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23.09.2020

Mystery House


Die meisten Escape-Spiele richten sich ja durchaus an eine etwas ältere Spielegemeinde. Zumindest ein Teenager sollte man in der Regel schon sein, um die mitunter knackigen Rätsel lösen zu können. Auch die Geschichten, die teilweise erzählt werden (s. z.B. Das Pendel der Toten), sind in der Regel nichts für die jüngeren Familienmitglieder. Nun kommt also Mystery House daher und möchte – so scheint es – genau diese Marklücke füllen. Ein Spiel, das in einem gruseligen Design daherkommt und ein 3D-Escape-Room-Spielgefühl vermitteln möchte. Der Clou dabei: Die Packung ist das Spiel…und man braucht natürlich eine App. Auf die grundlegende Problematik einer App bei Brettspielen bin ich ja schon mehrfach eingegangen und möchte dies an dieser Stelle auch nicht weiter tun. Denn über die Mystery House App gibt es noch genug zu berichten.


Aber fangen wir mal beim physischen Teil des Spiels an: Öffnet man die Lasche der Verpackung, zieht man zunächst das „Haus“ aus der Packung. Im Prinzip ist dies ein (sehr stabiler) Kasten mit vielen Löchern (Fenstern). Oben (im Dach) befinden sich viele Schlitze und ein Koordinatensystem und im Innenteil eine Kunstoffeinlage, die ebenfalls Schlitze aufweist. Außerdem befinden sich zwei Abenteuer in der Box: Familienportrait und Der Herr des Labyrinths, sowie natürlich eine Anleitung. Diese hätte man sich eigentlich sparen können, denn sie erklärt im Kern nur, wie man das Spiel zusammenbaut und welche Knöpfe es in der App gibt. Das hätte man auch innerhalb der App deutlich schöner über ein Tutorial lösen können. Aber halt: Startet man die App und drückt den Play-Knopf erscheint auch die Auswahl „Tutorial“. Startet man dieses, sieht man zwar alle Knöpfe, die in der Anleitung stehen. Jedoch wird jeder Tastendruck mit der Info „Kommt bald!“ quittiert. Sehr unschön.


Aber weiter im Text: Hat man sich für ein Abenteuer entschieden, befinden sich in den (ebenfalls sehr wertig gearbeiteten Boxen) Gegenstandkarten, die man sich nicht ansehen darf, sowie Ortskärtchen (ebenfalls sehr wertig). Letztere sollte man sich ebenfalls nicht ansehen, sondern anhand ihrer Koordinaten, die jeweils auf der oberen Kante aufgedruckt sind, in die Box einschieben, so dass nur noch die Koordinaten oben herausschauen. Durch die Fenster an allen Seiten lassen sich nun einige der Karten sehen, wobei die innenliegenden natürlich durch die äußeren verdeckt werden. Manche Karten zeigen auch einfach nur Mauern.

Hat man dies vorbereitet startet man das Abenteuer in der App und erhält eine kurze Geschichte …und wird komplett allein gelassen. Wie und was man tun soll, ist nicht wirklich klar. Gut, in der Anleitung steht, man soll eine Koordinate eingeben und erkunden. Tut man dies, erhält man eine Liste mit vielen Gegenständen…und nun? Drückt man etwas falsches, bekommt man 30 Sekunden (vom ohnehin sehr knapp bemessenen Zeitrahmen von 60 Minuten) abgezogen. Hm. Wir haben recht schnell herausgefunden, dass man sich die Fotos der Ortskarten genau anschauen muss und dann Dinge finden muss, die auch in der App-Liste stehen. Ähnlich wie bei den guten alten Point and Click Adventures aus der LucasArts-Klassik-Epoche. Je nachdem, welche Dinge man entdeckt, bekommt man Gegenstandskarten, die man wiederrum an anderen Orten benutzen kann. 


Je tiefer man ins Haus gelangt, desto dunkler wird es und man braucht ganz schnell (auch am hellichten Tag) eine Taschenlampe. Da die Karten jedoch glänzend beschichtet sind, ist das ein echtes Kunststück, da die Karten im Haus das Licht reflektieren. Hm. Auch waren wir der Meinung, dass man nur gradeaus ins Haus gucken darf und kamen irgendwann nicht wirklich weiter und haben uns dazu entschlossen auch einfach kreuz und quer ins Haus zu schielen. Wie ich mittlerweile weiß, geht es vielen Spielern von Mystery House so und wenn man die Anleitung nochmal ganz genau durchliest, lässt sich dort auch hineininterpretieren, dass es durchaus gewollt ist, dass man kreuz und quer reinguckt. Auch hier hätte ein vernünftiges Tutorial viel geholfen. Aber nun gut.


Durch die hervorragend gearbeiteten Komponenten und die schöne Optik, gepaart mit der stimmungvollen Klanguntermalung der App, entsteht eine wirklich tolle Atmosphäre am Spieltisch, die aber leider durch die App an vielen Stellen sabotiert wird. Zum einen ist die App sehr schlicht gehalten und passt nicht wirklich zu dieser Gesamtstimmung. Zum anderen trafen wir auf Fehler, die eigentlich nicht sein sollten. Beim Herrn des Labyrinths wussten wir nämlich nicht weiter und drückten auf „Hilfe“. Wir bekamen den Tipp, uns H2 genau anzusehen. Die Karte sahen wir jedoch nicht, da H1 genau davor stand. Wir erkundeten also andere Orte und H2 wurde entfernt. Ein weiterer Klick auf „Hilfe“ zeigte dann weiterhin den gleichen Tipp „schaut Euch H2 genau an“, ohne Möglichkeit, einen weiteren Tipp zu bekommen. Hm…auch ist es möglich, in der App irgendeinen Ort auszuwählen, den man noch gar nicht sehen kann und diesen zu erkunden.


Aber gut, Escape-Spiele leben ja nicht von der Technik, sondern von ihren Rätseln und ggf. der Story, die sie erzählen. Letzteres ist bei Mystery House leider zu vernachlässigen, da sie zwar für eine passende Stimmung sorgen (und das machen sie sehr gut!), aber ansonsten eher sehr wirr sind bzw. im Ablauf des Spiels einfach keine Rolle spielen. Die Rätsel sind dagegen sehr sehr knackig und echte Kopfnüsse…aber für ein Spiel „ab 14“ dann vielleicht doch eine Nummer zu heftig.

Was bleibt also? Ein wirklich stimmungsvolles Spiel mit tollen Komponenten (und einer mega Optik!) aber nicht wirklich ausgereifter Technik und einer dann doch leicht verfehlten Zielgruppe. Dabei ist die Grundidee samt dem gesamt Setting wirklich erstklassig und zeigt, wie viel Potential in dem Spiel steckt. Es könnte mit etwas Tuning bei der App und einer richtig guten Story ein echt gutes Spiel wird. Im aktuellen Stadium ist es aber leider, als wenn Lionel Messi in die Kreisliga wechseln würde…jede Menge verschenktes Potential…
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Mystery House von Antonio Tinto
Erschienen bei Schmidt Spiele
Für 1 bis 5 Spieler in ca. 60 Minuten ab 14 Jahren

sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Schmidt Spiele)