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23.02.2020

Sierra West


Irgendwann im 19. Jahrhundert… irgendwo im Wilden Westen von Nordamerika inmitten der Sierra Nevada…versuchen ein paar mutige Pioniere, sich ein Leben aufzubauen. Sie bauen Hütten, erkunden neue Pfade, besteigen die örtlichen Berggipfel oder versuchen sich als Trapper. Daneben werden manchmal noch Äpfel gesammelt, mit Fischen gehandelt, sich einem Goldrausch hingegeben oder gar als Sheriff für Recht und Ordnung gesorgt. All das deckt Sierra West ab…und bei wem das nicht Erinnerungen an „Unsere kleine Farm“ wachrüttelt…der ist schlicht deutlich jünger als ich.
Aber kommen doch mal zum eigentlichen Spiel: Auf den ersten Blick fällt das tolle Packungsdesign auf, dass sich auch durch all die (zahlreichen und qualitativ einwandfreien!) Komponenten des Spiels zieht. Ob dies nun die Bergkarten, Spielkarten, Playerboards, Hüttenmarker, Tiermarker, Starspielermarker, Holzmeeples oder sonstige Tableaus betrifft, alles wirkt wie aus einem Guss und und passt zum Setting wie die Faust auf das Pionierauge.
Der Überfluss an Komponenten ist jedoch kein Selbstzweck. Das Spiel kommt nämlich mit vier unterschiedlichen Spielmodi (andere hätten da Erweiterungen draus gemacht, daher ein großes Lob hierfür!) daher, die alle ihre eigenen Komponenten mitbringen. Das grundlegende Spiel bleibt dabei im Kern immer gleich und lässt sich doch recht schnell mit „Eurogame“ zusammenfassen. Allerdings mit so einigen raffinierten Kniffen…


Jeder Spieler bekommt zwei Pioniere, einen Wagen und einen „Grenzer“. Während die ersten beiden auf dem eigenen Tableau ihr Unwesen treiben, rollt der Wagen langsam am Fuße des Berges dahin (und zeigt dabei an, was man dort nutzen kann und welchen Multiplikator man am Ende für seine Siegpunkte bekommt) und der Grenzer erklimmt den aus 20 Karten bestehenden Berg, um dort neue Karten für seinen Spieler zu entdecken. Die eigentliche,“echte“ Aktion erfolgt aber mit den beiden Pionieren (sowie ein Maulesel, von dem es aber insgesamt nur einen für alle Mitspieler gibt), denn nur sie gewinnen Rohstoffe, bauen Hütten oder ermöglichen den Wagen sowie den Grenzern, sich zu bewegen. Und das läuft wie folgt ab:
Jeder Spieler erhält ein Deck aus Karten und baut hiervon 3 direkt in sein Spielertablau ein, so dass sich zwei Pfade und ein Berggipfel für die Pioniere ergeben. Jeder Schritt auf diesen Pfaden löst dabei eine bestimmte Aktion aus und man darf in jeder Runde frei entscheiden, wie viele Schritte man gehen möchte und welche Aktionen dabei ausgelöst werden. Manche dieser Schritte kosten dabei Rohstoffe und andere wiederrum müssen zwingend ausgeführt werden, wenn man weiterlaufen möchte, ohne Schaden zu erleiden. Erreicht ein Pionier das Ende seines Pfades, darf er den Gipfel des eigenen Tableaus erklimmen (wortwörtlich!) und dort eine weitere Aktion ausführen (z.B. Rohstoffe „einlagern“ um später Siegpunkte zu bekommen). Die gebauten Hütten wiederrum bringen je eigene Effekte mit ins Spiel, die durch die Pionieraktionen ausgelöst werden.


Ist ein Spieler an der Reihe werden alle anderen jedoch nicht zum blanken Zuschauen verdonnert. Der Clou des Spiels liegt nämlich darin, dass am Ende des eigenen Zuges die 3 Karten aus dem eigenen Tableau abgeworfen und durch neue Karten des eigenen Decks ersetzt werden müssen. Hierdurch entstehen neue Pfade und neue Berggipfel. Nun kann man sich also die Zeit, bis man wieder am Zug ist, mit Grübeln vertreiben. Doch Achtung: Das alleine reicht nicht. Man kann nämlich jederzeit im Zug der anderen Spieler Tiere auf deren Tableau jagen (und dies sollte man auch tun, denn diese bringen später Rohstoffe und bewahren einen vor Siegpunktverlust) oder ebenfalls Rohstoffe einheimsen.
Die durch die Grenzer erforschten Karten des Berges bringen zum einen Karten für das eigene Deck ein, beinhalten aber auch ganz spezielle Karten, die am Fuße des Berges abgelegt werden. Wer diese Karten „nutzen“ darf (das wie hängt vom gewählten Modus ab), wird durch die Wagen der Spieler angezeigt: Je weiter rechts ein Wagen steht, desto mehr Karten (nämlich die darunter sowie alle links davon liegenden) dürfen genutzt werden. Außerdem haben diese Spezialkarten noch eine zusätzliche Funktion: Wird die sechste Spezialkarte aufgedeckt, läuft die aktuelle Runde noch zu Ende und anschließend ist jeder noch einmal an der Reihe. Dann endet das Spiel und es folgt die Abrechnung.


Siegpunkte bringen Karten, die man durch seine Grenzer vom Berg erhalten hat, das übrig gebliebene Gold und übrige Schuhe (die man zum Bewegen des Wagens und des Grenzers benötigt). Außerdem werden die eingelagerten Rohstoffe mit dem Stand des eigenen Wagens multipliziert. Abzüge gibt es für nicht eingefangene Tiere (denn jeder sollte im Laufe des Spiels ein Exemplar jedes Tiers gefangen haben) und für nicht gebaute Hütten. Viel Rechnerei also, aber im Grunde gar nicht so schlimm.
Die einzelnen Modi bringen zu diesem Grundspiel dann noch wirklich unterschiedliche Elemente hinzu, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Während die Äpfel zusätzliche Rohstoffpunkte einbringen (die mit dem Wagenstand multipliziert werden), bringen Boote und Banjos mehr Gold während dem laufenden Spiel ein, beim Goldrausch sammelt man Gold in Minenwagen, die wiederrum gesonderte Punkte geben und bei den Outlaws bringen besiegte Banditen am Ende des Spiels Extrapunkte in Abhängigkeit von der Position des eigenen Wagens. Daneben bieten die letzten beiden Modi noch Sonderkarten, die ebenfalls Extrapunkte einbringen.


Klingt alles irgendwie nach einem Regelwälzer und wenn ich ehrlich bin: Rein optisch ist das Regelheft auch alles andere als „kompakt“. Beim näheren Hinsehen und vor allem nach dem ersten Spielen wird aber schnell klar: Im Kern sind die Regeln dann doch relativ schnell erklärt und noch schneller verinnerlicht. Wer schon mal ein Eurogame gespielt hat, findet sich auch hier schnell zurecht. Aber, und das ist nun mal auch typisch Eurogame: Das Ausmaß an Optimiermöglichkeiten ist in Sierra West durchaus ansehnlich (und wem es nicht genügt, der bekommt von den Machern noch eine kleine Regelvariante mitgeliefert, die das Ganze potenziert). Man muss also wirklich aufpassen, dass man mit nicht zu vielen Grüblern an einem Tisch sitzt. Sonst verkommt das Ganze zu einer Schachpartie. Da hilft dann auch das „Trappern“ nicht.
Mit einer ausgewogenen Spielerschaft schafft man Sierra West jedoch problemlos in den angesetzten 60 Minuten durchaus, so dass immer noch Zeit für eine Revanche übrig bleibt. Und grade hier kommt dann auch die große Stärke der Modi zum Tragen: Wählt man für die zweite Runde einen anderen Modus, braucht man nur wenige neue Regeln nachlesen und startet in ein durchaus anderes Spiel, als die Runde davor. Da ruft dann auch ganz schnell noch eine dritte Runde.


Und wer dann noch nicht genug davon hat, darf sich auch nach Mitternacht, wenn alle schon gegangen sind, noch der Solovariante widmen. Diese kommt nochmal mit ganz eigenen Karten daher, die einen zweiten Spieler simulieren. Und damit auch das nicht schnell langweilig wird, bringen die Regeln hierfür noch verschiedene Schwierigkeitsgrade mit.
Unterm Strich also ein rundum gelungenes Workerplacement-/Eurogame mit netten Mechaniken und jeder Menge mitgelieferter Abwechslung. Und dabei – dank der knackigen Spielzeit - noch immer ein schönes Spiel für Zwischendurch…wenn man nicht grade mit einem Schachweltmeister am Tisch sitzt…

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Sierra West von Jonny Pac Quantin
Erschienen bei Board&Dice
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 60 Minuten

sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Board&Dice)