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13.11.2014

Euphoria - Düstere Euro-Zukunftsvision


Euphoria zeichnet in der Tat eine düstere Zukunftsvision für Eurospieler. Man stelle sich nur mal vor, dass ein taktisches Spiel durch die bloße Fähigkeit eines Mitspielers entschieden wird besonders oft einen Pasch zu würfeln. Ich wette den Hardcore-Taktikern läuft jetzt gerade ein kalter Schauer den Rücken runter. Was hier noch wie ein gruseliges Ammenmärchen klingt, ist in Euphoria bereits Realität. Schlechtes Spiel? Keinesfalls!


In Euphoria befinden wir uns thematisch in eine Dystopie versetzt. Die Welt, in der wir leben, ist unterteilt in verschiedene Abschnitte und Gesellschaftsgruppen. Da gibt es einerseits die reichen Euphorianer, die den ganzen lieben langen Tag Elektrizität herstellen und Gold schürfen, die Farmer, die den ganzen Tag auf ihrer Farm rumhängen und Ziegel herstellen, das Erdvolk, dass das Grundwasser abgräbt und Steine sammelt und das Luftvolk, dass ganz gechillt mit seinen Drogen über dem ganzen in seinen Zeppelinen abhängt. Starke Vision!
Wir selbst sind dabei Revolutionäre im System, die aus den gewohnten Bahnen ausbrechen wollen. Denn wer will schon den ganzen Tag Elektrizität herstellen oder gechillt und vollgedröhnt in einem Zeppelin sitzen? Richtig, nur Euphorianer und Leute vom Luftvolk!


Um unseren Plan, möglichst viele Sterne in der Welt zu hinterlassen, am schnellsten und effektivsten zu bewerkstelligen, haben wir uns ein paar Arbeiter engagiert. Diese werden in Form von Würfeln dargestellt und werden nacheinander auf verschiedene Aktionsfelder in der dystopischen Welt gesetzt um Ressourcen zu sammeln und diese dann wieder für andere Dinge auszugeben. Dabei spielt, wie das eben so ist in einer Dystopie, die Intelligenz der eigenen Arbeiter eine große Rolle. Und genau deswegen werden die eigenen Würfel-Arbeiter immer mal wieder gewürfelt  bzw. einer Gehirnwäsche unterzogen. Für manche Jobs brauche ich schlaue Arbeiter, um mehr zu erreichen, und für manche sind besonders dumme ein Segen. Doof wird es erst, wenn zu viele Arbeiter gleichzeitig zu schlau werden, denn dann scheitert das System. Die Arbeiter erkennen einfach ihre missliche Lage und rennen weg. Das schadet mir und meinen eigenen Plänen, da weniger Arbeiter und damit weniger Einsetzmöglichkeiten. Lösung? Ich pumpe sie regelmäßig mit Nahrung oder Drogen voll um sie bei Laune zu halten.
Der Weg zum Ziel ist dabei denkbar einfach und dennoch gleichzeitig komplex. Das Grundgerüst steht. Ich sammle Ressourcen bei A um sie bei B aufzuwerten und bei C abzuliefern um Siegpunkte zu machen. Das kann die Errichtung eines Marktes sein oder aber auch der Bau eines Tunnels. Spezielle Einsetzfelder, die das Verdrängen eines bereits gesetzten Arbeiters ermöglichen, bringen zusätzliche taktische Komponenten ins Spiel. Im Spiel selbst gibt es nämlich nur zwei Möglichkeiten: Arbeiter setzen oder Arbeiter zurücknehmen. Klar ist, dass Arbeiter rücknehmen fast immer einen verpassten Zug bedeutet. Ziel ist es also oft Arbeiter auf die besagten Verdrängungsfelder zu setzen um gratis Arbeiter in den heimischen Pool zurückbefördert zu bekommen. Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Wenn da nicht die Regel mit dem Paschwurf wäre... Würfle ich nämlich einen, habe ich einen Doppelzug, der schonmal über wichtige Punkte oder auch mal über Sieg und Niederlage entscheiden kann


Euphoria verbindet gute strategische Euromechanismen mit einem ziemlich genialen Thema. Selten habe ich ein Thema so überzeugend bei einem Eurospiel in die Mechanismen verwoben gesehen. Dies fängt an von der Intelligenz der Arbeiter und dem gelegentlichen "Aufwachen" aus der Realität, über den Wunsch der einzelnen Völker aus den gewohnten Bahnen zwecks Tunnelbau auszubrechen bis hin zum Sammeln von siegpunktbringenden Artefakten einer lang zurückliegenden schöneren Vergangenheit. Wenn man nun bedenkt, dass die Artefakte bei Euphoria, für uns profane, Dinge wie ein Teddybär, eine Brille oder das Brettspiel Viticulture sind, bekommt das ganze noch einen leichten sehr humoristischen und zugleich auch irgendwie traurigen Anstrich. Wer kann sich bitteschön eine Welt ohne Teddybären vorstellen?
Euphoria kann sicherlich als kleine Gesellschaftskritik gelesen werden. Ein Anstoß über den Tellerrand hinaus zu denken, vielleicht nicht immer mit dem Strom zu schwimmen und die Finger von Drogen zu lassen. All das muss es aber auch nicht. Denn auch ohne Thema wirkt Euphoria wie ein reifes Spiel mit wunderschön gestalteten Komponenten und perfekt aufeinander abgestimmten Mechanismen. Würfelglück? Klar. Das gibt es in der Tat. Aber, abgesehen von der Paschproblematik, ist es gerade die Kunst aus dem gewürfelten das Beste zu machen. Und ja, auch die Paschproblematik kann Spiele entscheiden. Aufgrund einer sehr angenehm kurzen Spieldauer von ca. 70 Minuten ist aber gerade ein Punkt erreicht, wo man über ein solches Element großzügig hinwegsehen kann. Brügge von Stefan Feld wurde ja ebenfalls eine gewisse Willkür vorgeworfen. Das kann man hier sicherlich auch tun. Das ist okay, so lange man weiß, worauf man sich einlässt.

Bereits in seinem Buch 1984 zeichnete George Orwell eine düstere Zukunftsvision, die ein Schlager der Literatur wurde. Euphoria bringt alles mit, was den themenliebenden Brettspieler ebenfalls zu Lobrufen provozieren könnte. Und wenn dann noch jedes Spiel mit einer entscheidenden Frage gipfelt, die jeden Spieler nach essentiellen Antworten fragt.... wie würdest Du entscheiden? Wahre Liebe oder Zweckheirat?...



Euphoria: Build a Better Dystopia von Jamey Stegmaier und Alan Stone
Erschienen bei Stonemaier Games
Für 2 bis 6 Spieler in ca. 70 Minuten
Boardgamegeek-Link


Vielen Dank an Morning Players für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Stonemaier Games)