Was für eine schicke Idee. Da macht man einen Spieleabend, lädt Kumpels oder befreundete Paare ein…und legt dann Unangenehme Gäste auf den Tisch. Wohlgemerkt ohne zu sagen, dass dies keine Anspielung ist. Und wenn man dann noch beim Regelerklären über die Startspielerregelung spricht, die besagt, dass Startspieler wird, wer für den Gastgeber am unangenehmsten ist und man dann noch jemandem den Startspieleraufsteller vor die Nase setzt….dann ist die Stimmung schon ganz schnell auf dem Höhepunkt des Abends angekommen. Hehe.
Abseits von Titel und Setting hört zwar der Humor des Spiels auch schon wieder auf (wenn man mal von den schrägen Charakteren absieht), aber der Spielspaß bleibt alles andere als auf der Strecke. Doch vorab eine Warnung: Wer Cluedo nicht mag, weil man mit Hilfe von Karten und den eigenen logischen Fähigkeiten des Rätsels Lösung herausfinden muss und wer mit Inkognito nichts anfangen kann, weil man ja nie weiß, welche Infos man da grade vom Gegenüber bekommt und welche der Mensch hinter seinem Sichtschirm noch so verstecken mag, der oder die kann nun einfach zu einem anderen Artikel wechseln und verpasst hier nichts. Wer aber Spaß an logischen, rein deduktiven Spielen hat und davon nicht genug bekommt, aber dem Cluedo vielleicht einfach zu simpel oder wegen der Würfelei zu nervig ist oder dem Inkognito schlicht wegen der Lautstärke des „Würfelmännchens“ oder dem Herumgelaufe nicht gefällt, der oder die darf nun auch aufhören zu lesen und sich Unangenehme Gäste einfach zulegen. Ich gebe zwar keine Garantie, ich würde aber wetten, dass Euch das Spiel gefällt. Ich jedenfalls finde es so richtig, richtig gut.
Und nun mal genug der Lobhudelei und mal ganz spoilerfrei: Worum geht es hier eigentlich? Die Box kommt mit rund 250 durchnummerierten Karten, ein paar Pappmarkern, einer schicken Ablage für Karten und einem Startspieleraufsteller (natürlich symbolisiert durch das Mordopfer), einem Block mit Notizblättern und Sichtschirmen für 8 Personen daher. Ein Spielbrett oder Ähnliches sucht man vergeblich, das braucht man aber überhaupt nicht. Denn hier wird die Spielmechanik auf eben das konzentriert, das deduktive Spiele so gut macht: deduktive Logik.
Nachdem man die sehr ausführliche Anleitung schnell durchgelesen hat, werden einem 39 Fälle in 7 Schwierigkeitsgraden von Anfänger bis sehr sehr schwer mitgeliefert. Jeder Fall besteht aus 70 benannten Karten, die man zunächst heraussucht, mischt und dann jeweils sechs davon an jede Person am Tisch verteilt. Moment mal, dachte ich mir da…70 Karten aus 250 und nur 39 Fälle? Hieß es nicht in der Werbung sinngemäß „3600 verschiedene Lösungen mit Millionen von Deckkombinationen“. Ja, heißt es, nur haben diese vielen Kombinationen wohl schlicht nicht in die Anleitung gepasst. Und so kann man für das Spiel eine App herunterladen, mit der sich zufällige Spielpartien erstellen lassen. Richtig gut ist dabei, dass sich die App merkt, welche Kombination man schon gespielt hat und generiert auf Wunsch bei jedem Durchlauf eine völlig neue Mischung. Das wirklich Großartige an der App ist aber, dass man, wenn man denkt, die Lösung herausgefunden zu haben, hier die Lösung per Dropdown-Menü eingeben kann und nur die Info „richtig“ oder „falsch“ erhält. Und das gilt auch für die Fälle aus der Anleitung! Ohne App muss jemand, der lösen möchte, dagegen in der Anleitung die Lösung nachschauen und ist sofort aus dem Spiel draußen (eben wie bei Cluedo). Hier wurde also eine App wirklich als reine Spielhilfe und optionaler Zufallsgenerator konzipiert. Zwingend brauchen tut man sie nicht. Sehr schön! Ein wenig schade ist allerdings, dass die App kein Deutsch spricht. Da aber die Personen gleich heißen und die Motive genauso sortiert sind wie auf den Bögen, beschränken sich die nötigen Fremdsprachenkenntnisse auf die Übersetzung der Mordwaffe. Notfalls hilft da Google, Deepl, Leo oder wie auch immer sie alle heißen.
Aber zurück zum Spielstart. Hat nun jeder die sechs Startkarten erhalten, macht man sich eiligst ans Notieren der Hinweise. Und das ist bei Weitem mehr als bei den „großen Alten“. Es geht nämlich nicht darum, wo der Mord geschah (denn der Tatort ist fix), sondern wer den Mord mit welcher Waffe und aus welchem Motiv begangen hat. Und ab dem mittleren Schwierigkeitsgrad stellt sich dann noch die Frage: Gab es einen Komplizen? Und wenn ja: Wer war‘s und warum? Und glaubt mir: Spätestens da fängt das Hirn dann langsam aber sicher an, im eigenen Saft nicht nur zu schmoren, sondern förmlich zu brutzeln.
Die Spielmechanik ist dabei wirklich simpel gehalten: Jede Karte bringt einen Hinweis mit sich und weist oben rechts eine Referenz sowie einen Informationswert auf. Die Referenz gibt an, zu welchem Gast und/oder Raum die Karte Infos liefert und der Informationswert (von 1 bis 3) weist aus, wie wertvoll diese Info ist (wer hätt‘s gedacht ;). Gleichzeitig zeigt die jeweilige Karte auf, wie man dies auf dem Ermittlungsbogen notieren sollte. Und das ist wichtig: Auf dem übergroßen Bogen notiert man nämlich welcher Gast während des Mordes in welchem Raum war, in welchem Raum er oder sie außerdem gesehen oder garantiert nicht gesehen wurde, mit welchen anderen Person die Person zusammen oder nicht zusammen war, welche Verletzungen an dem Opfer gefunden wurden, welche Waffen es nicht hätten sein können, wer vielleicht welches Motiv gehabt haben könnte oder welche Art von Motiv die Polizei ausschließt, durch welche Türen niemand hindurchging oder wieviele Personen in welchem Raum waren. Ihr seht: Das Ganze ist durchaus komplex (aber nie kompliziert!).
Wer an der Reihe ist, überlegt sich nun, zu welchem Raum des Anwesens oder zu welchem Gast er oder sie gerne Infos haben möchte und benennt davon zwei. Sehr schön gemacht ist dabei, dass hierfür die Rückseite der Anleitung herhalten darf und Papppfeile mitgeliefert wurden, mit denen man die gewünschten Infos markieren kann. So entfällt die leidige Nachfrage „was wolltest Du noch mal wissen?“ – und das vor allem im 2-Spieler Spiel, zu dem ich später noch komme. Schön ist auch, dass sich die Anleitungsrückseite in hoher Auflösung zum Ausdrucken auf der Homepage von Taverna Ludica herunterladen lässt (ebenso wie die Ermittlungsbögen, falls diese mal ausgehen sollten). Aber ich schweife wieder mal ab. Wurden die Wünsche geäußert, dürfen nun alle Spieler eigene Karten anbieten, die Hinweise zu den gewünschten Referenzen enthalten (aber nur solche!).
Hat jeder entschieden, welche Karten angeboten werden sollen, zählt man die Informationswerte der eigenen Karten zusammen und legt ein Plättchen mit dem Gesamtwert drauf. Der aktive Spieler darf nun wählen, von wem er oder sie Karten haben möchte. Die entsprechende Person muss dann mit Infos von mindestens gleichem Wert bezahlt werden, wobei die Referenz hier keine Rolle spielt. Dies kann man dann solange machen, bis man die Infos nicht mehr bezahlen kann – und das geht recht zügig, da man nicht mit frisch erhaltenen Infos handeln darf. Kann oder möchte niemand Infos liefern, bekommt der aktive Spieler drei Karten vom Stapel, darf sich die Infos notieren und legt diese sofort ab (auf die Kartenablage, die ich vorhin nannte und mit einer etwas sinnfreien „Classified“-Karte abgedecken – wir haben diese Karte nicht verwendet, da sie mehr störte und keinen Nutzen hat). Wer also alle Infos für sich behalten will, wird doppelt bestraft. Denn so bekommt man selbst eben auch keine neuen Infos und gleichzeitig entgehen einem exklusive Infos, die sofort aus dem Spiel sind.
Grade diese Phase, die mich sehr an Inkognito erinnert, ist das Herz des Spiels. Denn natürlich möchte jede am Tisch neue Infos haben und gleichzeitig keine wichtigen Infos an andere herausgeben. Ein Balanceakt, der es durchaus in sich hat. Ist der aktive Spieler fertig, kommen alle anderen am Tisch ebenfalls dran und dürfen Hinweise zu Referenzen erfragen und selbst tauschen (hier sind nun wieder alle Karten erlaubt). War jede einmal dran, legt jeder alle Karten bis auf drei ab. Oder anders formuliert: Exklusive Infos gehen hier für alle anderen erstmal verloren. Dann wird geheim entschieden, ob man den Fall lösen möchte oder nicht und alle, die lösen möchten, tun dies nun, indem sie ihre Lösung als erstes aufschreiben und dann geheim überprüfen. Wie schon geschrieben ist dies mit App besser, da man bei einer falschen Lösung weiter mitspielen kann und nur von der nächsten Lösungsrunde ausgeschlossen wird. Anschließend rückt der Startspieler einmal weiter, es werden neue Karten verteilt, bis jeder wieder sechs Stück hat und es geht von vorne los. Heißt aber auch: wer für zwei teure Karten alle seine Karten abgegeben hat, bekommt jetzt mehr neue Infos als alle anderen. Am Ende winkt also immer eine ausgleichende Gerechtigkeit für den Fall, dass man mal nur „billige“ Infos auf der Hand hat. Ist der Stapel einmal leer, wird die Ablage gemischt, drei Hinweise werden für alle offen hingelegt und dann wird mit dem restlichen Stapel weitergespielt.
Im Spiel zu zweit gelten ein wenig andere Regeln: Hier fordert man Hinweise zu vier Referenzen und nach einem Tausch werden die getauschten Karten abgelegt und wenn es mal kein Angebot gibt, dürfen nur zwei Karten geheim angeschaut werden. Dies führt zu weniger exklusiven Infos und einer etwas gestraffteren Spielzeit, macht aber genauso viel Spaß wie in größeren Runden (nur dass natürlich die Interaktivität am Tisch mit mehr Personen ausgeprägter ist). Und wer ganz allein mal ein Rätsel lösen will, darf dies mit Hilfe der App ebenfalls tun.
So. Wie ich das ganze finde, habe ich ja eingangs schon erwähnt: Während mich Cluedo durchaus langweilt und Inkognito immer die richtige Gruppe braucht und meiner Meinung nach nur zu viert so wirklich funktioniert, ist Unangenehme Gäste ein richtig geniales Deduktionsspiel. Hier wird eben nicht gesagt „wer hat ein Messer? – Keiner? – Ah!“ sondern „wer hat Infos zur Küche? – Aha, Claudette war nicht hier – Die Waffe muss aber die Bratpfanne gewesen sein, also war sie es nicht – aber das Hausmädchen hat entweder Claudette oder Greg hier gesehen – Also muss Greg hier gewesen sein – aber bei ihm sind alle Motive weg – also weiß ich jetzt immer noch nicht, wer es war“ oder „Stanley hat zwar ein Motiv, kam aber nie in der Garage vorbei, wo die Mordwaffe lag, also war er es nicht – aber die Berwick Schwestern waren hier und hätten sogar vermutlich ein Motiv – ich muss mal Infos zu den Schwestern anfordern“.
Wie ihr seht: Die Waffen liegen hier tatsächlich im Anwesen herum und eine Person, die den Mord begangen hat, muss von ihrer Startposition hinweg an dieser vorbeigekommen sein, damit sie den Mord begangen haben kann. Und damit noch lange nicht genug: Der Mörder lügt hier mitunter auch und auch sein Komplize lügt manchmal, wenn es denn überhaupt einen Komplizen gibt. Außer dem normalen „wer womit warum“ kommt also noch ein „wer lügt denn hier eigentlich?“, um überhaupt auf das „wer“ zu kommen. Und dann kommen noch die Berwick Schwestern dazu, die zwar als eine Person agieren, aber als zwei Personen zählen. Wenn also ein Hausmädchen sagt, dass 2 Gäste in der Vorhalle waren, dann kann es sein, dass es sich dabei nur um die Schwestern gehandelt hat. Beides sind sehr schöne Kniffe, um den Schwierigkeitsgrad anzuziehen. Aber auch das Deck und die Kartenstruktur machen hier einen wunderbaren Job! Eins sei daher ganz deutlich gesagt: selbst der erste der sieben Schwierigkeitsgrade fordert die grauen Zellen bereits mehr, als so manches andere Deduktionsspiel. Eine tolle, rundum gelungene Sache also und ausreichend Futter für ganz ganz viele Rätselabende. Ein echtes kleines Krimi-Juwel.
Seit dem Schreiben der Rezension hat sich einiges getan. Die App kann man mittlerweile auch auf Deutsch umstellen
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Unangenehme Gäste von Ron Gonzalo Garcia
Erschienen bei Taverna Ludica Games
Für 1 bis 8 Spieler in ca. 60 Minuten ab 12 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Taverna Ludica Games)