Prototypen sind wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt. Und auch wenn der gute alte Forrest Gump nicht im magischen Wald lebt, so heißt es auch bei den Magical Friends in Anlehnung an diesen Klassiker „Lauf, Freund, Lauf!“. Willkommen also beim schrägsten Waldrennen, das ich seit Langem gesehen habe!
Ist das nun gut oder schlecht, dass es schräg ist? Ich sag’s mal so: Wenn ihr Mario Kart (oder Sonic Racing oder eines der vielen anderen Funracer) mögt, lest weiter. Wenn nicht, sucht Euch vielleicht ein anderes Spiel, denn im Kern haben wir auch hier ein Wettrennen, bei dem es ständig eins auf die Mütze gibt und bei dem man noch unmittelbar vor der Ziellinie völlig unerwartet aus dem Rennen geschubst wird…wenn auch nicht durch einen blauen Panzer. Und anders als bei den erwähnten Videospielen, kommt ein rausgeschubster Freund auch nicht einfach so wieder ins Spiel zurück.
Wen das nicht abschreckt, dem sei schon mal an dieser Stelle gesagt, dass wir hier natürlich nicht von einem Kenner- oder gar Expertenspiel sprechen, aber das will das Spiel auch nicht sein. Doch Obacht: Ein Kinderspiel ist es definitiv auch nicht – und das ist durchaus zweideutig gemeint! Und, für mich fast noch wichtiger: Es ist alles andere als ein „Partyspiel“ – auch wenn das Setting sich rund um eine anstehende Party dreht und obwohl das Spiel den Spieleabend selbst durchaus zur Party werden lässt. Doch was ist denn hier jetzt eigentlich los und warum rennen die alle im Wald herum?
Der uns vorliegende Prototyp fällt eindeutig in die Kategorie „selbstgebastelt“, aber mit derartig toll gestalteten Komponenten und dermaßen viel Liebe zum Detail, dass es schon jetzt fast wie ein fertiges Spiel wirkt. Das Ganze kommt in einem comicartigen Look daher, der Klein und Groß anspricht und weder zu kitschig/albern/kindlich wirkt noch zu düster daherkommt. Das passt also schon mal wunderbar – zumal die Altersempfehlung bei 10+ liegt. Und das ist auch durchaus gerechtfertigt. Ein riesengroßes Kompliment möchte ich an dieser Stelle auch für das tolle Inlay anbringen: Tuckboxes für alle Karten und Würfel, ein „Ständer“ für die einzelnen Aufstellfiguren samt durchdachtem Nummern-Konzept und einem Gesamtsystem, bei dem alles sinnvoll in die Packung passt. Ich hoffe sehr, dass es das auch beim fertigen Spiel geben wird!
Jetzt aber ab zum eigentlichen Spiel: Zunächst bauen wir den Spielplan auf. Dieser besteht aus einem Grundbrett sowie vier separaten Maptiles, die auf beiden Seiten jeweils unterschiedlich bedruckt sind – wobei eine der beiden Seiten jeweils dem Aufdruck auf dem Spielplan entspricht. Dazu kommt noch ein Marktbrett sowie Playerboards für die Spielenden. Ein Satz Beschwörungskarten wird gemischt und auf dem Markbrett ausgelegt und jeder Mitspielende bekommt einen Satz Artefakt-Karten und eine Handvoll Herzen. Nach dieser 2minütigen Aufbauzeit geht es auch schon los:
Aus den eigenen 11 Artefakt-Karten wählt jeder zunächst eine Karte aus, wobei der Startspieler beginnt. Die Karten sind mit Zahlen bedruckt (alle haben den gleichen Satz an Karten) und jeder nachfolgende Spieler muss eine Karte ausspielen, die in dieser Runde noch nicht auf dem Tisch liegt. Die Zahlen bestimmen nun die Spielerreihenfolge in dieser Runde und haben manchmal noch ein paar nette Nebeneffekte, doch dazu später mehr. Nach dem jeweiligen Durchgang sind die gespielten Karten aber weg, sodass im Verlauf der 8 Runden die Optionen immer weniger werden. Steht die Zugreihenfolge fest, macht nun jeder seinen kompletten Zug, bevor die anderen dran sind. Der Zug selbst besteht darin, zunächst eine der im Markt verfügbaren Beschwörungskarten auszuwählen und anschließend die möglichen Aktionen in beliebiger Reihenfolge abzuhandeln. Diese Aktionen sind a) den gezogenen Freund beschwören, b) die auf der Karte abgebildete Basisbewegung mit so vielen Freunden laufen, wie dort angegeben ist, c) Bonusbewegungen anderer Karten nutzen oder d) Fähigkeiten beschworener Freunde nutzen. Schönes Detail am Rande: Die beschworenen Freunde sind Pappaufsteller und die vorhin erwähnten Herzen können ihnen als Base übergestülpt werden, damit man immer weiß, zu wem welcher Freund gehört. Das ist auch optisch richtig toll umgesetzt! Außerdem haben die Herzen noch einen weiteren Nutzen, doch auch dazu später mehr.
Nach acht Runden ist das Spiel zu Ende. Dann wird geschaut, wer mit den meisten Freunden in der Taverne (= dem Ziel) angekommen ist, denn dieser Zauberer ist Sieger des Spiels. Dabei muss beachtet werden, dass der Zauberer mit den meisten Trophäen einen Bonusfreund angerechnet bekommt.
Klingt nach einem unspektakulären Rennspiel a la „Tempo kleine Schnecke“, nur dass statt Schnecken nun Zauberwesen beschworen werden? Bis hierhin vielleicht, aber das Spiel lebt eben nicht von der Grundmechanik des Wettrennens allein, sondern von dem, was sonst so in den Karten bzw. auch auf dem Spielbrett steckt. Und das ist jede Menge:
Zum einen sind Freunde nicht gleich Freunde, denn es gibt gut, neutral und böse gesinnte Freunde und manche können auch fliegen. Weiterhin hat das Spielbrett zum Beispiel immer auch einen Schalter an einem bestimmten Feld. Wird dieser „gedrückt“, wandelt sich die Treppe zum Himmel, auf der gute Freunde nicht geschlagen oder vergiftet werden können in die Straße zur Hölle (indem das Tile umgedreht wird). Hier können dann böse Freunde andere Kreaturen schlagen, indem sie einfach nur auf das gleiche Feld mit Ihnen ziehen. Da kann dann schon ein sicher geglaubter Spurt über die Wolken also schnell in der Lava enden. Und natürlich passiert das auch andersherum, wenn ein böser Freund grade einem anderen guten Freund in der Hölle hinterhersetzt und diese plötzlich zu einer Himmelstreppe wird, sodass der gute Freund schlagartig in Sicherheit ist.
Neben dem erwähnten Tile mit der Straße zur Hölle bzw. der Treppe zum Himmel gibt es wie schon geschrieben noch drei weitere Tiles, bei denen man aber zu Spielbeginn festlegt, mit welcher Seite man spielen möchte und für die es keine Schalter gibt. Jede Seite hat dabei ganz unterschiedliche Kleinmechaniken die von Portalen zum Beschwören neuer Freunde über in Lava versinkende Hängebrücken und eine Portion Feenstaub bis hin zu einer Goblinwerkstatt reichen, in der man Katapulte bauen kann. Diese Katapulte wiederrum können genutzt werden um a) eigene Freunde nach vorn zu katapultieren, aber auch um b) gegnerische Figuren aus dem Spiel zu katapultieren. Für Abwechslung ist in dem wilden Rennen also gesorgt. Alles, was die einzelnen Orte auf der Karte können und tun, wird dabei durch Ortsschilder gekennzeichnet, so dass man hier nie in die Anleitung oder auf eine Piktogrammübersicht schauen muss. Auch das wurde wirklich schick gelöst.
Und sagte ich vorhin nicht etwas zum Thema Fähigkeiten beschworener Freunde nutzen? Genau das ist es nämlich, was das Spiel so richtig mit Leben füllt: Alle Freunde haben eine individuelle Fähigkeit (und bei derzeit 40 verschiedenen Freunden bzw. Freundesarten ist das recht ordentlich!). Manchmal ist diese Fähigkeit passiver Natur, manchmal aktiver und bei anderen braucht man Magie in Form von Zauberstäben. Letztere sind wiederum auf den Beschwörungskarten abgedruckt und man verfügt nur solange über diese Zauberstäbe, wie die Freunde beschworen und noch im Rennen sind. Es will also immer gut überlegt sein, welche der im Markt verfügbaren Kreaturen man zu seinem Freund macht und auf welche man bewusst verzichtet. Zum einen weil man ihre Fähigkeiten nutzen möchte, aber eben auch, weil man vielleicht ihre Zauberstäbe braucht. Denn erst dann lassen sich die Freunde der anderen Magier so richtig ausbremsen, vergiften oder schlagen.
Doch halt, Moment, zurück…schlagen? Vergiften? Klingt irgendwie nicht nett. Und genau so ist es auch: Die magischen Wesen sind alles nur nicht nett zu einander, egal ob sie nun gut, böse oder neutral, klein, mittel oder groß sind (ja, es gibt auch Größenunterschiede)! Wird eine Kreatur vergiftet muss das Herz an ihrer Base gedreht werden, um dies kenntlich zu machen. Wird sie nun noch einmal vergiftet, wird sie geschlagen – d. h. aus dem Spiel genommen. Manche Fähigkeiten erlauben es aber auch, eine Figur direkt zu schlagen, ohne dass sie vorher vergiftet sein muss. Doch ist dieses Schlagen von gegnerischen Freunden nicht nur dazu gedacht, die Gegner auszubremsen: Wer eine Figur schlägt, bekommt nämlich ihr Herz als Trophäe (ihr erinnert Euch vielleicht: Wer die meisten Trophäen hat, bekommt am Ende einen Bonusfreund). Zugegeben…das klingt jetzt vielleicht etwas martialischer, als es im Spiel tatsächlich ist. Der Magier, dem der Freund zuträglich war, bekommt zudem als Trost eine Mimimi-Macht-Karte, die eine einmalige Bonusbewegung ermöglicht. Schlägt man einen eigenen Freund (ja, auch das ist möglich, wenn man nicht aufpasst), bekommt man nur die Mimimi-Macht, aber natürlich keine Trophäe.
So. Und nun? Wie spiel sich das Ganze? Ich glaube, das dürfte zwischen den Zeilen erkennbar gewesen sein, wenn aber nicht: Es macht richtig viel Spaß und bringt eine ordentliche Prise Action auf den Spieltisch – sofern man genug Menschen dabei hat, denen die Schadenfreude der Mitspielenden nicht das Spielgefühl verhageln. Eben ganz wie bei einer Couch-Partie Mario Kart. Das Salz in der Suppe sind dabei natürlich die Fähigkeiten der einzelnen Kreaturen in Kombination mit den Spielfeldaktionen, denn diese beziehen sich immer auf etwas anderes: Mal auf andere Kreaturen auf dem gleichen Feld, mal auf die eigene Figur, mal auf die Bewegung, auf den Spawnpunkt neuer Freunde, etc. Genau hierdurch kommt eine ordentliche Prise Taktik (und Schadenfreude) ins Spiel, die dazu führt, dass wir hier kein simples Wettrennen haben, sondern uns laufend eins auf die Mütze geben. Durch die vielen verschiedenen Arten an Fähigkeiten ist Magical Friends aber eben kein Kinderspiel, sondern rangiert im deutlich gehobenen Familienspiel-Segment, wobei es auch den meisten Viel- und Kenner-Spielenden richtig viel Spaß bringen dürfte – wenn man denn hierfür die richtige Gruppe hat.
Da ich zu den Millionen von Menschen gehöre, die immer wieder Spaß an Mario Kart haben, ist Magical Friends and how to summon them für mich ein wirklich sehr gelungenes Spiel. Ob zu zweit (wo jeder in jedem Zug zwei Kreaturen beschwören darf), zu dritt oder zu viert. Spaß bringt es immer und eben jene ordentliche Portion Schadenfreude, die man aus dem Nintendo Dauerbrenner kennt. Ehrlicherweise muss hierzu aber gesagt werden, dass das Spiel natürlich vor allem zu viert die meiste Gaudi auf den Spieltisch bringt – und dadurch etwas chaotisch und weniger kontrollierbar ist – während es sich zu zweit eher etwas taktischer spielen lässt. Aber auch das ist kein Manko, man muss es einfach nur wissen.
____________________________________________________________________
Magical Friends and how to summon them von Klemens Luger
Erscheint bei Shelf Buster Games
Für 2 bis 4 Spieler in ca. 75 Minuten ab 12 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Shelf Buster Games)