Für die einen sind sie ein Fluch, „kein echtes Spiel“, fast wie eine…Pandemie. Und noch schlimmer: „Spielmaterial durchschneiden und für immer vernichten? No way! Da spiele ich lieber ein Legacy-Spiel“…äh, halt…so in der Art zumindest. Für andere sind sie genau das, worauf sie heimlich Jahrzehntelang gewartet haben. Endlich gemeinsam Rätsel lösen und sich zusammen mit anderen den Kopf zerbrechen, Rätsel, die es in sich haben und bei denen man froh ist, wenn man mit mehreren Köpfen gleichzeitig darüber grübeln kann. Die Rede ist natürlich von Escape Spielen, die es zwischenzeitlich in allen möglichen Formen und Farben gibt, mit Geschichten für jeden Geschmack, in Kartenformat oder als Storybook, in schnell gespielten Runden oder abendfüllenden Varianten. Da war es fast nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die gewitzte Idee kommt, das Ganze auch per Post anzubieten. Und zwar nicht als Paket zum „bingen“, sondern in homöopathischen Dosen, als regelmäßige Escape Mail, die per Post ins Haus flattert…sofern man sich denn für ein Abo entscheidet oder eben regelmäßig eine Postsendung nachkauft.
Und Schwupps stecke ich wieder mitten in diesem Dilemma: Über ein Spiel schreiben, über das man eigentlich nichts schreiben darf (denn man möchte ja nichts spoilern), dessen grundlegende Spielmechanik (nämlich Rätsel-Lösen) allseits bekannt ist und auch die Rätsel selbst am besten dem Entdeckergeist der Spielenden überlassen wird. Hm…
Aber fangen wir doch einfach mal bei Teil 1 an, den wir in der nicht-Kinder-freundlichen schweren Variante vorliegen hatten: Du bekommst einen Brief von Deinem Cousin, der Dir den Ort eines Schatzes mitteilen möchte. Vorsichtig packst Du den Brief aus und betrachtest die Einzelteile, die sich darin befinden und weißt nun…eigentlich nicht so wirklich, was Du nun tun sollst. Es gibt einen schicken weißen Zettel, der Dir die benötigten Teile vorsagt und zwei QR-beinhaltet. Einmal mit einer toll zusammengestellten Spotify-Playlist und einmal mit einer Hinweisseite. Doch zugegeben: Schaut man sich die beiliegenden Dinge an, wird doch recht schnell klar, wie man hier vorgehen sollte. Also los geht’s….
In unserer Runde waren die Rätsel durchaus lösbar, wenn auch knackig genug, um ausreichend Rätselspaß zu bieten. Das Prädikat „schwer“ ist also durchaus passend, wobei wir keine Escape-Experten sind. Hin und wieder haben wir somit natürlich auch einen Hinweis gebraucht, wobei wir tatsächlich das letzte Rätsel nur mit den Hinweisen lösen konnten. Egal was wir taten, wir haben die im Hinweis aufgeführten Punkte, die angeblich auch ohne die Hinweise hätten gewusst werden können, nicht gesehen. Auch jetzt noch nicht…Schön ist in Bezug auf die Hinweise allerdings, dass es diese in drei Stufen gibt von „nur ein kleiner Tipp“ bis „Wink mit dem Gartenzaun“ und erst wenn das alles nichts hilft, die Lösung präsentiert wird. Ob das Ganze aber auch für echte Escape-Fans schwer genug ist, mag ich nicht so recht beurteilen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es dem ein oder anderen immer noch zu seicht ist.
Bei Teil 2 muss erstmal gesagt werden, dass es wirklich erstklassig ist, dass er optisch vollkommen anders daherkommt, als Teil 1 und dass auch die Rätsel sowohl von der Aufmachung her, als auch von ihren Mechaniken, völlig anders funktionieren, als dies in Teil 1 der Fall war. Qualitativ gibt es hier also überhaupt nichts zu meckern! Uns lag Teil 2 als „normale“ Variante vor und tatsächlich: selbst uns als allenfalls Gelegenheits-Escapern waren die Rätsel mitunter fast schon einen Tick zu leicht und die Spielzeit dadurch recht kurz. Auf der Herstellerseite kann man aber lesen, dass die normale Variante für Kids ab 10 gedacht ist, die ab und an etwas Unterstützung durch die Eltern bekommen. Das passte dann doch recht gut. Lustiges Detail: Die Sachen, die im Umschlag sind, sind zu großen Teilen nicht die eigentlichen Rätsel, sondern helfen nur dabei, bestimmte Rätsel auf diversen Homepages zu lösen. Und natürlich gab es dieses Mal einen neuen, passenden Soundtrack als Spotify-Playliste.
Was man Escape Mail zu Gute halten muss, ist tatsächlich, dass man die Liebe zum Detail an allen Ecken und Enden wahrnimmt. Die Einzelteile sehen toll aus und wirken teilweise „handgemacht“. Kein Zettel sieht aus wie der andere, alles scheint irgendwie einen „Sinn“ zu machen. Das ist wirklich toll! Auch die Rätsel sind fast durchgängig in sich stimmig und durchweg logisch und (in der schweren Variante) weder „babyleicht“ noch vom Kaliber „wer soll denn auf so eine Lösung jemals kommen?“. Ganz ulkig ist auch der Einbezug von „Dingen“ außerhalb des Umschlags wie bspw. der Notwendigkeit, seinem Spiel-Cousin eine (echte) eMail zu schreiben. Dadurch versucht das Spiel mit eigentlich recht einfachen Mitteln, mehr Commitment zu erzeugen. Leider kommt aber die Hintergrundstory, die sich scheinbar durch sämtliche Episoden ziehen wird, kaum zur Geltung. Grade im ersten Teil fühlt man sich kaum durch eine Story geleitet, sondern löst einfach ein Rätsel nach dem anderen. Fast wie in einem Rätselheft. Vielleicht liegt es an mir, da ich spiele wie die Escape Tales Reihe mit ihren ausführlichen Geschichten deutlich besser finde als die Exit-Reihe, aber Spielspaß ist nun mal subjektiv, sorry.
Was mich persönlich bei all den positiven Aspekten aber dann doch etwas abschreckt, ist bei aller Detailverliebtheit der Macher tatsächlich das Preis-Leistungsverhältnis. Für den Preis eines Briefes bekommt man andernorts ein „richtiges“ Spiel, das sogar weiterverkauft werden kann oder zwei bis drei Exit-Spiele. Gut, die Spieldauer eines Escape Mail Briefes liegt bei 60 bis 90 Minuten und somit in den Exit-Gefilden, allerdings fühlen sich die 8 (bzw. 6) Rätsel, die in einem Brief sind, dann doch etwas…alleingelassen an, in ihrem Briefumschlag. Bedenkt man nun, dass man für jede der 12 Episoden rund 17 Euro zahlen muss…kann man sich für den Gegenwert auch ein richtig, richtig, richtig großes Spiel kaufen. Hat dann allerdings natürlich nicht das Abogefühl und jeden Monat einen Schwung neuer – und das muss man dem Spiel lassen: gut gemachter(!) - Rätsel, mit neuen Storyhinweisen und dem Gefühl, da etwas unerwartetem auf der Schliche zu sein. Wie eine Serien eben, die man ganz klassisch noch im TV und nicht beim Streaming-Anbieter schaut.
Die Frage ist also die altbekannte: Qualität vor Quantität oder doch andersrum? Aber auch das muss jeder für sich selbst entscheiden. Rätselfreunde kommen sicherlich mit der schweren Variante gut auf ihre Kosten bzw. für Kinder kann die normale Variante durchaus ein guter Einstieg in die Escape-Welten sein. Wer extrem viel rätselt und hier „schon alles kennt“, wird vermutlich aufgrund des Umfangs und des Grads der Herausforderung ein wenig enttäuscht sein. Also: am besten erstmal testen, wenn man sich unsicher ist. Aber die Möglichkeit besteht hier zum Glück ja.
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Escape Mail
Erschienen bei Escape Mail Spiele
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 60 Minuten ab 10 Jahren
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Escape Mail Spiele)