Das mit dem modernen Radsport ist ja so ein ganz heikles Thema. Gerne erinnere ich mich an die Zeiten zurück, als ich in den Sommermonaten täglich wie gebannt als kleiner Junge vor dem Fernseher lag und der "Bergziege" Marco Pantani zusah, wie sie mit dem deutschen Radtitan Jan Ullrich um den Toursieg Meter um Meter kämpfte.
Heute ist die Begeisterung für den Radsport merklich zurückgegangen. Das hat sich dieser jedoch in erster Linie selbst zuzuschreiben, nachdem in den vergangenen Jahren anscheinend mehr der waghalsigere Arzt über Sieg oder Niederlage entschied, als die besseren Beine und Lungen. Aber das ist ein anderes Thema.
Brettspieltechnisch gab es zum Thema immer mal wieder Vertreter, die sich an dieser doch so taktischen Sportart versuchten. Urvater aller Radspiele ist Um Reifenbreite. Monatelang spielte ich den Klassiker hoch und runter. Als kleiner Junge sogar oftmals alleine gegen mich selbst. Ich glaube die schicken Radrennfahrer-Miniaturen haben es mir damals angetan. Dem Grunde nach eigentlich ein simples Roll-and-Move-Spiel mit Handkarten. Spaß hat es trotzdem gemacht und vielleicht steht der alte Hase genau deswegen noch bei mir im Spieleregal.
Cycling Party erfindet das Rad nicht neu. In einem zuvor definierten Kurs versuchen sich bis zu sechs Spieler über Bergpässe und Flachstrecken zu kämpfen. Dabei kommt das Spiel mit einem dreistufigen Regelwerk daher, was nicht selten - vielleicht aufgrund von Übersetzungsschwächen - Fragen offen lässt, welche man durch Forenstudium eigenständig beantworten muss. Dreistufig daher, da Cycling Party sowohl eine Einsteigervariante (für Neulinge und junge Spieler), eine Profivariante (für alle anderen) und eine Mastervariante (für Spieler, die über mehrere Abende eine Tour nachspielen wollen) bietet. Das gefällt!
Spielmechanisch bleibt Cycling Party ein Würfelspiel, in welchem der sportliche Erfolg - wie auch beim Kollegen aus den 90ern - vom Würfelgott abhängt. Das Ganze aber mit Kniff.
Zunächst unterscheide ich, ob es sich beim jeweilig aktiven Fahrer um einen Einzelkämpfer, einen Verfolger oder einen Mitfahrer im Peleton (im Radsport das große Fahrerfeld) handelt. Je nachdem habe ich verschiedene Möglichkeiten. Während ich als Einzelkämpfer quasi ausschließlich auf mein eigenes Würfelkönnen zählen muss, habe ich als Verfolger oder gar im Peleton die Möglichkeit einfach mitzufahren. Die Dynamik des berühmten Windschattenfahrens und des Radrennens im Allgemeinen wird dadurch ganz prima wiedergegeben.
Hinzu kommen verschiedene taktische Finessen. So kann ich zum Beispiel einzelnen Fahrern Wasserflaschen spendieren, um sie im entscheidenden Moment ausreißen, oder wieder Anschluss ans Peleton finden zu lassen. Das wars? Nein! Jeder Fahrer hat zudem seinen ganz persönlichen Bereich. Während der Sprinter einmal pro Spiel all seine Reserven bündeln kann und mit einem gewaltigen W20 Wurf den entscheidenden Meter zum Sieg zu machen, ist der Bergspezialist vielleicht genau der richtige Mann in einer Alpenetappe. Es gilt daher früh seine Schäfchen zu platzieren und in Position zu bringen.
Cycling Party bietet durch die Juniorversion einen leichten Spieleinstieg, um dann mit der Profiversion ein gut durchdachtes Radrennspiel zu präsentieren. Was zuerst noch nach reichlich Glück ausschaut, entpuppt sich schon nach wenigen Minuten zu einem taktischen Sportspiel, was den Spieler in die Rolle eines Teamchefs gut hineinversetzt. Lohnt sich jetzt der Wasserflascheneinsatz um sich der Ausreißergruppe anzuschließen oder forciere ich das Tempo im Peleton gezielt, um die kleine Gruppe baldmöglichst wieder zu schlucken? Wann lohnt sich das Ausreißen? Habe ich genug Reserven oder sollte ich noch einige Zeit im Windschatten meine Kräfte schonen? Cycling Party macht das schon ziemlich gut.
Wer dann noch nicht genug hat, der wagt einen Blick auf die kostenlose App, in welcher die Juniorversion nachgespielt werden kann und somit als Möglichkeit der Regelverfestigung genutzt werden kann. Schade nur, dass bei mir die App auf dem iPad gestreikt hat und ich die App-internen Texte nicht dargestellt bekommen habe. Auf dem iPhone ist das Ganze dann doch irgendwie zu klein. Dennoch eine feine Idee die App kostenlos mitzuliefern.
Spiele ich eine ganze Tour inklusive Kürung des besten Bergfahrers, Sprinters und Gesamtfahrers, bin ich ohnehin auf die Nutzung der digitalen Helfer angewiesen. So wird bei jedem Spiel ein Zugangscode mitgeliefert, mit dessen Hilfe auf der Homepage des Verlags dann ohne große Umwege Folgezeiten, Platzierungen und Punktevergaben durchgerechnet und präsentiert werden. So kann man nach Wunsch auch Abend um Abend mit Cycling Party verbringen und um den ganz großen Radsport nachzuspielen. Prima!
Was bleibt? Cycling Party ist für mich das neue Radrennspiel. Um Reifenbreite hatte den Thron verdammt lange, aber Cycling Party macht einfach alles einen Tick besser. Selbst die kleinen Radfahrerminiaturen hat der Neuling, der übrigens bei der UK Games Expo den Preis des "Best General Boardgames" gewann. Das Spiel transportiert die Radrenndynamik treffend, bietet genügend Details ohne zu kompliziert zu werden und vergisst die nötige Portion Spaß nicht. Da haben wir es doch mal wieder: Ein Kickstarterprojekt, was ein richtig gutes Spiel hervorgebracht hat.
Cycling Party von Diego Hernando und Leandro Perez
Erschienen bei Snake Eyes Games
Für 2-6 Spieler in ca. 80 Minuten
Boardgamegeek-Link
Vielen Dank an Snake Eyes Games für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Snake Eyes Games)