Gute Expertenspiele gibt es einige. Spiele mit knallharter Interaktion ebenfalls. Möchte man beides zugleich, wird die Auswahl deutlich bescheidener und Bilder von Titeln wie Food Chain Magnate oder Brass drängen sich sogleich auf. In Zukunft wird diese Bildergalerie bei mir jedoch durch mentale Schnappschüsse des von Feuerland auf Deutsch lokalisierten Worker-Placement-Schwerkaräters Wasserkraft erweitert. Doch wie fies, spannend, unterhaltsam und nervenaufreibend der wirtschaftlich kompromisslose Kampf um Staumauern und Wasser wirklich ist, erfahrt ihr in dieser Rezension.
Material
Wie man es von Feuerlands Expertenreihe gewohnt ist, kommt auch Wasserkraft in einer leicht übertrieben opulenten Spieleschachtel daher, die zwar einiges an Platz im heimischen Spieleschrank frisst, optisch jedoch auch einiges hermacht. Die düster-tristen, aber auch sehr stimmungsvoll-thematischen Illustrationen auf der Spielschachtel werden im Materialdesign innerhalb der Schachtel fortgeführt. Obwohl einiges an Platz übrigbleibt, findet man beim erstmaligen Öffnen des Spiels doch einiges an Material vor. Hierbei wird einerseits hochwertige und dicke Pappe verwendet, wie beispielsweise für den doppelseitigen Spielplan (mit einer thematischeren Seite), den Managementplan mit diversen symbolisch-unterstützten Aktionsfeldern, die Energieleiste mit unterschiedlichen Rundenzielplättchen, die Unternehmenspläne für die einzelnen Spieler, die runden drehbaren Bauscheiben sowie diverse andere Plättchen wie die Vertrags-, Startaufstellungs-, Technologie-, Quellen-, Bonus- und Zielplättchen. Andererseits wartet das Spiel mit vielen Markern, Tropfen, Gebäuden, Staumauern und Ressourcen (bzw. Maschinen) aus Holz auf.
Hochwertige Pappe? Holz? Stimmungsvolles Design? Nachvollziehbare Symbolik? Und drehbare Bauscheiben für die Maschinen? Ich denke, wir können an dieser Stelle einen großen grünen Haken hinter das Material setzen und uns sogleich auf Spielablauf und Fazit stürzen!
Ablauf
Wasserkraft ist ein Expertenspiel und sicher nicht in drei, vier Sätzen erklärt. Dennoch sind der grundlegende Spielablauf sowie die allgemeinen Regeln relativ überschaubar. Die Herausforderung besteht eher im Management der Ressourcen sowie in der ständigen schwerwiegenden Entscheidungsfindung bei einer Vielzahl möglicher Aktionen in verschiedensten sich ständig verändernden Spielsituationen.
Eine Partie geht stets über fünf Runden und jede Runde ist wiederum in fünf Phasen eingeteilt. In Phase 1 bekommen die Spieler zunächst Einkommen, das mehr wird, je mehr Gebäude eines Typs sie gebaut haben. Darüber hinaus werden je nach Rundenzahl neue Wassereinheiten auf den vier verschiedenen Quellplättchen am oberen Ende des Spielplans platziert. Als nächstes kommt die Hauptphase des Spiels, in der die Spieler reihum ihre Arbeiter für die unterschiedlichsten Aktionen ausgeben. Im Anschluss folgt die Phase des Wasserflusses, in der alle auf den Quellplättchen liegenden Wassereinheiten den Flüssen entlang Richtung Unterseite des Spielbretts fließen und nur durch Staumauern, die noch genügend Wasserauffangkapazität übrighaben, aufgehalten werden. Dann findet eine Rundenwertung statt, in der geschaut wird, wie weit die einzelnen Unternehmen (gespielt von den Spielern) auf der Energieleiste vorangeschritten sind, wofür es einerseits Geld – Hydro genannt – und andererseits Siegpunkte für das mehr oder weniger erfolgreiche Abschließen des aktuellen Rundenziels gibt. Und schlussendlich findet noch eine Art Aufräumphase vor Beginn der nächsten Runde statt.
Interessant wird es natürlich erst jetzt, wenn wir einen kurzen aber umfassenden Blick auf die Aktionsmöglichkeiten werfen. Das Herzstück aller Aktionen ist die Energieproduktion. Um jedoch Energie erzeugen zu können, müssen gewisse Vorbereitungen getroffen werden. Einerseits wird eine eigene oder neutrale Staumauer mit mindestens einer sich dahinter befindenden Wassereinheit benötigt. Darüber hinaus brauch man ein eigenes Turbinenhaus, das im besten Fall mit einem eigenen Rohrwerk mit eben jener Staumauer verbunden ist. Allerdings kann man gegen Bezahlung auch das Rohrwerk eines Gegenspielers benutzen, wodurch dieser neben dem Geld jedoch auch zusätzliche Siegpunkte einheimst. Durch das Erzeugen bestimmter Energiemengen rückt man einerseits auf der Energieleiste voran, andererseits lassen sich dadurch aber auch einzelne Verträge erfüllen, die man ebenfalls durch eine Aktion aus einer Auslage erhält und die einem dann bei Erfüllung wiederum einmalige Boni wie Ressourcen, Geld, Siegpunkte, zusätzliche Energie usw. geben. Die Menge der Energie, die man einer Aktion erzeugt, wird in erster Linie durch die Menge der Wassereinheiten (bis zu drei) und dem Wert des Rohrwerks bestimmt, denn auch diese schwanken stark je nach Bauplatz.
Auf dem eigenen Spielertableau befinden sich vier Aktionsfelder fürs Bauen neuer Gebäude, wobei das Bauen innerhalb derselben Runde stetig teurer wird. Zum Bauen legt man eines seiner Bauplättchen – und zu Beginn des Spiels hat man von jedem Gebäudetyp genau ein Plättchen – zusammen mit den nötigen Ressourcen bzw. Maschinen (Bagger oder Betonmischer) auf die eigene Bauscheibe und dreht sie genau um einen Abschnitt weiter. Einzelne Boni auf Aufträgen, das weitere Bauen von Gebäuden sowie eine eigens dafür zur Verfügung stehende Aktion erlaubt es einem im Laufe des Spiels die Bauschreibe weiterzudrehen, sodass die verwendeten Bauplättchen und Ressourcen, nachdem sie einmal eine ganze Runde in der Bauschreibe gedreht wurden, irgendwann wieder den Weg zurück in den eigenen Vorrat finden. Zudem lassen sich mit einer Aktion zusätzliche Bauplättchen für alle Gebäudetypen mit speziellen Zusatzeffekten aus einer Auslage kaufen.
Schließlich lassen sich durch bestimmte Aktionsfelder neue Ressourcen und Geld beschaffen, und wieder andere erlauben es, neue Wassereinheiten auf Quellplättchen zu platzieren oder sogar eine einzelne Wassereinheit sofort von einem Quellplättchen den Flusslauf entlang nach unten fließen zu lassen. Wichtig ist hierbei nur, dass Wassereinheiten von Staumauern aufgehalten werden. Eine einfache Staumauer kann genau eine Wassereinheit halten, eine zweistöckige Staumauer bis zu zwei und eine dreistöckige sogar bis zu drei. Ist die Kapazität einer Staumauer erreicht, fließt das Wasser einfach weiter. Wird Wasser verwendet, um Energie zu erzeugen, verschwinden die Wassereinheiten nicht einfach, sondern wandern durch das Rohrwerk und landen am anderen Ende, wo sie weiter dem Flusslauf entlang fließen. Der Spielplan ist in insgesamt drei Bereiche unterteilt und der Gebäudebau im oberen Bereich kostet tendenziell mehr als im unteren Bereich. Außerdem hat jedes sogenannte Tal jeweils zwei Stauseen mit zwei möglichen Staumauerplätzen. Für das Bauen auf der oberen dieser beiden Staumauern muss man zwar zusätzliches Geld zahlen, dafür ist es hier möglich, das Wasser durch Energieerzeugung umzuleiten, sodass die Wassereinheiten nie im unteren Stausee mit gebauter Staumauer ankommen.
Letztlich ist es noch wichtig zu erwähnen, dass die einzelnen Aktionsbereiche nur eine limitierte Anzahl freier Plätze haben. Darüber hinaus sind die Aktionen unterschiedlich stark und erfordern unterschiedlich viele Arbeiter. Hier ein kurzes Beispiel: In der Werkstatt kann man für einen Arbeiter die Bauscheibe um einen Abschnitt weiterdrehen. Ist dieses Feld belegt, gibt es noch ein zweites mit demselben Effekt, allerdings kostet dieses zwei statt eines Arbeiters. Außerdem lässt sich in der Werkstatt für zwei Arbeiter die Bauscheibe nach Abgabe von zwei Hydro – wenn man schnell genug ist – aber auch um zwei Abschnitte weiterdrehen. Dieselbe Aktion gibt es nochmals, wobei sie dann drei Arbeiter und drei zusätzliche Hydro kostet. Schließlich kann man in der Werkstatt mit zwei Arbeitern und nach Abgabe von fünf Hydro die Bauschreibe sogar um drei Abschnitte weiterdrehen. Die teurere Variante kostet nochmals drei Hydro mehr. Es gilt also: Je eher ich innerhalb einer Runde eine Aktion ausführe, desto mehr Auswahl habe ich und desto besser oder günstiger ist der jeweilige Effekt.
Jedes der vier zur Verfügung stehenden Unternehmen hat zudem noch eine Spezialfähigkeit, die genutzt werden kann, sobald man das dritte eigene Turbinenhaus gebaut hat. Der zu Spielbeginn gewählte Chefingenieur (und es stehen insgesamt sieben zur Auswahl) verleiht dem eigenen Unternehmen eine weitere Spezialfähigkeit, die jedoch bereits von Spielbeginn an zur Verfügung steht.
Fazit
Wie eingangs erwähnt haben wir es hier mit einem Expertenspiel zu tun, das auf strenges Ressourcenmanagement und knallharte Interkation setzt. Im Grunde hat man hier nie Zeit abzuschalten, da sich die Gegebenheiten auf dem Spielplan ständig ändern und man immer wieder neu reagieren muss, sodass langfristige Planungen nur grob realisierbar und bedingt sinnvoll sind. Vielmehr geht es darum, die eigene Strategie immer wieder neu anzupassen und auf die Züge der Gegner gekonnt – und skrupellos! – abzustimmen. Hierbei kommt es natürlich immer wieder zu besonders ärgerlichen Entwicklungen – naja, ärgerlich zumindest für ein Unternehmen… Hier ein, zwei Beispiele: Ich baue ein Turbinenhaus passend zu einer neutralen Staumauer, die bereits mit zwei Wassereinheiten versehen ist. Noch bevor ich das passende Rohrwerk bauen kann, kommt mir ein Gegenspieler zuvor. Um jetzt mit meinem Turbinenhaus Energie erzeugen zu können, muss ich das andere Unternehmen ab jetzt für jede Wassereinheit bezahlen. Oder: Ich hatte vor, Energie zu erzeugen, aber ein anderer Spieler hat das letzte Aktionsfeld belegt, mit dem es ohne Zusatzhydrokosten möglich gewesen wäre. Nun fehlt mir das Hydro, um Energie zu erzeugen und ein weiterer Gegenspieler, der das nötige Hydro übrighat, nutzt nun die Wassereinheiten, die ich gerade benutzen wollte, für sein ebenfalls dort gebautes Turbinenhaus. Ich habe also keine Energie produziert und die Wassereinheiten sind ebenfalls dahin…
Diese beiden kurz skizzierten Beispiele geben euch vielleicht einen Eindruck davon, wie groß Interkation in diesem Spiel geschrieben wird und wie hart es hier zugeht. Wer sich vor knallharten Wirtschaftsspielen dieser Art auf Expertenniveau nicht scheut, der wird mit Wasserkraft sicherlich sehr glücklich werden. Wer jedoch schnell frustriert ist, wenn es mal nicht so läuft, oder schlichtweg zu pazifistisch eingestellt ist und sich davor scheut, anderen zu schaden, der sollte sich vielleicht doch nach was anderem umschauen. Außerdem spielt das Spiel eher denjenigen in die Karten, die ihre Strategien gut und gerne der Situation anpassen, wohingegen die Langzeitstrategen durch die sich ständig ändernden Spielsituationen wohl eher einen Dämpfer zu erwarten haben.
Besonders gelungen finde ich persönlich die Idee mit der Bauscheibe. Anstatt Ressourcen auszugeben, stehen sie hier nach Verwendung zunächst zwar nicht mehr zur Verfügung, wandern aber nach einer gewissen Zeit wieder zurück in den eigenen Vorrat, der sich zudem über die Zeit mit dem Kauf neuer Ressourcen aufstocken lässt. Auf diese Weise wird das Ressourcenmanagement auf eine andere Ebene gehoben und erfordert, trotz der eben noch geforderten strategischen Flexibilität, doch auch ein Händchen für gute Vorausplanung, damit die Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt auch wieder zur Verfügung stehen.
So frustrierend eine Partie Wasserkraft hin und wieder auch sein kann, so befriedigend ist der Moment, in dem man einem anderen Unternehmen drei Wassereinheiten vor der Nase wegschnappt und diese nach der Erzeugung von massig Energie über das eigene Rohrwerk zu einer weiteren eigenen Staumauer weiterleitet, wo sie bestenfalls erneut für die Erzeugung von Energie genutzt werden können.
Alles in Allem, kann ich das Spiel uneingeschränkt an all diejenigen empfehlen, die kein Skrupel davor haben, auszuteilen und kein Problem damit haben, einzustecken. Wer nach einem Expertenspiel sucht, auf Workerplacement steht, und erbarmungslose Interaktion nicht scheut, der sollte – nein, der MUSS – einen Blick auf Wasserkraft werfen. Egal ob zu zweit, lieber aber in Vollbesetzung – wodurch die Downtime zwar klarerweise steigt, sich aber dennoch in Grenzen hält –, ich werde zu einer gepflegten Partie Wasserkraft nicht „nein“ sagen! Neben Food Chain Magnet und Brass: Birmingham ist es ganz sicher mein liebstes Expertenspiel mit besonders starker Interaktion!
Auch Solo lässt sich das Spiel ganz gut spielen, da man beliebig viele der anderen Spieler durch einen Automa steuern lassen kann – im Übrigen auch in einer Mehrspielerpartie, um beispielsweise den fehlenden vierten Mann bzw. die fehlende vierte Frau zu ersetzen. Allerdings ist das Handling vor allem in der ersten Partie doch recht aufwendig und insbesondere die große Anzahl unterschiedlichster Symbole eher erschlagend, sodass meine erste Solopartie durch das ständige Nachschlagen im Regelwerk über drei Stunden gedauert hat.
Wasserkraft wird mit Sicherheit sehr lange in meiner Sammlung verweilen und gehört zu meinen klaren Favoriten des Jahrgangs.
In a nutshell…
Wasserkraft ist ein knallhartes und sehr interaktives Workerplacement-Expertenspiel, indem wir mit unserem Unternehmen Staumauern, Rohrwerke und Turbinenhäuser bauen, um mit ihnen Energie zu erzeugen. Hierbei werden die hinter den Staumauern gespeicherten Wassereinheiten durch die Rohre nach der Energieerzeugung umgeleitet und landen ggf. hinter weiteren Staumauern, wo sie erneut genutzt werden können, ehe sie schließlich das Spielbrett den Fluss hinabfließend am unteren Ende verlassen, während neue Wassereinheiten von den Quellplättchen am oberen Spielbrettende ins Spiel kommen. Ein besonderer Kniff in puncto Ressourcenmanagement ist die Bauscheibe, die jeder Spieler hat und auf der die ausgegebenen Ressourcen platziert werden, ehe sie nach mehrfachem Drehen mit Verzögerung zurück in den eigenen Vorrat gelangen. Alldiejenigen, die keine Scheu vor gnadenlos interaktiven Wirtschaftssimulationen auf Expertenspielniveau haben, sollten hier in jedem Fall zugreifen – eine klare Empfehlung!
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Wasserkraft von Simone Luciani und Tommaso Battista
Erschienen bei Cranio Creations
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 100 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Cranio Creations)