Jetzt hab ich es! Es war Oberst von Gatow mit dem Seil im Billardzimmer! Nein? Dann doch bestimmt Professor Blum mit der Pistole im Salon? Auch nicht? Mist...
Cluedo kennt ja bestimmt jeder. Ich zumindest habe unzählige Stunden meiner Kindheit damit verbraucht Frau Weiß, Direktor Grün und Co durch das Haus den Grafen Eutin hin und her zu schieben und mit akribischer Genauigkeit notiert, wer denn nun welche Karten auf der Hand hat und wer verdammt noch mal in dem schwarzen Umschlag liegt.
Deduktionsspiele muss man natürlich mögen. Schöner ist es, wenn das Ganze dann noch nen kleinen Pepp bekommt. Irgendetwas frisches. Warum nicht mal nen alten Klassiker restaurieren? 27th Passenger: A Hunt on Rails hat sich das zur Aufgabe gemacht.
Wir befinden uns in einem Noire-Szenario in New York Anfang der 20er Jahre. Die ominöse Bahnverbindung zwischen Manhattan und Staten Island wurde dann doch irgendwie fertiggestellt und wie es der Zufall so will, sind wir alle Killer und sitzen im selben Boot (oder Zug). In bester Highlander-Manier kann es aber bekannterweise nur einen geben und deshalb ist es unsere Aufgabe unsere Konkurrenz (Achtung es folgt ein schlechtes Wortspiel...) auf der Strecke zu lassen. Höhö! Doof nur, dass die genauso inkognito ist, wie wir auch und der Zug gerappelt voll ist. Da wir Killer mit Niveau und Moral sind, können wir es uns nicht leisten jeden einzelnen Passagier ableben zu lassen, sondern tun das, was vermutlich jeder gute Killer in so einer Situation tun würde: Wir riechen an den einzelnen Passagieren. Naja eigentlich streng genommen schauen wir sie uns ganz genau an, reden mit ihnen um ihre Stimmen zu hören und riechen an ihnen. Klingt komisch? Muss man sich auch vermutlich genau so vorstellen. Dazu müssen wir nämlich wissen, dass es immer genau die selben Personen sind, die diese Strecke fahren und jeder von ihnen hat eine andere Kombination aus Geruch, Aussehen und Stimmklang. Die russische Kugelstoßerin z. B. spricht tief, riecht sportlich und sieht muskulös aus. Sind russische Kugelstoßerinnen bei meinen Lesern anwesend? Nein? Niemand?...
Das ganze funktioniert über Aktionskarten. In erster Linie versuche ich natürlich meine Mitspieler-Killer zu untersuchen. Ich frage also ganz lieb, ob ich mal an ihnen riechen darf. Willigt er ein und spielt keine Verhüllungkarte (in diesem Fall vermutlich Parfüm) dann kenne ich seinen Geruch. Und das ist ja bekanntlich genauso bedrohlich wie zu wissen, wo jemand wohnt. Habe ich alle Puzzleteile zusammen, spiele ich die Tötungkarte und es kommt zum Showdown. "Du riechst nach Tomatensauce, hast Pomade in den Haaren und ne tiefe Stimme. Du bist der italienische Geschäftsmann. Arividerci." Habe ich Recht, dann muss ich mich um einen Konkurrenten weniger sorgen. Spielereliminierung, wie ich Dich vermisst habe.
Hinzu kommt, dass bei jeder Haltestelle diverse Passagiere aussteigen und die können es ja nicht gewesen sein. So verringern sich die Verdächtigen. Nicht zu vergessen die Ereignisse, die etwas Wirbel in das sonst so trockene Fragen und Notieren bringen.
Ist der Zug erst einmal an seiner Endhaltestelle angekommen und der Schaffner ruft mit knarrender Stimme "Staten Island, Endstation, alle aussteigen" und es gibt noch mehr als einen Highlander... erm Killer, dann endet das Ganze in einem Remis.
27th Passenger: A Hunt on Rails ist ein modernes Deduktionsspiel und wirkt irgendwie frisch. Sicherlich machen die Ereignisse und das Aussteigen einzelner Passagiere ab und an einen gehörigen Strich durch die eigene Rechnung, aber halten diese Dinge das Spiel auch am Leben. Es ist eben nicht das zu 100% planbare Deduktionsspiel, sondern arbeitet bewusst mit kleinen Zufallselementen. Das Aussteigen der einzelnen Passagiere ist zudem eine wunderbare Mechanik, die sowohl thematisch passt, aber auch spielerisch eine schöne Möglichkeit bietet mit einzelnen Aktionen bereits eine exklusive Vorschau auf die bald aussteigenden Fahrgäste zu bekommen und dadurch vielleicht sogar einen entscheidenden Vorteil im richtigen Moment.
Hinzu kommen Spezialfähigkeiten, die jedem Spieler mächtige individuelle Fertigkeiten verleihen, wie z. B. eine doppelte Tötungsaktion, die gegen Ende das Spiel ganz plötzlich beenden könnte, wenn ausreichend Hinweise gesammelt wurden.
Wie in jedem Deduktionsspiel ist es immer eine valide Option risikoreich zu spielen. Habe ich gegen Ende eines Spiels eine 50/50 Chance auf den Sieg riskiere ich vielleicht einen Unschuldigen zu meucheln und mich somit selbst aus dem Spiel zu katapultieren. Spielereliminierung ist zwar, wie bei jedem Deduktionsspiel, vorhanden, aber nicht allgegenwärtig. Durch die kurze Spieldauer und verschiedene Möglichkeiten seine eigene Identität zu vertuschen, ist in den meisten Fällen nur eine kurze Wartezeit notwendig.
Materialtechnisch fehlen leider Sichtschirme, welche bei der erfolgreichen Kickstarterkampagne nicht mitfinanziert wurden. Ansonsten bietet 27th Passenger eine moderne und spielerische Fassung eines Deduktionsklassikers mit einem schönen Flair.
Erschienen bei Purple Games
Für 3 bis 6 Spieler in ca. 45 Minuten
Boardgamegeek-Link
Vielen Dank an Purple Games für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Purple Games)