße Würfel) und für den Vietcong über Chips, die man aus einem Beutel zieht. Bekommen die Marines Schaden, können sie zudem eine Ausweichprobe ablegen. Kurzum: Es wird genretypisch recht viel gewürfelt, was einem manchmal ein wenig auf den Keks gehen kann (zumal man die Ausweichprobe ja für alle getroffenen Marines würfelt und nicht nur für "sich selbst"). Ein Kampf endet, wenn alle Gegner besiegt wurden, man weniger als drei Marines übrig hat (= Szenario verloren) oder alle Marines aktiviert wurden. Dann folgt eine Wertung in Abhängigkeit von der Anzahl besiegter Gegner, in der sich die Bedrohung reduziert sowie Erfahrungspunkte und Gegenstände gesammelt werden, gleichzeitig aber auch psychische Probleme (in Abhängigkeit von der Anzahl der Verletzungen) eintreten.

Womit wir beim nächsten Thema wären: Jeder Marine hat sowohl einen physischen als auch einen psychischen Gesundheitswert. Sammelt man entsprechend viele Schadensmarker eines Typs an, muss man eine entsprechende Verletzungskarte ziehen. Diese bringen Nachteile während des Spiels und reduzieren immer auch die Basiswerte des Marines. Fällt einer dieser Werte auf 0 kann der Marine für den Rest der Kampagne nicht mehr eingesetzt werden – gleiches gilt, wenn ihm eine Purple Heart Medaille verliehen wird und er deswegen evtl. nach Hause geschickt wird. Es kann aber auch passieren, dass man einen Marine unterwegs „verliert“ und diesen erst deutlich später in der Kampagne wiederfindet. Und aprops Kampagne: Während man körperliche Verletzungen nach einer Mission ausheilen kann, bleiben mentale Schäden innerhalb der Kampagne erhalten.


Was man Purple Haze trotz des sicherlich diskussionswürdigen Themas  zu Gute halten muss ist, dass das Spiel in der Zusammen- und Umsetzung seiner Mechaniken unfassbar thematisch ist. Alles macht innerhalb des Settings irgendwie Sinn, was dazu führt, dass die Regeln schnell verinnerlicht, aber auch schnell erklärt sind. Und das trotz des (aktueller Stand im Prototyp) 46seitigen Regelwälzers. Auch die Iconographie passt und macht größtenteils Sinn und geht dadurch recht flott ins Gedächtnis – trotz der rund 80(!) verschiedenen Symbole. Wobei es hier auch Ausnahmen gibt, doch dazu gleich mehr.
Trotz aller Besonderheiten bleibt es aber im Kern ein Dungeoncrawler, der mit einigen netten Kniffen  - aber auch einigen Eigenarten - aufwarten kann.

Doch nun das Wichtigste: Macht Purple Haze denn Spaß? Treibt die Story das Spiel wirklich an? Schließlich schreiben sich die Macher selbst das Thema Story ganz groß auf die Fahne (und in die Anleitung). Zur Story möchte ich nicht spoilern, allerdings sollten alle, die schonmal einen beliebigen Kriegsfilm gesehen haben, die Grundzüge kennen. Wirklich Neues oder Innovatives wird hier erzählerisch nicht geboten. Dafür gibt es viele Klischees und erwartete Entwicklungen - zumindest in den uns vorliegenden 3 Missionen. Dies wiederum hätte für ein anderes Setting gesprochen. Aber ok, Die Abenteuer des Robin Hood haben ja auch keine neue Story erzählt und wurden zum Hit, da stört das hier vielleicht die meisten SpielerInnen ebenfalls nicht. Ein wenig Schade ist da, dass sich die erste Mission - wenn man das möchte - als "Speedrun" spielen lässt, die man beenden kann, ohne dass man auch nur einen einzigen Story-Fetzen abbekommt. Klar, zum Lernen der Regeln vielleicht ganz sinnvoll, aber es hinterlässt einen faden Beigeschmack, nach dem Motto "warum haben wir das jetzt gespielt?". Das ändert sich zum Glück mit den Missionen 2 und 3 (wie gesagt, mehr haben wir nicht zu sehen bekommen), in denen zumindest ein Teil der Story immer auch Pflicht ist.


Sieht man von der Story ab (die ja auch bei vielen anderen Dungeoncrawlern ehrlicherweise oft nur stiefmütterliches Beiwerk ist), entfalten die Mechaniken in ihrem Zusammenspiel durchaus ein gutes Spielgefühl, und das trotz fehlender „echter“ RPG-Komponente (ich habe halt keine Spielfigur, mit der ich mich identifizieren kann).  ABER: Einige wenige Dinge wirken noch nicht so wirklich rund bzw. sind auch einfach noch spärlich oder gar nicht erklärt. Da wären z.B. die Chips, die für die Gegner im Kampf aus dem Sack gezogen werden. Es gibt Marker, die zeigen, wie viel Schaden verursacht wird und wie weit sich die Initative ändert. Dann gibt es Marker mit roten Balken ("Taktikmarker"), die Auswirkungen auf den Kampfverlauf haben. Und dann gibt es einen Haufen Marker, der für mich überhaupt keinen Sinn ergeben hat, da neben der Initativeänderung einfach nur ein roter Würfel mit Neuwürfel-Symbolen abgebildet waren. Rote Würfel sind aber "meine" Angriffswürfel - und es ist kein roter Balken auf den Chips. Wie ich diese Chips also als Angriff werten soll, war mir schleierhaft, aber vielleicht stehe ich da auch einfach nur auf dem Schlauch - andererseits sind diese Marker auch gar nicht in der Komponentenliste des Spiels aufgeführt, also vielleicht noch ein Relikt aus der Entwicklung? Wer weiß... Ein anderes Beispiel: Bei den Ereignissen kann es vorkommen, dass man eine schwere Verletzung bekommt. D.h. man zieht eine Karte vom verdeckten Stapel. Das Ergebnis kann aber auch sagen, man soll eine Verletzung mit höherer oder niedrigerer Nummer nehmen. Da die Verletzungen aber zufällig gezogen werden, frage ich mich "höher oder niedriger als was? Und wer sucht die aus?" Das sind zwei Beispiele für einige kleinere Ungereimtheiten, die man beim Blick in die Anleitung niemals vermutet hätte, die sich aber im laufenden Spiel ergeben...und die leider aktuell nicht gelöst werden. Kurzum: die Anleitung samt Mechaniken benötigen noch etwas Feinschliff. 

Was bleibt also? Das ist schwierig. Einerseits bietet Purple Haze einen durchaus innovativen  und sehr thematischen Mechanik-Mix, der sich trotz der (auf den ersten Blick) durchaus komplexen Materie erstaunlich gut und flott und ohne große Downtimes spielt. Ich fürchte aber, dass mir das Spiel langfristig wenig Spaß machen könnte, denn letztlich ist der Mechanik-Mix nicht halb so komplex, wie es die Anleitung erscheinen lässt. Irgendwie fehlt mir einfach aktuell noch das "gewisse Etwas", ohne dass ich sagen kann, was dieses "Etwas" eigentlich ist. Vielleicht dann doch die Abwechslung, vielleicht liegt es am Thema, vielleicht....schwer zu sagen.
Durch den fehlenden Rollenspielaspekt bietet sich das Spiel meiner Meinung nach zudem eher für kleinere Spielegruppen an als für große. Denn zu viert oder gar sechst gibt es eben nicht für jeden eine echte "eigene" Aufgabe (außer die Ausweichrollen zu würfeln), so dass hier im schlimmsten Fall ein/e Alphaspieler/in komplett alleine spielt und andere nur zuschauen. Es macht auch keinen Sinn zu sagen, dass jede/r einen Marine "spielt", denn deren Aufgabe ist es, einmal pro Kampf zu würfeln. Zu zweit lässt es sich da deutlich besser diskutieren, wo man langgeht, etc. Oder man spielt es eben Solo. Das klappt auch, ist aber aufgrund der vielen Würfelei im Kampf dann auf Dauer doch etwas eintönig. Hm.


Ich will es daher mal anders formulieren: Ich glaube, in Purple Haze steckt ganz viel Potential, das aber noch nicht völlig ausgeschöpft wurde. Aber wie gesagt, wir haben nur einen Teil des Spiels zu Gesicht bekommen.

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Purple Haze von Bernard Grzybowski
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