Mittlerweile haben wir alle eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie unsere Welt nach der Apokalypse aussehen könnte. Trockene Sandwüsten ohne Leben, von der Natur zurückeroberte Großstädte oder vom Schnee bedeckte Landschaften so weit das Auge reicht. Wir sahen genug Filme und spielten genug Spiele, um mit dem apokalyptischen Szenario warmzuwerden, denn das Endzeitthema ist spätestens seit Mad Max so beliebt wie kaum ein anderes. So unterschiedlich die aufgezählten Endzeit-Szenarien auch sein mögen, so haben sie dennoch eine große Gemeinsamkeit: Es geht immer ums nackte Überleben. Die Ressourcen sind knapp, Selbstjustiz ist an der Tagesordnung und wenn man keine Waffen hat, sollte man alle anderen Menschen besser meiden.
Arctic Scavengers Überleben im Jahr 2097 -was ein Glück, dass nur die wenigsten von uns in diesem Jahr tatsächlich überleben müssen- orientiert sich genau an diesen Klischees und versucht mit seiner Deckbuilder Mechanik etwas Neues zur Brettspielgemeinde beizusteuern. Ob das gelingt?
Arctic Scavengers kam bereits 2009 bei Rio Grande Games raus und wurde von einigen als das bis dato beste Deckbuilder Spiel bezeichnet, wobei besonders das Thema als stark präsent gelobt wurde. Nach und nach kamen Erweiterungen, bis man sich 10 Jahre später entschied, das Spiel auch auf deutsche, samt all diesen Erweiterungen zu veröffentlichen. Wer Dominion und Co. Kennt, der kann in etwa erahnen, wie AArctic Scavengers funktioniert. Für alle, die mit der Deckbuilder Mechanik nichts anfangen können, hier eine kurze Zusammenfassung:
Jeder Spieler startet zunächst mit den gleichen Handkarten, versucht aber im Spielverlauf ein Kartendeck aufzubauen, das sich nicht nur vom gegnerischen Unterscheidet, sondern im Idealfall eine kumulative Verkettung der ausgespielten Karten erzeugt. Dafür liegen auf dem Tisch weitere Karten, die durch das Ausspielen der vorhandenen gekauft werden können. Meistens spielt man dafür alle seine gezogenen Handkarten aus, schaut, wie viel Geld man aus diesen zusammenkratzen kann und kauft Karten aus dem ausliegenden Markt. Der Clou hierbei ist, dass sowohl die ausgespielten als auch die frisch gekauften Karten auf die Ablage kommen. Erst wenn der eigene Nachziehstapel leer ist, darf man die Ablage mischen und so zum neuen Nachziehstapel mit nun neuen Karten machen. Ein bestimmtes Ereignis triggert das Spielende und es gewinnt meist derjenige, der die meisten Karten gekauft hat, die Siegpunkte bringen. So funktionieren 99% aller kompetitiven Deckbuilder. Genauer betrachtet, ist ein Deck Builder also wie ein Engine Builder nur mit Karten. Die zwei größten Kritikpunkte hierbei sind jedoch der Mangel an Spielerinteraktion und der früh vorhersehbare Sieger, da man ja immer sehen kann, welche Karten das Gegenüber kauft.
Arctic Scavengers tanzt hier aber aus der Reihe und versucht genau diese Schwachpunkte der Deckbuildermechanik zu beseitigen.
Das Ziel bei Arctic Scavengers ist es, zum Spielende die meisten Personen in seinem Stamm zu haben, das heißt, dass man Karten kaufen muss, die ein Männchensymbol in der unteren linken Ecke besitzen, je mehr, desto besser. Hier bleibt Arctic Scavengers dem typischen „kaufe die meisten Siegpunkte Karten um zu gewinnen“ eines Deckbuilders treu. Der Clou ist aber, dass man nicht immer sieht, welche Karten die Gegenspieler ergattern. Dafür sorgt die Aktion mit dem Namen „Schrottplatz Durchsuchen“. Der Schrottplatz ist ein geheimer Kartenstapel, in dem man, wie der Name schon sagt, vielen nutzlosen Schrott findet, aber auch besonders mächtige Karten und das Beste daran, euer Gegner weiß bis zum Ausspielen dieser nicht welche es sind, denn ihr zieht verdeckt. Eine weitere Besonderheit bei Arctic Scavengers ist das Kombinieren von Karten. Dabei kann die Erfolgschance einer fast jeden Aktion erhöht werden, indem mindestens zwei Karten, die sich meist aus einer Person und einem Werkzeug zusammenstellen, kombiniert werden. Möchte man beispielsweise „Jagen“, was eigentlich nur bedeutet, dass man Karten kaufen möchte, die ein oder mehr Nahrungssymbole kosten, braucht man zunächst eine Person, die die Fähigkeit Jagen hat und beispielsweise einen Speer. So wird der Grundwert des Jagenden mit dem Bonuswert des Speers addiert und man kann sich eine teurere Karte ergattern, als ohne Speer. Gleiches gilt auch für die oben beschriebene Schrottplatzaktion, nur braucht man dort die Schaufel. Was aber die wohl beste Besonderheit von Arctic Scavengers ist, ist das Ausspielen von Karten während gegnerischer Züge, um ihnen das Leben zu erschweren. Möchte einer meiner Gegenspieler z.B. durch das Ausspielen einer Plünderer Karte, eine Karte von seinem Nachziehstapel ziehen, kann ich einen Scharfschützen einsetzen, der ihn sofort daran hindert. Hier muss man aber aufpassen, denn vorm Ende jeder Runde gibt es eine Kampfphase, in der jeder Spieler seine bis dato nicht genutzten Karten verwenden kann, um an der Schlacht teilzunehmen. Hierbei handelt es sich lediglich um das Vergleichen von Kampfwerten der restlichen Karten, wobei der Gewinner sich die oberste Karte vom Stapel „Umkämpfte Ressourcen“ nehmen darf. Dieser Stapel beinhaltet besonders wertvolle und starke Karten und triggert außerdem das Spielende, wenn er leer geht. Wer also am Kampf teilnehmen möchte, sollte Karten aufsparen, um diese dann einzusetzen, oder einfach bluffen, indem sie oder er, durch das Aufsparen der Karten, die Gegenspieler dazu animiert weniger Karten auszuspielen um für den Kampf gewappnet zu sein.
Das Basisspiel von Arctic Scavengers welches vom Regelwerk für den Einstieg empfohlen wird, ist relativ überschaubar und besonders für Vielspieler einfach zu wenig. Die Erweiterungen Hauptquartier und Aufklärung machen da schon einen riesigen Unterschied, da sie zum einen ganz neue Spielmechaniken mitbringen und zum anderen etablierte Aktionen noch spaßiger und immersiver machen. Mit den Erweiterungen könnt ihr beispielweise Reaktionskarten spielen um gegnerische Attacken zu verhindern oder Gebäude bauen, die permanent liegen bleiben und z.B. als Lager für bestimmte Karten dienen können. Stammesanführer-Karten verleihen jedem Spieler individuelle Fähigkeiten und der Spion oder das Fernglas lassen euch die Handkarten der Gegner oder einiger Stapel ansehen.
Anm. d. red.: In meinem Fazit bewerte ich das Spiel so, wie es auf dem deutschen Markt erscheint, d.h. mit den erweiterungen HAUPTQUARTIER und AUFKLÄRUNG.
Arctic Scavengers ist eigentlich schon lange ein Klassiker unter den Deck Building spielen. Warum es so lange gedauert hat, bis ein deutscher Release kam, kann ich mir bei bestem Willen nicht erklären. Das Spiel wirft so ziemlich alles, was mich an einem Deckbuilder stört über Bord und liefert vielseitige und vor allem interaktive Runden ohne das Deckbuilder-Feeling zu verwaschen. Ich kann aber verstehen, dass all die vielen Aktionen und Phasen einer Runde vor allem Dominionliebhaber abschreckt, da die Downtime bei Arctic Scavenger genauso deckbuilder-untypsch ist, wie viele seiner Mechaniken, was dazu führt, dass es eben nicht so flott gespielt werden kann. Eben mal eine Runde Dominion geht easy, aber eben mal eine Runde Arctic Scavenger eher nicht.
Nichtsdestotrotz dominiert Arctic Scavengers im Hinblick auf Spieltiefe und Interaktion seine Konkurrenz mit Leichtigkeit. Die Möglichkeiten zum Angriff, die individuellen Spielerfähigkeiten und die unzähligen Varianten sich ein individuelles Deck zu bauen, welches über die Handkarten hinaus geht habe ich bisher in keinem anderen Deckbuilder gesehen. Und was ich ebenfalls bei kaum einem anderen Deckbuilder gefühlt habe, war ein so stark präsentes Thema. Das graben im Schrott um dann doch enttäuscht nur Müll aufzusammeln, die Angst, dass ein gegnerischer Scharfschütze die nächste Aktion zunichtemachen kann, aber auch das Aufbauen einer eigenen Kolonie mit einer funktionierenden Dynamik und das Dominieren der Gegner im Kampf runden die bereits hervorragenden Spielmechaniken zu einem schönen Paket ab.
Wer Deckbuilder mag, aber frischen Wind und vor Allem einfach mehr Spiel braucht ist hier genau richtig.
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Erschienen bei ASS Altenburger
Für 2 bis 5 Spieler in ca. 60 Minuten
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier ASS Altenburger)