Die Suche nach dem perfekten Brettspiel mit dem Thema Wilder Westen begleitet mich nun schon seit gefühlt ewiger Zeit. Immer wenn ein neues Spiel zum Thema erscheint, schaue ich ganz genau hin. Sei es Kartenspiel, Brettspiel oder Miniaturenspiel. Viele Spiele waren nahe dran, keins war perfekt. Als dann kürzlich Spurs: A Tale in the Old West erschien, schlug mein wildes Westenherz dann auch wieder schneller. Vielleicht war ja der neue Titel der ersehnte Heilige Gral. Designer Ole Steiness hatte mich ja bereits thematisch betrachtet mit seiner Polizei-Simulation Police Precinct überzeugt. Das Konzept zumindest klang vielversprechend. Es könnte soweit sein! Ich bin ganz nah dran! Ich kann ihn erreichen, Indy!
Kennt eigentlich jemand Red Dead Redemption? Ich bin ja eigentlich kein Videospieler mehr, aber die offene Welt bei Grand Theft Auto und seinem Westernableger Red Dead Redemption fesselte mich dann doch irgendwie. Wie schön war es bei letzterem einfach nur in den Sonnenuntergang zu reiten, böse Buben zu fangen, selbst ein böser Bube zu werden, Vieh zusammen zu treiben oder Pferde einzureiten. Und das Beste? Man konnte dies alles einfach dann erledigen, wenn man dazu Lust hatte. Die große Story mal eben kurz liegengelassen und auf Nebenmission gegangen.
Spurs ist eben genau dieser Teil von Red Dead Redemption - eine offene Welt mit Nebenmissionen. Als Sheriff, Cowboy, Outlaw oder Gunslinger begeben wir uns hinaus in die große weite Welt des Wilden Westen. Immer auf der Jagd nach Ruhm und Ehre. Wie wir diesen Ruhm erlangen, bleibt uns überlassen. So kann ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Will ich der gesetzestreue Sheriff werden, der rund um die Uhr Outlaws und Desperados einfängt, Postkutschen eskortiert und Farmern hilft das Vieh auf der Weide zu kontrollieren? Bitteschön! Spurs bietet dazu die Möglichkeit. Will ich der gesetzlose Outlaw werden, der andere Mitspieler überfällt und so Gold und Ausrüstung ergaunert, Postkutschen überfällt und arme Farmer beraubt? Bitteschön! Auch dazu bietet Spurs die Möglichkeit. Und auch noch für alle Grauzonen dazwischen, wie zum Beispiel der Sheriff der zum Outlaw wurde oder den bekehrten Outlaw. Die Welt von Spurs ist groß und bunt. Alles ist möglich.
Die Regeln sind dabei eingängig und schnell erlernt. In meinem Zug reite ich und führe danach eine Aktion aus. Mit letzterer interagiere ich mit meiner Umwelt. Dreh-, und Angelpunkt dabei ist fast immer meine Waffe. Und genau hier fangen die Dinge an richtig interessant zu werden. Also en detail, wie der Franzose sagen würde: Jeder Spieler besitzt ein undurchsichtiges Stoffsäckchen, in welchem sich verschiedenfarbige Munitionsplättchen befinden. Manche symbolisieren Treffer, manche Fehlschüsse. Kommt es zu einem direkten Duell zwischen zwei Pistoleros, könnte das Wild West Feeling nicht besser simuliert werden. Die Sonne steht tief, beide Gegenspieler schauen sich tief in die Augen. In der einen Hand das Munitionsäckchen, die andere flach auf dem Tisch. Die Spannung ist zum greifen nah. Dann plötzlich gibt ein Spieler das Signal zum Start. Beide Kontrahenten versuchen nun schnellstmöglich nacheinander die Trefferplättchen aus dem Munitionsack zu ziehen. Habe ich als Erster zwei Treffer gezogen, haue ich auf den Tisch und schreie "Bang". Der Lohn? Ein Ruhmespunkt, die Möglichkeit den unterlegenen Revolverheld auszurauben und von nun an die Gewissheit Gejagter zu sein.
Ich gehe ungern zu speziell auf Regeldetails ein, aber eben genau dieser Mechanismus in Spurs ist der Grund, weshalb es, wie bisher noch kein einziges Wild West Spiel zuvor, das Gefühl wirklich dabei zu sein wiederspiegelt. Spurs bietet eine offene Welt, wie ich meine Siegpunkte sammeln möchte, bleibt mir überlassen. Alle Wege sind möglich und je nach Entwicklung, ist auch jeder Weg gleich schnell am Ziel. Das Prinzip der offenen Welt passt zum Thema. Das Spiel bietet Möglichkeiten. Ob und wie ich sie nutzen will, entscheide nur ich. Dazu ein paar nette kleine Minispiele (Vieh eintreiben auf einem separaten Spielplan oder Einreiten von wilden Pferden) und Charakterentwicklung (trainiere ich spezielle Waffen und verbessere meine Trefferplättchen im Munitionsack?) machen Spurs zu einem außerordentlich thematischen, aber natürlich auch glückslastigen Western-Spiel. Auch wenn ich meine Munition bestmöglich manipuliere, indem ich nach und nach Fehlschüsse durch Trefferplättchen ersetze, bleibt doch ein Restrisiko eben genau die falschen Plättchen zu ziehen. Kleinere Balancingprobleme zwischen Charakterbögen oder Aufgabenplättchen möchte ich auch nicht unerwähnt bleiben lassen. Das gehört aber für mich naturgemäß bei Ameritrash-Spielen dazu. Die kurze Spieldauer und die äußerst geringe Downtime (auch bei voller Besetzung) lassen dies aber schnell vergessen. Und noch was. Fast vergessen. Spurs kommt mal eben auf den Charakterbögen mit perfektem Italo-Spaghetti-Western-Grafik daher. Toll!
Spurs beendet vorerst meine Suche nach dem thematisch besten Wild West Spiel. Es bietet, ganz ähnlich wie Merchant and Marauders, im Bereich der Piratenspiele, das thematisch dichteste Erlebnis. Klar ist aber auch, dass der Shoot-Out Mechanismus nicht zwangsläufig jedem gefällt. Bewegungslegastheniker und Freunde der denkorientierten Spielweise werden nicht nur keine Freude daran haben, sondern auch einen kleinen Nachteil. Denn durch schnelles "Nachladen" kann man so manchen Nachteil in der zu vorigen Charakterentwicklung ausgleichen. Für alle anderen bietet eben genau dieser Mechanismus noch das i-Tüpfelchen auf dem ohnehin sehr thematischen Spielerlebnis, was durch eine variable Spieldauer sich auch problemlos jeder Gruppe anpassen kann.
Und jetzt mal ganz im Ernst: Das offene System unterstützt natürlich zudem noch zahlreiche Erweiterungen. Ich vermisse noch die Indianer, mit welchen man Feuerwasser gegen Glasperlen tauschen kann, Geisterstädte, eine Eisenbahn und mexikanische Banditos. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ich jedenfalls bin dann mal weg. In den Sonnenuntergang reiten und so.
Erschienen bei Mr. B. Games
Für 3-5 Spieler in ca. 90 Minuten
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