Dass ich als Achtjähriger auf die Frage "Und, wie war´s im Urlaub?" fast ausschließlich mit "Voll schade, dass es hier keine Spielhalle gibt." antwortete, hängt vermutlich an den einschneidenden Erlebnissen, die ich Abend für Abend auf der Lieblingsferieninsel meiner Jugend gemacht habe.
Sommerzeit ist Reisezeit. Zeit für den jährlichen Familienurlaub. Und wie es sich für eine schicke Kleinfamilie gehört, fuhren wir immer an den selben Ort - Lanzarote. Dass mir aus diesen Urlauben (natürlich neben den riesigen Sandburgen aus schwarzem Sand) insbesondere die Supernintendo-Legende Street Fighter im Gedächtnis geblieben ist, lässt nicht etwa auf die fehlende Qualität der Urlaube Rückschlüsse zu, sondern vielmehr darauf schließen, dass Street Fighter echt geil ist.
Jeden Abend hieß es nach einem langen Strandtag und Paella und Schnitzel bis zum Umfallen "ab in die Spielhalle". Welche Kinderaugen waren da nicht riesengroß? Mit zahlreichen 25 Peseten-Stücken ausgestattet spielte ich Stunde um Stunde den Arcade-Klassiker. Ob Blanka, Ryu oder Honda - ich konnte sie alle.
Ca. 19 Jahre später entflammte diese Nostalgie erneut. Nach einer späten Jugendphase mit Super Street Fighter II auf dem Nintendo folgte mit über 20 Jahren dann die Umsetzung als Kartenspiel. Zwar kam Yomi ohne Lizenz aus, aber den kindlichen Ehrgeiz sich von Brasilien und Blanka, Japan und Honda bis nach Thailand und Bison durchzukämpfen ist geblieben.
In Yomi übernehmen wir einen von vielen unterschiedlichen Kämpfern, welche in Form eines einfachen Pokerdecks samt Joker daherkommen. Die Karten eines jeden Decks teilen sich dabei in Angriff, Verteidigung, Wurf und Ausweichen auf. Es gilt den Gegenspieler zu lesen, denn das Prinzip ist "Schere-Stein-Papier on steroids". Angriff schlägt Wurf, Blocken blockt (?) Angriff, und Wurf schlägt Block. Ausweichen weicht Angriffen aus und kontert diese. Nimmt man noch charakterspezifische Sonderfähigkeiten und die Möglichkeit für Kombos hinzu, dann entwickelt sich schnell ein flottes aber intensives Bluff-Spiel.
Die Zusammenstellung der Angriffs, Block und Verteidigungskarten wechselt von Kämpfer zu Kämpfer. Dass ein Steinriese nicht sonderlich gut ausweichen kann, sollte jedem hinlänglich bekannt sein. Das wäre in etwa so, wie wenn ein Zangief plötzlich einen Hadoken abfeuern würde. Kapiert?
Der Spieleinstieg ist schnell geschafft. Das Prinzip - dank bekannten Mechanismen - schnell verinnerlicht. Und somit kann es dann auch nach ein paar Zügen zum eigentlichen Spiel in Yomi kommen - dem Bluff, dem Lesen des Gegenspielers, dem Taktieren. Habe ich die Möglichkeit nach meinem Wirkungstreffer nachzulegen und eine rechts-links-Kombination zu starten, hat der Gegner die Möglichkeit verdeckt eine Karte zu platzieren. Habe ich mich völlig verausgabt und die Kombination mit einem starken Aufwärtshaken abgeschlossen und die verdeckte Karte des Gegners ist ein seltener Joker waren meine Bemühungen umsonst. Breche ich die Kombination wegen der Angst vor dem lauernden Joker frühzeitig ab und der Gegner hat lediglich geblufft, ärgere ich mich.
Um meine Hand behutsam aufzubauen, Kraft zu sammeln und dann wie ein Wirbelwind loszulegen, kann ich durch geschicktes Ablegen identischer Karten mein Deck (inkl. Ablagestapel) nach mächtigen Assen durchforsten. Blocke ich erfolgreich, darf ich schneller nachziehen. Yomi glänzt mit einfachen Regeln, wunderschönem Artwork, kurzer Spieldauer und (für mich zumindest in dieser Form bisher unbekannten) nahezu genialen Bluffmomenten. Glück spielt sicherlich eine Rolle, ist aber durch diverse Kleinstmechanismen geschickt auf ein Minimum reduzierbar. Schon nach wenigen Runden fühle ich mich wirklich wie ein Kämpfer in einem Arcade-Titel der frühen Neunziger.
Die Entwicklung vom Ferienerlebnis "Spielhalle mit Street Fighter" über die Konsolenzeit mit den weiteren Fortsetzungen der Serie wird durch Yomi perfekt in den heutigen Spieleralltag transportiert.
Erschienen bei Sirlin Games
Für 2 Spieler in ca. 15 Minuten
Boardgamegeek-Link