Kennt ihr das: Da hört ihr mal am Rande von einem Spiel, dass mittlerweile schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, das aber völlig unter Eurem Radar geflogen ist. Ihr informiert Euch ein wenig darüber und denkt Euch „hm, könnt ich mir ja mal anschauen“, legt es Euch zu und fragt Euch nach den ersten Partien, warum zum Henker niemand über dieses Spiel redet. Bei dem unglaublichen Wust an laufend erscheinenden Brettspielen und dem Fokus auf wenige Hype-Spiele dürfte das jedem schon mal so gegangen sein. Und selbst wenn nicht, mir ging es mit Rajas of the Ganges definitiv so.
Bis vor einigen Wochen hatte ich gefühlt nichts von diesem Spiel gehört oder wenn, dann flogen die Infos an mir vorbei. Vielleicht schreckte mich unterbewusst das Packungsdesign ein wenig ab, vielleicht hatte ich bei Erscheinen einfach genug von Workerplacement oder…keine Ahnung, warum, jedenfalls kann ich mich heute nicht dran erinnern, dass ich Rajas bewusst wahrgenommen hätte. Wie dem auch sei, habe ich letztens in einem Brettspiele-Podcast (nein, es war nicht unserer, sondern „Rheingespielt“) eine Lobeshymne auf den Würfelspielableger „The Dice Charmers“ gehört, in dem dann parallel auch gleich eine Ode an das Grundspiel vorgetragen wurde. Das weckte mein Interesse, zumal das Spiel von Inka und Markus Brand stammte und ich zwar kein wirklich großer Fan der Exit-Spiele bin, ich aber Village bis heute immer wieder gern spiele. Dementsprechend spielte ich mit dem Gedanken, mir das Würfelspiel zuzulegen, denn Roll and Writes kommen bei daheim eigentlich immer gut weg und wenn das Würfelspiel gut wär, könnte man ja einen Blick auf das Hauptspiel werfen. Dazu kam es jedoch nicht, da meine Frau mich scheinbar (mal wieder) durchschaute und mir – sehr unerwartet – das Hauptspiel schenkte.
Jetzt war ich also so richtig neugierig. Ist Rajas wirklich so gut, wie in dem Podcast erzählt wurde? Online liest man ja nicht allzu viel von dem Spiel (Spoiler: unverdientermaßen!!!). Nachdem alle Teile ausgepöbbelt waren, schnappte ich mir die Anleitung und dachte zunächst: „Ui, kein Spiel für zwischendurch“. Nach dem Lesen war mir jedoch klar, dass die Regeln im Kern recht simpel sind und die eigentliche Herausforderung im Spiel selbst liegt. Doch bevor ich zu den Regeln komme, muss eins noch vorweg gesagt werden: Das Spiel ist unfassbar schön designt! Auch wenn das Spielbrett auf den ersten Blick ein wenig überladen wirkt, hat wirklich alles Sinn und seinen richtigen Platz und trotzdem wurde es wirklich schön in das Gesamtdesign eingewoben, denn auf den ersten Blick sind die Übergänge von Design und Spielfeldern fast fließend. Mehr noch: Kennt man erstmal die Möglichkeiten des Spiels, ist das Design sogar absolut übersichtlich und hilft einem dabei, nicht den Überblick zu verlieren. Optisch also ein wirklich toller und durchdachter Hingucker mit wirklich richtig guten Komponenten aus ordentlich dicker Pappe. Hier bleiben keine Wünsche offen. Auch die Würfel sehen toll aus. Dazu kommt das Ganze noch mit einem praktischen Inlay in der Box und einer toll geschriebenen Anleitung, die keine Fragen offen lässt. Allein das verdient schon ein paar Pluspunkte.
Spielerisch wird einem hier im Kern klassisches Workerplacement geboten, das aber mit Ressourcenmanagement der besonderen Art und einem Plättchenlege-Mechanismus verwoben wurde: Zu Beginn erhält jeder am Tisch einen Würfel jeder Farbe (blau, orange, lila, grün), eine Kali-Statue, drei Arbeiter und ein Boot. Die vier Würfel werden gewürfelt und so wie sie sind auf die Plätze an der eigenen Kali verteilt. Die Kali-Statue hat dabei keinerlei echte Funktion, sondern dient tatsächlich nur als Wüfellager, bei dem man aber jederzeit sehen kann, wie viele Würfel man noch anhäufen darf; insgesamt sind es 10 Stück. Wichtig ist dabei, dass ein einmal gewürfelter Würfel in der Regel nicht mehr verändert werden darf, denn die Werte der Würfel sind hier immens wichtig. Doch dazu gleich noch mehr. Reihum darf nun jeder Mitspieler einen Arbeiter auf dem Spielfeld einsetzen und eine entsprechende Aktion tätigen. Das geht so lange, bis alle verfügbaren Arbeiter gesetzt wurden, dann wird der Startspielerelefant weitergegeben. Wie schon gesagt, recht klassisch.
Die Aktionen sind nun aber natürlich das Salz in der Suppe. Ich kann meinen Arbeiter zum Beispiel auf den Steinbruch stellen und darf damit ein Provinzplättchen in meiner eigenen Provinz (= Playerboard) bauen. Für dieses Plättchen muss ich einerseits Geld zahlen, aber auch eine bestimmte Summe an Augen in einer bestimmten Würfelfarbe abgeben, z.B. also lila Würfel mit einer Gesamtaugenzahl von 9. Diese Plättchen haben dabei mehrere Funktionen: Zum einen sind auf ihnen Wege abgebildet und auf dem Playerboard selbst ist bereits eine Residenz mit drei ausgehenden Wegen abgedruckt. Kombiniere: Jedes Plättchen, das ich hier anlege, muss über die Wege mit der Residenz verbunden sein, sonst darf es nicht gelegt werden. Endet dabei ein Plättchen mit einem Weg an den Provinzgrenzen, winken mitunter dann noch Belohnungen, die am Rand des Playerboards aufgedruckt sind (Geld, Ruhm oder Würfel). Ist auf dem Plättchen selbst ein Markt aufgedruckt (es gibt drei Arten von Märkten), bekommt man zudem in jedem Falle Geld. Ist dagegen ein Gebäude aufgedruckt (hiervon gibt es vier), winken Rumpunkte in Abhängigkeit von der eigenen Ausbaustufe dieser Gebäude.
Das Provinzausbauen ist somit der Kern aller Tätigkeiten im Spiel, doch braucht es dafür einiges an weiteren Aktionen, denn Würfel und Geld fallen in Rajas leider nicht vom Himmel. Meine Arbeiter kann ich auf den Marktplatz stellen, um die Märkte meiner Provinz erneut zu aktivieren (und Geld zu bekommen, wobei hier mitunter auch Würfel abgegeben werden müssen), ich kann sie an den Bootsanleger stellen, um mein Schiff mit einem Würfel des Wertes 1 - 3 auf dem Ganges zu bewegen (und diverse Boni zu erhalten), ich kann sie auf den Palastvorplatz stellen (um Würfel zu erhalten oder neu zu würfeln), auf den Palastbalkon (um einen beliebigen Würfel gegen zwei andere zu tauschen) oder direkt in die Gemächer, in denen sechs verschiedene Personen darauf warten, dass man ihnen einen Würfel mit einer bestimmten Augenzahl spendiert, damit sie etwas Gutes für mich tun können. Zu diesem Tun gehört unter anderem auch, dass man die Ausbaustufe seiner Gebäude verbessern kann, man Würfel bekommt oder Plättchen in der eigenen Provinz überbauen darf.
Im Laufe des Spiels mehre ich so mein Geld und meinen Ruhm und das ist der zentrale Knackpunkt am Spiel: Es gibt hier keine reine Siegpunktleiste sondern zwei gegenläufige Leisten für Geld und Ruhm. Das Spiel gewinnt, wer es als erstes schafft, dass sich seine beiden Marker auf dem Spielfeld treffen. Schaffen das in einer Runde mehrere Spieler, gewinnt, wer nach dem Treffen den größten Abstand zwischen seinen Markern schafft. Und diese Punktemechanik ist es auch, die Rajas einen unglaublichen Tiefgang verleiht, denn viele Wege führen zum Sieg: Ich kann versuchen Geld und Ruhm gleichmäßig zu erwirtschaften oder konzentriere mich auf eins der beiden oder aber ich beginne mit dem einen und fahre später mit dem anderen fort. Alles ist möglich. Und noch besser: Das Spiel ist dermaßen gut gebalanced, dass der Spielausgang – zumindest in unseren bisherigen Partien – fast immer denkbar knapp ist und das zudem ganz ohne Startspielervorteil! Besonders schön ist dabei auch, dass innerhalb der jeweiligen Leisten weitere Belohnungen, wie beispielsweise zusätzliche Arbeiter, Gebäudeausbauten oder Karmapunkte liegen und so noch mehr Dynamik ins Spiel bringen, denn jeder versucht natürlich Anfangs, seine weiteren Arbeiter freizuschalten. Apropos Karma: jeder Spieler hat hiervon maximal drei Punkte und kann einen dafür ausgeben, um einen Würfel auf seine gegenüberliegende Seite zu drehen. Doch Vorsicht: Karma gibt es nicht in Massen und hat man sein Karmakonto gut gefüllt, winken mitunter nette Belohnungen auf dem Ganges.
Das wirklich tolle an Rajas of the Ganges ist meiner Meinung nach, dass sowohl die einzelnen Spielmechaniken als auch die möglichen Aktionen dermaßen gut – um nicht zu sagen perfekt – in einander greifen, dass man ununterbrochen im Spielfluss ist und selbst Fehlentscheidungen durchaus wieder ausbügeln kann. Man hat einfach laufend das Gefühl, alles im Griff zu haben. Natürlich beschränkt sich der Interaktivitätsgrad darauf, anderen Mitspielenden begehrte Plätze bzw. Plättchen vor der Nase weg zu schnappen, aber das ist ja nun mal ein Standard bei den meisten Workerplacement-Spielen. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Art bietet Rajas aber mehr als nur Arbeitereinsatz. Die einzelnen Mechaniken und Aktionen greifen wie ein Schweizer Uhrwerk in einander und der durch das Würfeln gegebene Glücksfaktor hält sich stark in Grenzen bzw. spielt nur eine untergeordnete Rolle. Denn letztlich kann jeder Würfelwert etwas Sinnvolles beisteuern oder durch Karma in begrenzten Maßen verändert werden. Da ist es schon mehr vom Glück abhängig, welche Provinzplättchen grade offen ausliegen, aber dafür hat man wiederrum 12 Stück gleichzeitig zur Wahl. Zusammengefasst ist der Glücksfaktor bei Rajas also allenfalls als geringes Hintergrundrauschen wahrzunehmen, mehr nicht. Vielmehr kommt es in jeder Runde stark darauf an, sich überhaupt für eine Aktion entscheiden zu können, denn in der Regel machen mehrere der möglichen Aktionen Sinn. Doch welche ist denn nun die beste? Hier ist Übersicht gefragt, die das Spiel zum Glück bietet. Und das klappt in der Regel auch noch ohne große Downtime. Denn Fehler verzeiht das Spiel recht gut bzw. können mit ein paar guten Arbeitereinsätzen schnell ausgebügelt werden. Und hierdurch hat das Spiel unterm Strich auch noch eine echt angenehme Spielzeit (in Abhängigkeit von der Anzahl der Mitspielenden natürlich).
Wie Ihr vielleicht seht: Ich bin begeistert von Rajas of the Ganges. Das Spiel hat es tatsächlich geschafft, binnen weniger Partien zu einem meiner aktuellen Lieblingsspiele zu werden. Und ich entdecke jedes Mal neue Möglichkeiten, das Spiel anzugehen. Apropos Möglichkeiten: Neben der beschriebenen Variante kommt das Spiel noch mit einer „Fortgeschrittenen“-Variante daher. In dieser sind die Belohnungen, die die Provinzen bringen, variabel, da man hier gesonderte Belohnungschips hat, die man im Spiel erwerben muss, bevor man sie an das eigene Playerboard anlegen kann. Hier sind dann auch „komplexere“ Belohnungen dabei wie bspw. „2 Ruhmespunkte für jede Kurve, die Du gebaut hast“, anstatt lediglich „3 Ruhmespunkte“. Außerdem kann man in dieser Variante noch einen Arbeiter mehr nutzen, muss im Gegenzug aber mit der Rückseite der Kali-Statue spielen, die nur noch Platz für 8 Würfel bietet. Wer hier dann aber weniger Arbeiter hat, als andere Spieler, bekommt die eben genannten Belohnungschips gratis. Mehr Arbeiter ist dann also nicht mehr automatisch auch ein Vorteil. Gleichzeitig steigt in dieser Variante aber natürlich die Komplexität der eigenen Entscheidungen nochmal ein gutes Stück an. Zu guter Letzt gibt es als weitere Mini-Variante noch ein paar Plättchen, mit deren Hilfe man die Belohnungen des Ganges ein wenig flexibler gestalten kann, was schlicht ein wenig Abwechslung bringt, aber nicht zwingend erforderlich ist.
Unterm Strich ist Rajas also ein wirklich richtig tolles Spiel, bei dem ich mich wirklich frage, warum es nicht förmlich mit Spielepreisen überschüttet wurde. Grade bei den Kennerspielen des Jahres hätte es definitiv bei den Nominierten dabei sein müssen, wenn nicht gar der Preisträger. Schon allein für die Idee mit den gegenläufigen Leisten, aber vor allem wegen den (sorry, ich weiß, ich wiederhole mich) extrem gut ineinandergreifenden Mechaniken. Schade für das Spiel, aber so ist es nun eben ein „echter“ Geheimtipp…und wenn auch nur für mich.
Ach ja, PS: im Gegensatz zu so manch anderem Workerplacement-Spielen funktioniert Rajas auch zu zweit richtig gut, zumal es hierfür sogar eine eigene Spielplanseite gibt. Hier wurde also wirklich an alles gedacht.
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Rojas of the Ganges von Inka und Markus Brand
Erschienen bei Huch
Für 2 bis 4 Spieler in ca. 60 Minuten ab 12 Jahren
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Huch)
(BGG bei https://boardgamegeek.com/user/sverbeure)