Eine Liebeserklärung in 3 Akten
Wenn man Ende der 1980ziger oder Anfang der 1990ziger geboren wurde und nur etwas Geekiges oder Nerdiges an sich hatte, dann gab es 3 Phänomene, an denen man nicht vorbei kam:
1. Online Spiele, von Browser Games, über Online Matches bis MMORPGS, 2. Sammelkartenspiele, von „Magic: The Gathering“ (MTG), über „Yugi-Oh!“ bis „Legend of the five Rings“ (L5R) und 3. Herr der Ringe, von „Die Gefährten“, über „Die zwei Türme“ bis „Die Rückkehr des Königs“. Doch im November 2001 sollte es noch besser kommen. Es sollte zu einer Entwicklung kommen, an deren Ende die Verschmelzung dieser Phänomene stand.
Akt 1: Ein neues Land im Ozean
Damals war ich 15 Jahre alt. Mein Jugendweihe-Geld hatte ich für „Diablo 2: Lord of Destruction“ (D2:LoD) und für MTG-Karten (damals 7. Edition) ausgegeben. Während D2:LoD den Grundstein für eine ganz andere Liebe legte (BLIZZARD! <3), legte MTG die finanzielle und emotionale Grundlage für meine Liebe zu Sammelkartenspielen. Ich entwickelte recht schnell ein Schema, um mit meinem knappen Taschengeld trotzdem ganz gut MTG spielen zu können: Booster Displays kaufen (enthielt damals 36 Boosterpacks, die je 15 Karten beinhaltete), spielen und tauschen, teure Karten aussortieren, teure Karten verkaufen und von vorne.
Doch in all seiner scheinbaren Vielfalt und seinem Erfolg war MTG vor allem eins für mich: recht schnell eintönig und arm an einer alles übergreifenden Geschichte (und fangen wir gar nicht erst mit den damaligen Büchern zum Spiel an). Scheinbar gab es tausende alternative Kartenspiele. Aber wie sich auch am Erfolg von Yugi-Oh gut erkennen lässt, waren die meisten erfolgreichen Sammelkartenspiele, eine einfachere Version von MTG (z.B. Yugi-Oh!, Harry Potter TCG, Duel Master, Dinosaurs etc.) oder eine Version mit Twist (z.B. VS. System, World of Warcraft TCG, Hecatomb TCG etc.) So blieb in meinem Nerd-Herz eine Flanke offen. Diese wusste eine kleine Firma aus Amerika namens Decipher zu nutzen. Sie waren es, die das Wunder vollbrachten. Sie waren eine der wenigen Kartenspielfirmen, die auch ohne MTG-Clone extrem erfolgreich waren. Sie waren es, die das Lord of the Rings Trading Card Game (LotR TCG) erfanden und damit meine persönliche Spielwelt revolutionieren.
Ein Ausflug ins Detail:
Das LotR TCG von Decipher hat ein elegantes Regelset, welches auf wundersam schöne Weise, das Gefühl der Filme widerspiegelt. Das fängt bereits beim Deckbau an und zieht sich durch das gesamte Spiel.
Jeder Spieler bereit ein Deck mit mindestens 60 Karten, sowie Frodo, dem „einen Ring“, Start-Gefährten und einen Stapel aus 9 Landschaften vor. Das Deck muss zur Hälfte aus Karten der Freien Völker und zur Hälfte aus Karten der Diener Saurons bestehen.
Jede Runde ist abwechselnd ein anderer Spieler der Vertreter der Freien Völker. Er muss versuchen Frodo und den „einen Ring“ lebend zur 9. Landschaft zu bringen. Der andere Spieler kommandiert die dunklen Diener Saurons und muss Frodo töten oder dafür sorgen, dass der „eine Ring“ in korrumpiert.
Es gibt 3 weitere simple Mechaniken, die das Gefühl der bösen Übermacht und der fliehenden guten Seite noch verstärken.
1. Jede gute Tat befeuert auch das Böse.
Jedes Mal, wenn der Freie Völker Spieler eine neue Landschaft betritt erhält der andere Spieler neue Ressourcen für seine dunkle Armee. Außerdem gibt es noch einen Punkt für jeden Gefährten (es dürfen maximal 9 sein) und weitere Ressourcen durch jede Karte, die der Freie Völker Spieler ausspielt.
2. Übermacht
Im Kampf darf der Freie Völker Spieler jedem Gefährten einen Diener Saurons zu teilen. Sind dann noch Diener übrig, darf der böse Spieler diese einen oder mehreren Gefährt zuteilen. Sind alle Diener, gegen die ein Gefährte kämpft, insgesamt doppelt so stark wie dieser, ist der Gefährte sofort tot. Andersrum gilt das zwar auch, ist aber selten so nützlich.
3. Reisen oder verschnaufen?
Nach der ersten Pflichtreise am Anfang jeder Runde, darf der gute Spieler am Ende jeder Runde entscheiden, ob er weiterreisen möchte oder nicht. Dabei zieht er keine neuen Karten, der andere Spieler jedoch schon. Reist er jedoch nicht weiter, werden sämtliche dunkle Diener und übrigen Ressourcen abgelegt und beide Spieler starten mit einer vollen Hand die neue Runde. Erschwert wird diese Entscheidung noch durch Zufluchten. Das sind besondere Landschaften, auf denen sich die Gemeinschaft des Rings heilen kann, wenn sie die Runde dort beginnt.
Das Gefühl von Angst, Schmerz, Hoffnung, Macht, gewaltigen Kriegen und kleinen geheimen Aktionen wird nicht nur durch die Regeln sondern auch durch das Karten-Design verdeutlicht. Es gibt Kriegsmaschinen, Karten, um mit Hobbits aus Kämpfen zu fliehen und es gibt die Fraktion Gollum / Smeagol, die auf beiden Seiten gespielt werden kann.
Der Clou bestand aber darin, die Bilder aus Peter Jackson`s Filmen zu nehmen, statt diese zu zeichnen. Eine meisterhafte Idee. Meine starke Bindung mit diesem Spiel hat auch mit meiner Bindung an die Filme zu tun. Eine Meisterhafte Verknüpfung.
Ein erobertes Herz
Wem ich jetzt noch nicht klar machen konnte, warum es sich bei LotR TCG um ein grandioses Spiel handelt, dem sei noch gesagt, dass die besten Rares jeder Edition immer auch als glänzende Sonderedition, in der Sprache des dazugehörenden Volkes, gedruckt wurden. Und um den Kostendruck zu nehmen, gab es eine kleine Edition, deren Boosterpacks 5 Rares, statt einer, und alternative Ringträger (Boromir, Galadriel, Izildur usw.) enthielten.
Decipher waren auf Ihrem Höhepunkt. Ich war so sehr vernarrt in dieses Spiel, dass mein alter Wunsch Spieldesigner zu werden, wieder entflammte. Ich wollte und will immer noch, genauso ein großes Meisterwerk erschaffen. Und dann wurde alles noch besser!
Akt 2: Im Netz zu Tode gezappelt
Es gab eine Zeit, wo die meisten Leute beim Wort Internet den Rotstift angesetzt und daneben geschrieben haben: „Es heißt Internat.“ Und das ist keine 100 Jahre, sondern gerade mal 20 Jahre her. Anfang der 2000er kamen dann einige Leute, vor allem Investoren, auf die Idee, dass dieses Internet eine richtig knorke Sache ist. Das fetzt voll rein, Alter, yo. Da konnte doch nichts schief gehen…
Innovation und Sensation
Auch bei Decipher wollte man den neuen Hype nutzen und entwickelte eine wunderschöne Online Variante vom LotR TCG Das Menu war sehr übersichtlich gestaltet. Es gab Chat und Play Rooms, die man selber aufmachen konnte. Man konnte gegen Tickets an Turnieren teilnehmen (und es war günstiger, als an einem Offline Turnier teilzunehmen) und selber Turniere erstellen. Boosterpacks waren günstig und es gab sogar online glänzende Karten. Der Sammelordner und Deck Builder waren der Hammer und die K.I. konnte alle Regeln fehlerfrei umsetzen. Ein Umstand der noch heute nicht immer zutrifft.
Oben drauf kam eine wunderbare Community. Alle waren freundlich in den Chats. Es gab sogar eigene Channel für Rollenspieler und es dauert anfangs nie länger als 1 min bis man einen Mitspieler gefunden hatte. Außerdem gab man sich Tipps zum Spiel und zum Tausch. Denn unterstützt wurde diese solidarische und friedliche Haltung, durch das exzellente Tausch-System. Man konnte alles gegen alles tauschen. Tickets gegen Boosterpacks, Karten gegen Standard Decks (es war leider kein einziges Deck inklusive) oder Turnierpreise gegen Fan-Dollar.
Doch trotzdem befand sich das Spiel auf einem absteigenden Ast. Offline war es leider der normale Zyklus. Wie ich immer wieder beobachten musste, lebt ein TCG ca. 1,5 Jahre lang auf und wird immer beliebter. Anschließend bleiben die Hardcore Fans übrig und es muss sich zeigen, ob das genug sind, um das Spiel zu betreiben.
Die Schatten über den friedlichen Landen
In Deciphers Fall kam jedoch eine gewisse Idiotie hinzu, in Form ihrer Turnier-Preise und Design-Entscheidungen. Der Weltmeister in LotR TCG bekam z.B. 150 Fan Dollar. Der beste Spieler der Welt bekam 150 $, mit denen er/sie neue Karten kaufen konnte. Mehr nicht. Um solche Preise konnte sich keine Turnier-Szene aufbauen. Es kam einer Beleidigung des Gewinners gleich und schmälerte die Einnahmen der nächsten Edition. Außerdem wurden in den folgenden Editionen schreckliche Design-Entscheidungen getroffen, wodurch das All Cards Format zerstört wurde. Die schlimmste Design Entscheidung war die Neuordnung aller bösen Völker. Damit waren die Karten der früheren Editionen mit den neueren Karten nicht mehr kompatibel.
Das war besonders schade, da sie auch extrem tolle Ideen hatten. Etwa die Idee ständig wechselnder zeitlich begrenzter Regeln, wie wir es von Hearthstone oder ähnlichen Spielen kennen. Diese wurde in dreimonatigen Ligen so umgesetzt, dass sich jede Woche ein kleiner Teil und jeden Monat ein größerer Teil änderte. Und man wusste im Voraus, wie sich die Regeln ändern würden, so dass man seine Decks darauf anpassen konnte. Als Belohnung für die Teilnahme an der Liga konnte man Boosterpacks gewinnen. Perfekt für Spieler, die Spaß an kleinen Turnieren hatten, aber mit den Profis nicht mithalten wollten oder konnten. Licht und Schatten lagen offline sehr dicht beieinander.
Die Zeitenwende
Online sahen die Probleme schlimmer aus. Ein Problem waren die Kosten online spielen zu können. Damals war es in den meisten Ländern der Welt extrem teuer online zu spielen. Minuten-Abrechnungen oder Flat Rates mit wenigen freien Mb Download pro Monat waren keine Seltenheit. Hinzu kam, dass die meisten Online-Spieler auch die Offline-Spieler waren, d.h. das Budget für Karten der einzelnen Spieler musste zwischen online und offline aufgeteilt werden. Es wurden keine zusätzlichen Einnahmen, aber zusätzliche Kosten erzeugt.
Außerdem kam es zeitgleich zur ersten Hochphase der MMORPG. Die geringe Online-Spielzeit musste nun mit WoW, Everquest 2, Star Wars Online und E.V.E. Online geteilt werden. Dadurch kam es zu einer Abwärtsspirale. Je mehr Spieler andere Online-Spiele bevorzugten, desto länger wurden die Wartezeiten bis ein Spiel zustande kam. Daher suchten die verblieben Spieler Alternativen, was zu längeren Wartezeiten führte usw. Außerdem war das Verhältnis von neuem Spaß zu monatlichen Kosten bei WoW und Co. tatsächlich geringer. 15 € pro Monat klingt viel, doch damals kostete es 60 € pro Monat, um gut bei einem TCG mitspielen zu können.
LotR TCG war über seinen Zenit und vertrieb Alt-Spieler. Das Ende war nah.
Mein Herz schmerzt ein bisschen, wenn ich daran zurückdenke. Doch auch bei mir hat damals WoW gewonnen. Ich wendete mich ab, da ich kein Geld hatte. Und als ich 2006 Geld besaß, war LotR TCG Online bereits an Sony verkauft, wurde in Deutschland von der Pro 7 Sat.1 Media AG vertrieben und der letzte Tag stand bereits fest.
Ich blieb fern, doch verlor das Spiel nie ganz aus den Augen.
Akt 3: Neue Freunde und alte Liebe
LotR TCG konnte sich nicht halten. Zwei neue Spiele sollten noch von Decipher erscheinen: Wars, welches ihr letzter Versuch war die Star Wars Lizenz zu halten und erst fertig wurde, als Sie diese verloren. Es wurde mit einem eigenen Szenario ausgestattet und funktionierte wunderbar. Das zweite war Fight Klub. Es sollte ein komplexes Prügelspiel mit Karten werden, in dem Zitat: „Chuck Norris gegen Sauron kämpft und Bruce Lee Darth Vader verprügelt.“ Geworden ist daraus nichts, da es über ein weltweites Schneelball-System verkauft wurde und die Lizenzen Decipher freiwillig oder sehr günstig überlassen werden sollten.
In den folgenden Jahren kamen neue TCGs in mein Leben. Ich spielte L5R, SpyCraft, Warlords, VS. System, Wars und Spoils. Wunderbare Spiele, die es jedoch nie mit LotR TCG aufnehmen konnten. Ich sehnte mich danach immer wieder mal eine Partie zu spielen. Doch es war immer schwerer noch Spieler für dieses Meisterwerk zu finden.
Die Offenbarung
Doch alles änderte sich, als ich einen meiner besten Freunde kennenlernte. Nicht nur, dass sich schlagartig die Anzahl meiner Karten- und vor allem meiner Brettspielpartien erhöhte. Ich schaffte es sogar ihn von LotR TCG zu begeistern. Noch heute denke ich mit Demut und etwas Mitleid an diese kalte Winternacht zurück, wo er mir im Freien mehrere Stunden am Stück lauschte, wie ich begeistert von den Decks und Regeln dieses Spieles sprach. 2 Jahre war es da her, dass ich überhaupt eine Partie gespielt hatte.
Das Feuer der Leidenschaft entfacht, wollte ich meine Sammlung vervollständigen. Ebay kam mir damals sehr gelegen. Immer wieder wurden Restbestände von Boosterdisplays und Startersets verkauft. Sogar einzelne Karten waren zu ersteigern. Und da die Community schwand, wurden die Preise immer niedriger. Legendär ist der Kauf von 5 Displays der 10ten Edition (eine Sonderedition mit wenigen neuen Karten, aber erhöhter Anzahl an Rares und glänzenden Karten) für nur 100 € inklusive Versand.
Mit unserer Sammlung wuchs auch unser Spielspaß. Aus dieser Zeit entstammt mein Ent-Huon-Hobbits-Deck, welches auf der dunklen Seite durch Urukai ergänzt wurde. Dieses Deck lebte davon, dass jeder Ent an sich stark war, Merry und Pippin durch mehr Ents noch stärker wurden und die Huons allen halfen. Die Urukai-Hälfte setze auf starke einzelne Kämpfer, große Kriegsmaschinen und viele Wunden. Möge dem Dieb ein unendliches Schuldgefühl heimsuchen, welches ihn immer überkommt, wenn er Karten oder etwas von „Herr der Ringe“ sieht.
Leider war es uns nie vergönnt alle Rares für das „Gandalf aller Völker“ Deck (man spielte möglichst viele verschiedene Völker, wodurch Gandalf stärker, seine Zauber billiger und die Vielfallt der Waffen und Ereignisse extrem groß wurde) oder das Morias Monster Deck (ein Deck in dem Hölentrolle, Tentakel und der Balrog gleichzeitig darum kämpfen die Gefährten zu töten) zu sammeln. Trotzdem hatten wir immer wieder Spaß und wechselten die Decks mit jedem neuen Kauf.
Eines der fießestens Decks, was ich je bauen konnte, war das Pfeil-Deck. Auf Seiten der Freien Völker spielte man jeden Elben mit dem Schlüsselwort „Bogenschütze“ und auf der dunklen Seite jeden Moria-Ork mit dem gleichen Schlüsselwort. Vor jeder Kampfphase gab es dann die Bogenschuss-Phase. Hier musste der Gegner für jeden gegnerischen Bogenschützen eine Wunde verteilen.
Meine Liebe zu diesem Spiel wurde durch diese Zeit erneuert und verstärkt. Es gibt heutzutage die Möglichkeit unlizensiert online alle Karten in einer Browser App zu spielen. Diese ist schön aufbereitet, aber es ist nicht das Gleiche.
Lieber packe ich ab und zu meine alten Decks und Karten aus und ergehe mich tage- oder wochenlang diesem Gefühl aus Nostalgie, Freude und dem Wissen, einen zeitlosen Klassiker zu spielen.
Wenn ihr aus Berlin seid und es mal ausprobieren wollt, dann schreibt mich an. Mein „tänzelndes Pony“ hat immer einen Platz für euch frei.
Erschienen bei Decipher Inc.
Für 2 bis 6 Spieler in ca. 45 Minuten
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sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier Decipher)