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26.05.2021

Versailles 1919


Als 1918 der Große Krieg endete, war die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Noch nie waren so viele Nationen in einem den ganzen Erdball umspannenden Konflikt, einem Weltkrieg, verwickelt worden. Das Ergebnis waren große Umwälzungen auf nationaler Ebene, Reiche gingen zugrunde, neue Staaten erhoben sich, Grenzen wurden neu definiert.
Die Konsequenzen dieses grausamen Krieges wurden im Vertrag von Versailles 1919 festgehalten. Die diplomatischen Mühen, die hierfür nötig waren, um das Ergebnis im Sinne der vier großen Siegermächte zu formen, wurden von GMT Games nun in ein Spiel gegossen.


1 bis 4 Spieler versuchen, so viele Tagesordnungspunkte wie möglich im Interesse ihrer Nation zu verhandeln, bevor das Spielende eingeläutet wird. Dabei müssen die Zufriedenheit des eigenen Volkes und die wieder aufflammenden Konfliktherde in einzelnen Regionen im Blick behalten werden, um keinen Aufstand zu provozieren.

Diese Prämisse und dieses Thema fand ich ungemein spannend. Bereits Fort Sumter wusste mit seinem speziellen Fokus auf ein konkretes historisches Ereignis zu gefallen. Nichts anderes erwartete ich hier. Auch erwartete ich keine hübsch aufgemachte Spielebox und tatsächlich präsentiert sich die Schachtel in allerlei wenig ansprechenden Brauntönen. Das ist zwar der typische GMT-Stil, aber den muss man schon auch mögen.


Das Material selbst ist farblich etwas abwechslungsreicher gestaltet und die großformatigen Tagesordnungskarten waren eine gute Wahl, denn diese sind Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Darauf zu sehen sind unterschiedliche Themen, die von den Siegermächten geklärt werden müssen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Gebiete oder Staaten und die Frage, wie mit ihnen zu verfahren ist. Soll das Rheinland an Frankreich gehen? Soll Armenien ein eigener Staat werden? Oder auch: Sollen Witwen eine Rente bekommen? Das Ergebnis hat Einfluss auf die Stabilität bestimmter Regionen, die Volkszufriedenheit bestimmter Spieler und wirft auch unterschiedlich viele Siegpunkte ab.

Wer dran ist, kann Einflusswürfel auf zwei der fünf ausliegenden Tagesordnungspunkte legen, um so am meisten Gewicht bei der Entscheidungsfindung zu haben. Alternativ kann der aktive Spieler dann eben auch einen Tagesordnungspunkt final klären. Dann darf derjenige, der die meisten Würfel seiner Farbe auf der Karte liegen hat, eine Entscheidung treffen, deren Konsequenzen ausführen und die Karte samt abgedruckter Siegpunkte in seine Ablage legen.


Oft sorgen solche Entscheidungen für Unruhe in bestimmten Regionen. Der Mittlere Osten zeigt sich beispielsweise nicht begeistert, wenn Armenien ein eigener Nationalstaat werden würde. Die Unruhe wird auf einer Leiste festgehalten, je weiter der Marker vorrückt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Aufstand losbricht. Dadurch muss ein Tagesordnungspunkt aus der betroffenen Region nochmal neu verhandelt werden, wodurch ein Spieler seine bereits gewonnene Karte (inkl. Siegpunkte) wieder verlieren kann.

Es gibt noch weitere spannende Mechaniken, die ich nur kurz erwähnen möchte, wie etwa den Einsatz von Militäreinheiten, um Aufstände zu verhindern oder die Ereigniskarten mit historisch belegten Figuren der Zeitgeschichte (Churchill, Gandhi, Ho Chi Minh), die das Geschehen beeinflussen. Oder die Strategiekarten, die nach dem ersten Aufstand ins Spiel kommen und zusätzliche Möglichkeiten zur Siegpunktgewinnung bieten.
Das alles sorgt für eine spannende, dichte Atmosphäre und implementiert Aspekte dieser historischen Vertragsverhandlungen außerordentlich gut in ein Brettspiel. Trotz durchschnittlichen Geschichtswissens dieser Zeit hatte ich schon den Eindruck, dass die Konsequenzen der Karten thematisch nachvollziehbar und nicht willkürlich gewählt sind. Das ist ein großer Pluspunkt.


Diese Konsequenzen sorgen aber dafür, dass man je nach gewählter Nation (UK, USA, Frankreich, Italien) oder gewählter Strategiekarte eine andere Agenda verfolgt. Dadurch kommt man sich mit seinen Mitspielern ins Gehege. Lieber soll das gegenüber Volkszufriedenheit verlieren oder man forciert Aufstände in bestimmten (oder allen) Regionen, um dadurch Siegpunkte über eine Strategiekarte zu bekommen. Das Spiel lässt viele Verhandlungsmöglichkeiten offen, Abmachungen können getroffen werden und sind, je nach Situation, auch bindend. Das macht die thematische Exzellenz komplett.

Nichtsdestotrotz muss auch Kritik geübt werden: Im Ein- oder Zwei-Spieler-Spiel entfaltet Versailles 1919 nicht sein volles Potenzial. Hier müssen neben der eigenen Nation auch weitere Staaten (wenn auch in reduziertem Maße) gesteuert werden, was den Verwaltungsaufwand, der auch so schon relativ hoch ist, noch erhöht. Man verbringt viel Zeit mit dem Verschieben von Markern und Karten und vergisst mitunter, wer eigentlich gerade am Zug ist. Eine extra dafür vorgesehene Karte zeigt immerhin, dass den Autoren bewusst war, dass man manchmal den Überblick verlieren kann. Eine folgerichtige Anpassung des Spielablaufs wurde aber nicht in Betracht gezogen.

Dennoch: Wer sich mit dem Thema anfreunden kann, ist vielleicht auch prädestiniert für den etwas behäbigen Spielablauf, in dem es auch ein bisschen mehr um „historisches Roleplay“ gehen kann als um die Jagd nach Siegpunkten. Es sind weniger die Mechaniken als mehr das Thema, dass hier den Ausschlag für eine mögliche Anschaffung geben sollte. Wer sich also spielerisch in diese Zeit zurückversetzen möchte, und das nicht in Form eines Wargames, sondern in der Rolle von Diplomaten, die versuchen, den blutigen Scherbenhaufen zu beseitigen, den sie (mit-)verursacht haben, ist mit VVersailles 1919 bestens beraten.


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Versailles 1919 von Geoff Engelstein und Mark Herman
Erschienen bei GMT Games
Für 1 bis 4 Spieler in 90 Minuten ab 13 Jahren
Boardgamegeek Link

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier GMT Games)