Hallo, ich heiße Christopher und bin hier heute der Gast-Monkey. Für
meine erste Review habe ich mir ein ganz besonderes Spiel ausgesucht, da
es für mich das erste Living Card Game (LCG) überhaupt ist: Android:
Netrunner vom Heidelberger Spieleverlag (Fantasy Flight Games). Auf
dieses Spiel habe ich (und natürlich auch viele andere) lange gewartet
und es entstand ein regelrechter Hype. So kletterte es im Eiltempo bei
Boardgamegeek unter die Top 5. Jetzt ist es bereits vor einiger Zeit auf
Deutsch erschienen und die Frage stellt sich: Wird es dem ganzen Trubel
auch gerecht?
Spielverlauf und Spielziel
Android: Netrunner ist ein Deckbuilding-Spiel für zwei Personen mit
einer Spiellänge von ca. 30 – 45 Minuten pro Partie. Jeder Spieler wählt
dabei ein für sich eigenständiges Kartendeck, mit dem er gegen seinen
Gegner antritt. Angesiedelt ist das Duell in einer Sci-Fi-Internetwelt,
in der jeder Spieler eine bestimmte Rolle einnimmt. Auf der einen Seite
gibt es mächtige Konzerne, die versuchen auf Servern wichtige Projekte
(Agendas) zu entwickeln, um damit Punkte zu erzielen. Ihm gegenüber
stehen Cyber-Kriminelle, so genannte Runner, die versuchen auf die Server
des Konzerns zuzugreifen, um diese Agendas zu stehlen und damit die
Punkte selbst zu erzielen.
Die verschiedenen Rollen und Aufgaben ergeben
dabei für jeden Spieler ein komplett anderes Spiel: Der Konzern
versucht seine Server und Daten durch Schutzprogramme, so genanntes ICE
zu schützen oder dem Runner Fallen zu stellen, durch die sein Gegner
geschwächt wird. Der Runner hingegen muss versuchen, diesen Fallen zu
entgehen und an den Schutzprogrammen effektiv vorbeizukommen, um seinem
Gegner die Agendas zu stehlen.
Beide Spieler starten mit
jeweils fünf Karten auf der Hand, was das Handkartenlimit darstellt.
Außerdem bekommen sie fünf Credits, was die Ressource des Spiels
darstellt und für das Spielen und Aktivieren von Karten eingesetzt wird.
Beginnend mit dem Konzern führen die Spieler nun abwechselnd ihre
Aktionen mit so genannten Klicks durch. Durch die unterschiedlichen
Kartendecks und Rollen ergeben sich hier ebenfalls Unterschiede. So kann
der Konzern nur drei Klicks durchführen, während der Runner vier Klicks
pro Runde hat. Der Konzern darf allerdings in jeder Runde automatisch
eine Karte nachziehen.
Die Aktionen des Konzerns spielen sich eher auf
den eigenen Servern ab. Er versucht dabei ICE zu installieren, um den
Zugriff auf seine Karten zu erschweren und legt Fallen aus, die bei
Zugriff durch den Gegner eine schädliche Wirkung auf den Runner haben.
Der Runner hingegen installiert wichtige Programme und Hardware, die ihm
beim Durchbrechen der ICE helfen und Schaden von ihm abwenden, falls er
doch auf eine Falle trifft.
Es gibt jeweils zwei verschiedene
Siegbedingungen für jede Seite: Der Konzern gewinnt, wenn er sieben
Agendapunkte erzielt oder den Gegner hirntot macht, d. h. ihm so viel Schaden hinzufügt, dass er
keine Handkarten mehr hält. Der Runner gewinnt, wenn er selbst
sieben Agendapunkte erzielt oder der Konzern keine Karte mehr vom
Nachziehdeck nachziehen kann.
Resume
Resume
„Du kommst hier net rein!“. „Ich will aber!“. So oder so ähnlich stelle
ich mir ein Zwiegespräch zwischen Konzern und Runner vor. Aber so
einfach, wie es hier wirkt, ist es nicht. Android: Netrunner ist ein
sehr komplexes Spiel, das eine gewisse Zeit braucht, bis man
letztendlich versteht, worauf es ankommt. Die Begrifflichkeiten aus der
Internetwelt, sowie das relativ selten benutzte Thema erschweren den
Einstieg, wobei sich das nach einem gründlichen Studium der Regeln,
sowie ein paar Proberunden auch schnell wieder legt. Das Interessante am
Spiel ist die Asynchronität, bei der sich beide Seiten komplett
unterschiedlich spielen. Der Konzern versucht zu bluffen und sich nicht
in die Karten schauen zu lassen. Das Spiel des Runners lebt hingegen von
der Neugier, die Gedankenzüge des gegnerischen Spielers zu
durchschauen, um nicht in eine Falle zu tappen, da dies die
Spielentscheidung sein kann. Dies vermittelt ein authentisches Gefühl,
wodurch man sich gut mit der Rolle des Konzerns oder des Runners
identifizieren kann, auch wenn einen das Thema nicht unbedingt
anspricht.
Das Basisspiel liefert vier verschiedene Konzerne, sowie drei
Runner-Fraktionen, die sich alle insgesamt unterscheiden und
unterschiedliche Strategien nutzen, um den Sieg zu erreichen. Die
Langzeitmotivation ist dadurch hoch, da man alle Strategien gerne mal
durchtesten möchte. Fast alle Fraktionen sind bereits im Basisset
ordentlich bis gut spielbar. Wie bei LCGs allerdings üblich kommt man
allerdings nicht darum herum, weitere Erweiterungen zu kaufen, um das
Spiel noch flexibler zu gestalten und die Strategien noch weiter
auszureizen, um die Decks noch zu verbessern. Die Komponenten des Spiels
sind sehr gut. Die Tokens aus Pappe sind stabil und auch die Karten
sind schön gestaltet, sowie gut und verständlich übersetzt. Nur die
Regeln hätten meiner Meinung noch etwas besser strukturiert sein können,
um den vom Schwierigkeitslevel hohen Spieleinstieg zu vereinfachen. So
stellte sich bei mir nach dem erstmaligen Lesen nicht das Gefühl ein,
den Spielablauf direkt verstanden zu haben, wobei dies natürlich auch
mit der Komplexität des Spiels zusammenhängt.
Insgesamt bin ich sehr
froh, dass Android: Netrunner mein erstes LCG ist, da es vom Ablauf und
der Strategie etwas sehr Neues für mich ist. Jedoch braucht man wie
gesagt etwas Zeit, um den Ablauf zu verstehen und die Strategien zu
durchschauen, was allerdings auch den Reiz mit sich bringt. Das Thema
spricht mich nicht unbedingt an. Allerdings konnte ich mich sehr gut mit
meiner Rolle identifizieren. Es ergab sich wirklich das Gefühl, dass
ich unbedingt dem bösen mächtigen Konzern schaden möchte, in dem ich
seine Agendas klaue. Im nächsten Spiel fand ich das Treiben der Runner
kriminell, da diese auf meine Server einbrechen und etwas stehlen wollen
und habe versucht das mit aller Macht zu verhindern. Die Tatsache, dass
es ein LCG ist, erfordert natürlich Zeit für das Deckbuilding, um die
Strategie zu perfektionieren. Es erfordert allerdings auch weiteres Geld
für die Erweiterungen, die das Spiel noch vielfältiger machen. Wer sich
damit nicht beschäftigen möchte, kann sich allerdings auch nur auf das
Basisspiel konzentrieren. Das Spiel eignet sich dann allerdings eher als
Spiel für Zwischendurch für Personen, die das Spiel bereits kennen.
Insgesamt ist Android: Netrunner ein anspruchsvolles Spiel mit einem gut
ausgeklügeltem Spielsystem, dass mit der Zeit und mehreren Partien
reift. Zum Schluss noch die Antwort auf die Frage: „Wird das Spiel dem
ganzen Trubel gerecht?“ Meine Meinung ist: Ja!
Hier geht es zum Unboxing!
Vielen Dank an den Heidelberger Spieleverlag, für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares
Nachsatz des Chef-Monkeys:
An dieser Stelle vielen lieben Dank an Christopher, mit dem ich dieses
Spiel entdecken konnte, für den netten Gastbeitrag. Ich will es mir aber
nicht nehmen lassen noch ein paar ergänzende Worte vom Chef-Monkey
einzustreuen. Moi!
Android Netrunner hat in der Tat eine beachtliche Einstiegshürde. Auch
wenn man mit dem System der LCG´s vertraut ist, erschweren Begriffe wie
"Forschung und Entwicklung" für den Nachziehstapel oder "Archiv" für den
Ablagestapel den Einstieg doch deutlich, da zusätzlich zum Regelwerk
noch eine Art Vokabeltest bei jedem Spielzug hinzukommt. So ist
anfängliches Nachschlagen in der Anleitung eigentlich ein Muss. Schade
an dieser Stelle, dass diese, auch bei mir, nicht vollends überzeugen
konnte.
Auch der Spielablauf als solcher ist anfänglich verwirrend. Denn durch
die Asynchronität ist es einem auch nicht möglich sich an den Spielzügen
der Gegenpartei im Anfangsstudium der Entdeckungsphase zu orientieren,
was ja bekanntlich eine gute Taktik im ersten Spiel sein kann.
Diese Einstiegshürden entwickeln sich aber, wenn sie denn einmal
überwunden wurden, schnell zur eigentlichen Stärke von Netrunner. Thema,
Spielweise und Feeling sind einfach einmalig und so dicht, dass man
förmlich in das Spiel hereingezogen wird. Auch ich muss zugeben, dass
ich anfänglich skeptisch war, suche ich doch normalerweise Spiele nach
dem Thema aus. Hier war es anders. Ich musste einfach einmal das Spiel
testen, was derzeit so einen Erfolg feiert, wurde aber schon bald Fan
des Spiels wegen seiner enormen thematischen Dichte.
Die große Stärke von Netrunner im Vergleich zu anderen bekannten LCG´s
ist aber meiner Meinung, dass das Basisspiel schon enorm viel
Wiederspielreiz und unterschiedliche Fraktionen bietet. Ein Kauf von
Data-Packs (Erweiterungen) ist zwar möglich, aber nicht einmal
notwendig, wenn man eigentlich ein Deckbuilding-Muffel ist, wie ich es
einer bin.
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek.com bzw. vom jeweiligen Verlag (hier Heidelberger Spieleverlag)