Auf dem Cover der Box von Pandoria sehen wir zwei Elfen in einem Boot, die sich rudernd den Ufern einer strahlenden Gebirgslandschaft nähern. Einer der beiden blickt zurück, als würde er dem Betrachter etwas mitteilen wollen. Vielleicht sagt er so etwas wie: „Hey, Du! Wenn Du ein grübelfreudiges, interaktives Plättchen-Lege-Spiel für 2-4 Spieler suchst, das sich besonders gut zu zweit spielt, hüpf‘ an Bord!“.
Angesichts dessen dürfte selbst dem geneigtesten Leser die Stimme seiner Mutter in Erinnerung treten: „Spring niemals zu fremden Elfen ins Boot!“. Daher betrachte ich es als meine Pflicht, euch im Folgenden etwas besser mit Pandoria bekannt zu machen. So könnt ihr hoffentlich entscheiden, ob man diesem Elfen trauen kann.
Pandoria ist dieses Jahr (2018) pünktlich zur SPIEL in Essen erschienen und wurde gemeinsam von Jeffrey D. Allers und Bernd Eisenstein entwickelt. Um was für ein Spiel handelt es sich hier, vor allem: Was hat es mit Elfen zu tun? Nun, die Spielanleitung gibt eine kleine Rahmenerzählung vor:
In Pandoria schlüpfen wir in die Rollen verschiedener Fantasyvölker, die ihren angestammten Kontinent verlassen mussten, und dabei Zuflucht auf dem noch unberührten, namensgebenden Land Pandoria fanden. Dort konkurrieren wir nun um die Erschließung neuer Landschaften, das Einsetzen unserer Gefolgsleute, die Gewinnung von Ressourcen, und damit vor allem um… Siegpunkte. Ja, es ist nur fair, direkt zu erwähnen, dass Pandoria kein thematisches Spiel ist. In den Partien ergeben sich keine erinnerungswürdigen Geschichten über die Schicksale der Elfen, Zwerge, Magier, Halblinge und Menschen, die ihr kontrolliert. Der Fokus der Spielerfahrung liegt auf der Faszination einer eher abstrakten Rätselei: Ihr versucht, durch das geschickte Platzieren von Doppel-Hexplättchen und Figuren auf einem gemeinsamen Spielfeld, sowie durch den Einsatz von Karten, mehr Ressourcen und Siegpunkte als eure Gegenspieler zu gewinnen.
Der Anspruch dieser Rätselei ist zum Glück kein Ergebnis vieler Regeln, kruder Ikonographie und dutzender Mechanismen. Pandoria ist (aus der Perspektive eines Vielspielers) leicht erlernt, verständlich gestaltet und besteht aus wenigen, aber eng verzahnten Elementen.
Das Kernelement ist ein Plättchen-Lege-Mechanismus, der durch Interaktivität glänzt. In ihren Zügen legen die Spieler ein Doppel-Hexplättchen auf einem gemeinsamen Spielfeld ab und können anschließend eine Spielfigur darauf platzieren. Ziel ist es, die auf den Hexfeldern dargestellten Landschaftstypen zu Gebieten eines Typs zu vergrößern und früher oder später vollständig mit Feldern anderer Landschaftstypen zu umschließen. Wird ein Gebiet eines Typs auf diese Weise von einem Spieler „abgeschlossen“, wird es am Ende seines Zuges gewertet. Für die Wertung ist dann die Platzierung der Figuren entscheidend: Denn an der Wertung ist jeder Spieler beteiligt, der Figuren um das abgeschlossene Gebiet herum platzieren konnte. Die Anzahl der Figuren, multipliziert mit den Ressourcensymbolen im abgeschlossenen Gebiet, bestimmt den Ertrag, den man bekommt.
Besonders interaktiv wird dieser Mechanismus aber nicht nur dadurch, dass alle gemeinsam an den Gebieten „bauen“, die gewertet werden. Eine weitere Regel lautet, dass alle Figuren aus einem Gebiet entfernt werden, sobald es abgeschlossen wird. Man kann also die Pläne unvorsichtiger Mitspieler aktiv durchkreuzen, indem man die Gebiete abschließt, auf denen ihre Figuren stehen. Das funktioniert sehr gut: Es peppt den simplen Legemechanismus auf, fühlt sich aber nie ungerecht an, da man drohende Gefahren gut einschätzen kann. Tolle Sache!
In der Wertung der Gebiete geben dann nur die gelben Stadtgebiete direkt Siegpunkte. Die übrigen Gebiete (Kristallregionen, Minen und Wälder) sind mit den Ressourcen Kristall, Gold und Holz verknüpft, von denen sich bis zu 10 auf den Spielertableaus „lagern“ lassen. Wertet man einen Überschuss, also über die 10 hinaus, rechnet sich dieser in Siegpunkte um. Ansonsten bilden Kristall, Gold und Holz die Schnittstelle zu dem zweiten wichtigen Element Pandorias – den Karten.
Denn zwischen dem Platzieren von Plättchen und Spielfiguren und der Wertung abgeschlossener Gebiete, dürfen die Spieler noch eine Karte aus ihrer Hand ausspielen. Jede Karte löst entweder als Zauberspruch (gegen Kristalle) einen einmaligen Vorteil aus, zB. das Einsetzen weiterer Figuren, oder generiert als Gebäude (gegen Holz) einen dauerhaften Bonus, zB. zusätzliches Holz bei der Wertung von Wäldern. Gehen einem die 4 Start-Handkarten aus, kann man sich gegen Gold eine neue Karte pro Zug vom Kartenmarkt kaufen – aber nur, wenn man in diesem Zug ein Gebiet abgeschlossen hat. Die einmaligen Vorteile der Karten können für überraschende Veränderungen im Spielgeschehen sorgen, und die geschickte Kombination der dauerhaften Boni kann mächtig werden. Das erhöht die taktische und strategische Tiefe Pandorias deutlich!
Bei all dem ist der Grübelfaktor nicht zu unterschätzen. Die enge Verbindung zwischen Legemechanismus, Ressourcen-/Wertungssystem und Karten, lässt aus einem Spiel mit übersichtlichen Regeln eine recht verkopfte Angelegenheit werden. Dabei habe ich noch nicht einmal alle Faktoren erwähnt, die man in Betracht ziehen sollte. Wichtig ist auch das Management der eigenen Figuren, sowie das Timing für den Bau sogenannter Monumente. Mit diesen überbaut man bereits vorhandene Gebäude, um viele Siegpunkte zu generieren. Außerdem verfügt jeder Spieler über die Spezialfähigkeit seines Volkes. So haben Zwerge zu Beginn ihres Zuges die Wahl aus zwei Doppelplättchen, statt nur einem, während Magier in jedem Zug eine Karte kaufen können, egal, ob sie ein Gebiet abgeschlossen haben oder nicht.
Was den Grübelfaktor aber wirklich zuspitzt, ist der Umstand, dass man in Pandoria nie entspannen kann: Die im Spielverlauf gewonnenen Siegpunkte sind entscheidend, es gibt praktisch keine Endwertung. Man weiß jederzeit, wie gut man sich schlägt – und das Aufholen von Rückständen ist mühselig. Am angenehmsten spielt es sich also, wenn alle Spieler auf einem Niveau sind, und jeder diese kompetitive Stimmung zu schätzen weiß. Ich persönlich weiß das zu schätzen und kann mich mit dem Spielgefühl von Pandoria anfreunden. Ich komme aber nicht umhin, mich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, das Spiel kürzer zu gestalten. Eine Partie dauert mindestens die angegebenen 90 Minuten, eher zwei Stunden. Eine Stunde hätte meines Erachtens alles etwas frischer gehalten.
Ein weiterer genereller Pluspunkt an Pandoria ist die Dynamik des Spielverlaufs. Die Möglichkeiten zur Wertung sind raschen Veränderungen unterworfen. Immer wieder spitzen sich einzelne Situationen zu und sorgen für Spannung. Das gefällt mir grundsätzlich sehr gut – das Spielgeschehen als solches wird nie uninteressant (vorausgesetzt, man rechnet sich noch Siegchancen aus). Damit verbunden ist aber auch eine Einschränkung: Pandoria spielt sich besser, je weniger Spieler beteiligt sind. Dann ist der Wettbewerb am fairsten, am dichtesten. Bei 3 oder 4 Spielern kann man sich so vorkommen, als gehe einem die Kontrolle über das Spielgeschehen flöten. Das ist besonders frustrierend, wenn man einen größeren Rückstand zu verzeichnen hat. Im schlimmsten Fall hinkt man eine Stunde lang den anderen Spielern hinterher – im Wissen, dass man nichts mehr ausrichten kann.
Ein Geniestreich der beiden Autoren war es da, eine Partnerschaftsvariante für 4 Spieler in das Regelheft zu übernehmen. Hier bilden die zwei Spieler, die sich gegenübersitzen, jeweils ein Team. Man kombiniert die Siegpunktmarker der beiden Teammitglieder: Die Punkte des einen sind die Punkte des anderen. Damit fühlt sich das Spiel wieder fast so dicht und kontrolliert an, wie in der 2-Spieler-Variante. Zusätzlich hat man Gelegenheit, Freude und Ärger über das Spielgeschehen mit einem Leidensgenossen teilen zu können. Ich würde empfehlen, Pandoria zu viert ausschließlich in dieser Variante zu spielen.
Es gibt außerdem eine „Einsteigervariante“, bei der es keine asymmetrischen Spielerfähigkeiten gibt und die Start-Kartenhand vorgegeben wird, um das anfängliche Taktieren einfacher zu gestalten. Davon bin ich weniger begeistert. Vielspieler können problemlos ins normale Spiel starten, für Gelegenheitsspieler erscheint mir die Einstiegshürde nicht bedeutend niedriger zu liegen.
Alles in allem hoffe ich, dass aus meinen Worten ein positiver Grundtenor hervordringt, denn Pandoria gefällt mir persönlich wirklich gut. Gleichzeitig sehe ich, dass es nicht für jeden Spielertyp und für jede Spielerunde empfehlenswert ist. Vielspieler, die ein interaktives und dynamisches Spielgeschehen zu schätzen wissen, das vor allem durch Rätseleien begeistert, sollten sich in Pandoria wohlfühlen, wenn sie sich mit den oben genannten Einschränkungen arrangieren können. Das gilt besonders für die Spielerzahl – die 2-Spieler-Erfahrung und die 4-Spieler-Partnerschaftsvariante sind allerdings umso gelungener!
Abschließend noch ein paar Worte zur Gestaltung: Die Illustrationen auf Spielbrett, Plättchen und Karten sind zwar recht konventionell, aber gelungen. Pandoria verbreitet ein buntes, klassisches Eurogame-Flair. Mit den Spielertableaus bin ich weniger zufrieden: Die Illustrationen einiger Völker gefallen mir nicht, die Ressourcenleisten hätten schicker sein können. Die Qualität des Spielmaterials ist gut, besonders die originell geformten Holzmeeple wissen zu gefallen. Die Anleitung ist verständlich geschrieben und kommt gleich in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch. Das Spiel selbst ist nämlich sprachneutral gestaltet. Lob dafür!
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Erschienen bei Iron Games
Für 2 bis 4 Spieler in ca. 100 Minuten
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Iron Games)