Puh… was stinkt denn hier so? Ist es die Kanalisation, in der wir uns gerade befinden? Oder ist es der große Haufen Käse dort drüben? Wahrscheinlich beides! Und jetzt schlüpfen wir noch geschwind in die Rolle einer Ratte, oder wenn wir gerade schon dabei sind, gleich in die eines ganzen Rattenclans, holen nochmals tief Luft… und der Gestank weicht und macht Platz für ein heimisches Gefühl der Geborgenheit. Willkommen in Ratland!
In diesem rattenscharfen Familienspiel – und ich bitte vorab um Entschuldigung für die gelegentlichen in dieser Rezension auftauchenden mittelmäßigen bis schlechten Wortwitze – spielen wir tatsächlich einen Rattenclan, der im Grunde nur eines zum Ziel hat, nämlich das zu tun, was Ratten nun mal am besten können, sich möglichst schnell vermehren, um so der größte und gefürchtetste Clan der gesamten Kanalisation zu werden. Blöd nur, wenn nicht genug Nahrung vorhanden ist, um alle durchzufüttern. Also schaut nicht so tatenlos dabei zu, wie eure Brüder und Schwestern langsam verhungern und macht euch besser auf die Suche nach lecker-saftig wohlstinkendem Käse! Und am besten teilt ihr euch auf und durchsucht die Müllkippe, die Stadt und die Felder, wobei der Rattenclan von nebenan in der gestrigen Nacht wohl ne Menge löchrig-sämige Delikatessen gefunden haben soll, die nur darauf warten, von uns stibitzt zu werden… Also, worauf wartet ihr? Der Käse findet sich nicht von alleine, und ihr zwei dort drüben, ihr bleibt hier und beschützt unseren eigenen Vorrat, denn man weiß ja nie, was die anderen Clans so im Schilde führen!
Material
Neben insgesamt 80 Käsestücken aus Plastik in verschiedenen Farben und einem mit dem Spieltitel beschrifteten Stoffbeutel, aus dem der Käse im Laufe des Spiels gezogen wird, findet man in der Spielschachtel noch 85 Rattenmarker aus Pappe, 6 doppelseitig bedruckte Spielerboards, 6 Sichtschirme, einen Spielrundenmarker sowie 48 Karten, die sich in Ereignis-, Nahrungs-, Clan-, Friedhofs- und Übersichtskarten gliedern. Am Material gibt es im Grunde nichts auszusetzen, denn es ist alles da, was man braucht, nichts scheint überflüssig, die Spielerboards sowie die Sichtschirme wirken sehr stabil und eines möchte ich euch noch verratten, der 3D-Käse in sechs verschiedenen Farben ist schon ziemlich genial! Da macht es in jedem Fall doppelt Spaß, die generischen Clans zu überfallen und ihnen den Käse zu stehlen. Außerdem sind die Illustrationen wirklich gut gelungen und enthalten viel Witz!
Ablauf
Eine Partie Ratland geht über 5-9 Runden. Ja genau, einige Partien dauern fast doppelt so lang wie andere, alleine aufgrund der Rundenanzahl. Dies kommt dadurch zustande, dass nach fünf zufällig gezogenen Anfangsereignissen, die jeweils zu Beginn der Runde ausgeführt werden, vier Schlussereignisse bereitgelegt werden, denen jedoch die Spielende-Karte beigemischt wird. Somit werden immer alle Anfangsereignisse gespielt, jedoch nicht immer alle Schlussereignisse. Und die Ereignisse selbst haben immer einen Einfluss auf alle Spieler und verändern den Rundenablauf leicht, zum Beispiel indem in der aktuellen Runde alle Spieler automatisch mit einer Ratte mehr angreifen oder ein giftiges Käsestück wieder in den Beutel zurückwerfen dürfen. Zudem bekommen alle Spieler zu Spielbeginn zwei zufällige Rattenclans mit verschiedenen Spezialfähigkeiten ausgeteilt, von denen sie sich jeweils einen aussuchen dürfen. Die Clankarten sind doppelseitig bedruckt und zeigen eine schwache Fähigkeit, die solange aktiv ist, bis die erste Schlussereigniskarte gezogen wird. Dann darf man die Karte umdrehen und ab sofort mit einer verstärkten Fähigkeit weiterspielen.
Nach der Ereignisphase kommt die Planungsphase, in der alle Spieler gleichzeitig hinter ihren Sichtschirmen à la Roll for the Galaxy ihre Aktionen für die aktuelle Runde programmieren, indem sie ihre Rattenmarker – und zu Beginn des Spiels sind es sieben – auf die verschiedenen Aktionsfelder ihres Spielerboards verteilen. Diese umfassen Angriffe auf den linken Nachbarn, Angriffe auf den rechten Nachbarn, Verteidigung des eigenen Käsevorrats, Vermehrung des Clans in der Kinderstube und die Suche nach Käse in der Müllkippe, der Stadt oder den Feldern. Im Anschluss werden die Sichtschirme entfernt und die Aktionen in einer festgelegten Reihenfolge durchgeführt.
Als erstes werden die Angriffsaktionen abgehandelt. Hierfür wird stets die Anzahl der angreifenden Ratten mit der Anzahl der verteidigenden Ratten verglichen. Sind mehr Angreifer als Verteidiger vorhanden, bekommt der Angreifer so viele Käsestücke vom Verteidiger, wie er überzählige Angreifer hat. Sollten mehrere Spieler erfolgreiche Angriffe auf denselben Rattenclan starten, wird er Käse unter den Angreifern aufgeteilt. Nach den Kämpfen findet die eigene Clanvermehrung statt, indem die Spieler sich für jede Ratte, die sie auf der Kinderstube platziert haben, eine weitere Ratte nehmen. Danach kehren verirrte Ratten wieder zurück und vergiftete Ratten werden wieder geheilt.
Als nächstes gehen die Ratten auf Käsesuche an drei verschiedenen Orten. Diese Orte werden der Reihe nach abgearbeitet, indem zunächst auf der aktuellen Nahrungskarte geschaut wird, wie viele Käsestücke welcher Farbe für den aktuellen Ort in den Stoffbeutel kommen. Der Spieler mit den wenigsten platzierten Ratten an diesem Ort zieht nun als erster so viele Käsestücke aus dem Beutel wie er Ratten platziert hat. Es folgt der Spieler mit den zweitmeisten Ratten vor Ort usw.. Sollte der Beutel leer gehen, obwohl ein Spieler noch weitere Käsestücke ziehen dürfte, hat dieser Spieler halt Pech gehabt. Nach dem Abhandeln des ersten Ortes wird der Beutel geleert und mit den angezeigten Käsestücken des nächsten Ortes wieder aufgefüllt – und das Ziehen geht von vorne los. Während gelber Käse als genau ein Käsestück zählt, den man sich in seine Vorratskammer legt, darf man für einen orangenen Käse, den man zieht, gleich zwei gelbe Käsestücke nehmen. Bei weißem Käse findet die Ratte nichts, bei schwarzem Käse stirbt die Ratte und kommt zurück in den allgemeinen Vorrat, bei lila Käse wird sie vergiftet und bei blauem Käse verirrt sie sich. Vergiftete Ratten kommen in die Krankenstube auf dem Spielerboard, müssen in der folgenden Phase mit durchgefüttert werden, können aber in der Planungsphase der folgenden Runde nicht genutzt werden. Die verirrten Ratten kommen wiederum auf die Verirrtenkarte des Spielers und stehen in der folgenden Planungsphase ebenfalls nicht zu Verfügung, müssen in der aktuellen Runde dafür aber auch nicht miternährt werden.
Nachdem Angriffe, Vermehrung und Suche stattgefunden haben, folgt vor dem Rundenende noch die Ernährungsphase, in der man Käse entsprechend der Größe seines Rattenclans abgeben muss, z.B. 3 Käse für 7-9 und 6 Käse für 16-18 Ratten. Für jedes Käsestück, das einem fehlt, stirbt eine Ratte, kommt auf den persönlichen Friedhof und zählt am Spielende einen Minuspunkt. Zum Glück startet jeder Spieler mit zwei Käsestücken!
Das Spiel endet, sobald die Spielendekarte beim Aufdecken der Ereignisse erscheint. Jede Ratte des eigenen Rattenclans zählt dann einen Pluspunkt, jede Ratte auf dem eigenen Friedhof einen Minuspunkt. Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.
Alternativ zum Standard-Spielerboard können die Spieler auch die „Aggressive Kanaltafel“ wählen, deren Einsatz zur Folge hat, dass bei einem erfolgreichen Angriff eine Ratte des angegriffenen Spielers stirbt und bei einer erfolgreichen Verteidigung eine des angreifenden Spielers.
Fazit
Ratland ist meiner Meinung nach ein wirklich gelungenes Familienspiel. Die Illustrationen sind witzig und zugleich stimmungsvoll, die Regeln und der Rundenablauf sind schnell verstanden und vor allem die Interaktion zwischen den Spielern wird hier großgeschrieben. Greifen mich meine Nachbarn diese Runde an? Sollte ich meinen Vorrat verteidigen oder lieber Ratten auf Käsesuche schicken? Schicke ich all meine Suchratten zur lukrativen Müllkippe oder verteile ich sie besser, um am Ende nicht vollkommen leer auszugehen? Soll ich es riskieren, ein paar Ratten mehr zu produzieren oder lasse ich meinen Clan langsam aber sicher wachsen? In diesem Worker-Placement-Programmierspiel geht es darum, die Gegner richtig einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Schaffe ich es, meine Ratten in einer Runde gerade so durchzufüttern, brauche ich mit meiner leeren Vorratskammer keine Angriffe der Mitspieler fürchten und kann mich voll und ganz auf das Besorgen von Käse und die Vermehrung konzentrieren. Sammle ich in einer Runde jedoch mehr Käse als ich für die Ernährung meines Clans brauche, muss ich in der Folgerunde weniger Käse dazugewinnen, um alle Ratten zu ernähren, bin u.U. aber auch ein attraktiveres Angriffsziel für feindliche Clans. So ärgerlich es ist, drei oder vier Ratten völlig umsonst zur Verteidigung des eigenen Käsevorrats eingesetzt zu haben, so befriedigend ist das Gefühl, wenn man einem anderen Clan den gesamten Vorrat wegstiehlt oder orangenen Käse aus dem Stoffbeutel fischt.
Obwohl das Spielziel und der Ablauf immer derselbe ist, fühlt sich jede Partie Ratland immer wieder etwas anders an. Natürlich ist man in seinen strategischen Überlegungen auf ein paar wenige Aktionen limitiert, aber für ein Familienspiel reichen die zur Verfügung stehenden Aktionen völlig aus. Abwechslung kommt ansonsten vor allem auch durch die unterschiedlichen Spezialfähigkeiten der einzelnen Rattenclans zustande. Während ein Clan vergifteten Käse als normalen Käse horten darf, vermehrt sich ein anderer Clan ganz von selbst, ohne den Einsatz seiner Ratten in der Kinderstube. Einem anderen Clan ist es erlaubt, Ratten nach dem Entfernen der Sichtschirme noch umzupositionieren, und wieder ein anderer darf sich stets die oberste Karte des Ereignisstapels ansehen. Insgesamt gibt es ganze 12 Clans, die es zu entdecken gibt, sodass einem zunächst nicht langweilig wird. Und auch die Möglichkeit, mit zwei unterschiedlichen Spielerboards zu spielen, sorgt für weitere Varianz und einen längeren Langzeitspielspaß.
Was den Strategen unter euch jedoch missfallen wird, ist der hohe Glücksfaktor im Spiel. Denn bei der Suche nach Käse kommt es schlicht und ergreifend darauf an, möglichst gut zu ziehen. Während ein Spieler an einem Ort, an dem er zwei Ratten eingesetzt hat, zwei orangene Käsestücke aus dem Beutel zieht, verzweifelt ein anderer Spiele mit gleichvielen Ratten am selben Ort beim Anblick des blauen und schwarzen Käses, den er gerade aus dem Beutel gefischt hat. Umso rattloser wird derselbe Spieler dann in der Ernährungsphase sein, wenn er seinen Rattenclan mit nahezu leerer Vorratskammer ernähren soll. Denn gute Ratte ist teuer!
Obwohl die einzelnen Spielphasen im Grunde sehr rasch abgehandelt sind und die Downtime dadurch sehr gering ist, kann es in der Käsesuchphase doch auch mal etwas länger dauern, da der Beutel immer wieder aufgefüllt und entleert werden muss und die Spieler nacheinander ziehen. Doch auch hier hält sich die Downtime in Grenzen und tut dem Spielfluss keinen wirklichen Abbruch.
Die variable Rundenanzahl ist zwar an sich eine gute Idee, da sie für mehr Spannung gegen Ende des Spiels sorgt, aber in diesem Spiel ist diese Variabilität doch recht extrem. Ob nur fünf oder neun Runden gespielt werden, macht schon einiges aus und die verstärkten Spezialfähigkeiten der einzelnen Clans stehen zudem erst ab der sechsten Runde zur Verfügung und kommen bei einer 5-Runden-Partie gar nicht zum Einsatz, was für mich dann doch das ein oder andere Mal ein wenig enttäuschend war. Darüber hinaus sind manche dieser Fähigkeiten deutlich stärker als andere, sodass die Spieler oftmals mit einem kleinen Vor- oder Nachteil starten, je nach dem, welchen Rattenclan sie sich ausgesucht haben.
Alles in allem kann ich Ratland ruhigen Gewissens all denjenigen empfehlen, die auf interaktive Familienspiele stehen, in denen es auch mal etwas rauer zugeht. Solltet ihr jedoch zu denjenigen gehören, die bereits bei einer Partie Mensch ärgere dich nicht den Titel gekonnt ignorieren, solltet ihr entweder an eurer inneren Ruhe arbeiten oder die Finger von Ratland lassen. Denn es kann hier und dort schon frustrierend sein, dabei zuzusehen, wie der eigene Käsevorrat Stück für Stück an die beiden angreifenden Nachbarn aufgeteilt wird. Zudem muss jeder selbst überlegen, wie taktisch oder glückslastig ein Spiel sein darf. Ratland hat von beidem etwas und hat mir und den Spielegruppen, mit denen ich es gespielt habe, wirklich Spaß gemacht. Vor allem das Element des geheimen Planens und Programmierens (hinterm Sichtschirm), wie man es aus Spielen wie Roll for the Galaxy, Gladigala (bereits als Rezension auf dieser Website zu finden) oder Tiny Epic Mechs (bald als Rezension auf dieser Website zu finden) kennt, sorgt immer wieder neu für Spannung, da man sich nie sicher sein kann, was die Mitspieler gerade so aushecken. Das Spiel lässt sich mit bis zu 6 Spielern spielen und mit zwei Exemplaren sogar mit bis zu 12 Spielern, wobei fünf Spieler bei meinen Spielerunden das Maximum war. Zu zweit lässt sich das Spiel zwar auch spielen, doch erst ab 3 Spielern, entfaltet es sein volles Potenzial.
Ratland wird sicher noch eine Weile in meiner Sammlung verharren und kommt bestimmt noch das ein oder andere Mal zum Einsatz, wenn mir der Sinn gerade nach lustigen und raschen Rattenschlachten steht. Und jetzt mache ich mir noch ein Käsebrot, denn in meinem Kühlschrank darf ich mir den Käse aussuchen, den ich heraushole!
In a nutshell…
In Ratland spielen wir einen Rattenclan mit einer gewissen Spezialfähigkeit und versuchen diesen über 5-9 Runden so viel wie möglich wachsen zu lassen, um der mächtigste und gefürchtetste Rattenclan der gesamten Kanalisation zu werden. Doch je größer der Rattenclan ist, desto mehr Käse brauchen wir, um am Ende der Runde alle ernähren zu können. Gelingt uns das nicht, sterben unsere Ratten und verursachen Minuspunkte am Spielende. In jeder Runde platzieren die Spieler geheim hinter Sichtschirmen ihre Ratten auf verschiedene Aktionsfeldern, mit denen sie anderen Spielern Käse klauen, den eigenen Käse verteidigen, Käse an verschiedenen Orten wie der Mülldeponie suchen und sich weiter vermehren können. Wer am Ende die meisten Pluspunkte in Form von eigenen Ratten hat, gewinnt das Spiel. Das Material, und vor allem die 3D-Käsestücke, haben insgesamt überzeugt und ich kann dieses schöne und sehr thematische Familienspiel vor allem denjenigen empfehlen, die auf sehr interaktive Spiele stehen, die hin und wieder auch mal etwas rauer werden können, und denen ein gewisser Glücksfaktor im Spiel nichts ausmacht.
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Ratland von Eduardo Martin
Erschienen bei Taverne Ludica Games
Erschienen bei Taverne Ludica Games
Für 2 bis 6 Spieler in ca. 30 Minuten ab 8 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Taverne Ludica Games)