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24.05.2017

Anachrony - Bestellungen aus der Zukunft


Thema und Eurospiele. Das passt ja meistens so garnicht zusammen. Oft steht hier bewusst der Mechanismus im Vordergrund und das Thema ist austauschbar. Umso erfreulicher ist es dann für mich, wenn ich mal einen dieser Ausreißer vor mir habe, bei dem Thema und Mechanismus in etwa so gut ineinander verwoben sind, wie die einzelnen Fäden eines edlen Seidentuches.
Anachrony fügt sich für mich ein in eine (glücklicherweise) immer länger werdende Liste von Eurospielen, die bewusst auf ein starkes Thema setzen, und dabei nicht vergessen die Mechanismen einzubinden. Dabei soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass Anachrony auch definitiv interessante Highlights in Sachen Innovation setzt. Die Zeitreise, welches das große Überthema des Spiels ist, wurde in einen gut funktionierenden Mechanismus gepresst, der sich nahtlos in das umfangreiche, aber zu keiner Zeit überladene Möglichkeitenspektrum einfügt.


Doch worum geht es hier überhaupt? Wir finden uns in einer Apokalypsensituation wieder. Die Welt, wie wir sie kennen, ist fast komplett ausgelöscht. Die Ursache hierfür ist ziemlich eindeutig auf ein gravierendes Ereignis der Vergangenheit zurückzuführen - ein Meteroideneinschlag. Da wir uns zwischenzeitlich jedoch der Zeitreisetechnologie zu Nutze gemacht haben, fahren wir einfach ein Stückchen weit zurück in die Zeit vor dem Vorfall und versuchen uns auf das einschlägige (höhö...) Ereignis vorzubereiten; d. h. Ressourcen sammeln, Gebäude bauen, Menschheit evakuieren und selbstverständlich dabei noch ne gute Figur - sprich Siegpunkte - machen.


Die Möglichkeiten in Anachrony sind vielfältig; wirken zu Anfang vielleicht sogar überwältigend. Teilweise wirkt Anachrony sogar so, als ob die Entwickler versucht hätten sämtliche Ideen in ein einzelnes Spiel zu pressen. Verschlankung tut so manchem Spiel gut, da sogenannte überladene Projekte manchmal zu komplex werden. Anachrony schafft es - so viel sei vorweggenommen - gerade so noch ein funktionierendes, gradliniges Spiel zu erschaffen, was zum Teil so wirkt, als wäre jede zusätzliche Option der entscheidende Tropfen das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Das Herz des Spiels bildet dabei ein Arbeitereinsetzmechanismus, bei dem wir Arbeiter in vier unterschiedlichen Konstellationen zur Verfügung haben. Jede Art Arbeiter hat dabei besondere Vor- aber auch Nachteile, die sich beim Einsetzen auf den jeweiligen Feldern bemerkbar machen. Ein Ingenieur baut günstiger, ein Wissenschaftler forscht klasse, arbeitet aber weniger gerne im Bergbau. Superhirne können alles gut - was auch sonst?


Zuerst gibt es da die Einsetzfelder in der gemeinsamen Hauptstadt, welche wir nicht nur ausschließlich mit Raumanzügen (kosten mittelbar Ressourcen) betreten können, sondern um welche wir auch mit den Mitspielern größtenteils konkurrieren müssen. Wie so oft gilt hier das klassische Prinzip aller Arbeitereinsetzspiele: Wer zuerst kommt malt zuerst - bzw. wer zuerst kommt, malt günstiger. Später kommen dann stückchenweise die Einsetzfelder im eigenen Dorf dazu. Die sind exklusiv für mich, können ohne teure Raumanzüge betreten werden, müssen aber auch erstmal gebaut werden. Hier entwickelt sich ganz natürlich eine Spezifizierung. Ich kann entscheiden, welche Gebäude ich baue, welche zu meiner Strategie passen und vor allem, welche meiner Siegpunktmaschine den entscheidenden Schub verpasst, um mich vor allen anderen zu positionieren.


Richtig interessant wird es beim Thema Zeitreisen. Zu Beginn einer jeden Runde, kann ich mir sozusagen Ressourcen, Arbeiter oder sonstigen Kram aus der Zukunft bestellen. Fehlt zum wichtigen Bauvorhaben noch ein Uran? Kein Problem: Mein zukünftiges Ich schickt mal schnell mittels Zeitreise eins rüber. Gratis Ressourcen? Keineswegs. Meine Schulden aus der Zukunft müssen selbstverständlich abbezahlt werden. Nehme ich zuviel Kredit auf, treten stückchenweise Anomalien in der Zeitlinie auf, die meine derzeitige Gegenwart erschweren und spätestens am Spielende deftige Minuspunkte einbringen. Immer wieder muss ich also in der jetzigen Gegenwart (die eigentliche Vergangenheit) kleinere Zeitreisen zurück machen und die Ressourcen, die Arbeiter oder die sonstigen Dinge zurückzahlen, die ich mit von meinem Zukunfts-Ich geliehen habe. Klingt verwirrend? Sollte es auch sein.
Spielerisch ist das eben genannte Element aber keineswegs verwirrend, sondern vielmehr Dreh- und Angelpunkt von Anachrony. Eben jener einfache "Kreditmechanismus" schafft es (wie viele einzelne andere Dinge im Spiel) das Thema in Anachrony bei jeder noch so simplen Aktion durchscheinen zu lassen. Spätestens seit Zurück in die Zukunft wissen wir, dass wir zwar in die Vergangenheit eingreifen können, dies aber nur sehr bedacht tun sollten. 


Aber nicht nur das Thema alleine trägt Anachrony. Auch die Vielfalt der Aktionsmöglichkeiten und der enorme Wiederspielreiz aufgrund großer Varianz in den Gebäuden, den Sonderfähigkeiten oder den Erweiterungmodulen. Auch wenn eine erste Erklärung regelmäßig für Verwirrung sorgen kann, fühlt sich das Prinzip bereits nach wenigen Zügen vertraut an. Die Optionen sind zahlreich, lassen sich aber problemlos gegeneinander abwägen. Dass der Spielablauf in Anachrony sich schnell vertraut anfühlt, liegt vor allem daran, dass die Aktionen Sinn ergeben. Wir haben es hier eben nicht mit seelenlosen Einsetzfeldern zu tun, leeren Hüllen von Arbeitern oder farbigen Markern. Vielmehr leben wir eine Geschichte. Unsere Geschichte. Wir müssen uns nunmal in enge Raumanzüge zwängen, um in die Hauptstadt zu reisen, da die Luft für unsere Lungen nicht mehr gemacht ist. Dass diese Raumanzüge erst einmal mit frischem Sauerstoff aufgeladen werden wollen und dadurch natürlich Zeit und Ressourcen binden, ist nur logisch.

Anachrony bietet viele Möglichkeiten, bereitet dabei aber auch einen unheimlichen Spaß. Ich stehe permanent vor Entscheidungen, welche mich stets vor eine schwierige Abwägung stellen. Welchen Arbeiter schicke ich wohin? Wer muss zuerst aktiviert werden? Wie viel kann ich mir zeitreisetechnisch aus der Zukunft leisten, ohne dass es mir später zu sehr schadet? Anachrony ist fordernd, thematisch, optisch wundervoll und extrem reizvoll. Und auch selbst wenn ich nicht annähernd alles erwähnen konnte (wie z. B., dass es nach 3/4 jedes Spiels fast völlig neue Spielregeln nach dem Meteroideneinschlag gibt), was Anachrony zu bieten hat, so sollte dennoch jedem klar sein: Anachrony ist definitiv einen Blick wert!

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Anachrony von Richard Amann, Viktor Peter, David Turczi
Erschienen bei Mindclash Games
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 100 Minuten
Boardgamegeek Link

sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Mindclash Games)