Naufragos. Nau-fragos. Nauuuu-fragos. Es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis ich endlich den zweiten Schiffsbrüchigen-Titel aus dem Spielejahrgang 2013 testen konnte. Robinson Crusoe konnte ja bereits deutlich punkten was Thematik und Innovation in Sachen Koop-Spiele betrifft. Da mich persönlich aber mit zunehmendem Spieler-Dasein reine Koop-Spiele weniger und weniger interessieren, war ich auf den Thematik-Bruder mit semi-kooperativem Aspekt mehr als gespannt.
Die Packung überzeugte im Inneren vor allem mit einem: Einem fast nicht auszuhaltendem Gestank. Dabei riechen neue Spiele normalerweise ja richtig gut. Fast so gut, dass ich mir einen Duftbaum "Neues Brettspiel" mit Sicherheit gekauft hätte (oder gibt´s den schon? Bestellt bitte ein Dutzend für mich mit!). Wurde das Spiel jedoch einmal zum entlüften eine Nacht auf die Terrasse verbannt (ich empfehle an dieser Stelle den Wetterbericht zu studieren), so ist der Geruch nach verschollenen, Sonnen gegerbten, unrasierten Insulanern auch fast verschwunden. Ein bisschen Thematik muss ja schließlich sein.
Spielerisch betrachtet werden wir in einem Robinson Crusoe Szenario ausgesetzt - nur ohne Freitag, dafür aber mit bis zu drei weiteren egoistischen Mitinsulanern. Auf der Insel angekommen kämpfen wir gegen das Wetter, den Hunger, gefährliche Ureinwohner, wilde Tiere und unsere Mitstreiter. Einzigartig und deshalb besonders ist Naufragos nämlich nicht wegen seiner Thematik (das macht Robinson Crusoe nämlich mindestens genauso gut), seinem zugegebenermaßen großen Wiederspielreiz (knapp über 100 Storykarten warten nur darauf entdeckt zu werden), seiner tollen Komponenten (den Geruch mal außen vor) oder seinem Mechanikmix aus Arbeiter einsetzen im Camp und Press-your-Luck beim Erkunden (das wirkt dann zum Großteil doch eher klassisch). Naufragos ist einzigartig wegen der Gruppen- und Spieldynamik. Schafft es die Gruppe nämlich gegen die Insel zu siegen und mit einem Schiff in Richtung Zivilisation zu entkommen, so sind nicht etwa alle Sieger (wir sind hier ja nicht in der Mini Playback Show), sondern nur der Überlebende, welcher die tollste und spannenste Geschichte zu erzählen hat. Die begehrten Story-Punkte sammelt man dabei nicht nur beim Erkunden der Insel, sondern hauptsächlich beim Schreiben des eigenen Tagebuches. Doof nur, dass diese Aktion die einzige des Spiels ist, welche mal so gar nichts für die Gruppe bringt. Steht ein Spieler also vor der Wahl das letzte benötigte Essen zu sammeln oder doch lieber bei gutem Tabak und einem Glas Rum an seinem Sieg.... ähm Tagebuch zu schreiben, kann man sich förmlich die Gesichter der Mitspieler vorstellen, wenn es am Abend heißt "Sorry Peter, ich habe heute leider keinen Fisch für Dich! Aber guck! Dafür bin ich schon ein ganzes Kapitel weiter gekommen!".
Gegen Ende des Spiels spielt Naufragos eher mit der Gruppe, als dass die Gruppe mit Naufragos spielt. Und das ist nicht negativ gemeint. Während sich zu Beginn des Spiels noch alles recht einfach an fühlt, die Mägen gesättigt sind und das Feuer brennt, lässt es sich viel leichter verkraften, wenn ein Mitbewohner aus den angespülten Gegenständen etwa nicht den wertlosen Spiegel auswählt (der aber fast essentiell für das Anlocken des Schiffs und somit für den gemeinsamen Sieg ist), sondern das Tintenglas, welches von nun an die einzige Möglichkeit für Tagebucheinträge bietet.
Doch je länger eine Partie Naufragos andauert, umso enger zieht sich die Schnalle. Bewohner erleiden Wunden - später sogar Infektionen, andere müssen die Nacht im Urwald verbringen, da sie nach einer Expedition nicht mehr nach Hause gefunden haben. Dies ist dann der Punkt, in dem Naufragos die Verzweiflung und den möglichen Unmut untereinander perfekt simuliert. Jeder Spieler sieht sich permanent mit der Frage konfrontiert: Kann ich es mir leisten diese Aktion durchzuführen, obwohl sie eigentlich nur mir nutzt? Die Antwort ist mit zunehmender Spieldauer verblüffenderweise umso öfter: Ja, ich kann! Unmut kommt auf. Einzelne Gruppenmitglieder stellen den Erfolg der Mission in Frage. Wieso sollte auch gerade ein Spieler sich für die Gruppe opfern, während der Rest mehr darum bemüht scheint, die Buddenbrocks in Sachen Seitenanzahl eines Romans zu überbieten, als Essen für den hungernden Mitinsulaner zu sammeln?
Naufragos setzt dabei noch eins drauf, indem es den Spielern gezielt Storyelemente und Aktionsmöglichkeiten an die Hand gibt, welche das innere Dilemma der Gruppe noch weiter forcieren. Ist beispielsweise die Aktion "Streit" durch ein Storyelement ins Spiel gekommen (man kann anderen Spielern Story-Punkte klauen), ist es vielleicht eine gute Idee den Revolver von nun an nicht mehr zum Jagen von wilden Tieren (und damit für die Nahrungssuche) zu verwenden, sondern zum Jagen von Mitbewohnern.
Selten habe ich mich einer solchen ausweglosen Situation, wie sie Naufragos skizziert, so authentisch ausgesetzt gefühlt. Man lebt, man streitet, man klagt an, man fiebert mit. Und doch bleibt ein Beigeschmack.
Naufragos simuliert perfekt, ist mechanisch einwandfrei konstruiert, fasziniert thematisch und schafft es das Spiel vom Brett auf die Gruppe zu übertragen. Dennoch funktioniert Naufragos leider nicht. Ich wünschte es würde! Ich will Naufragos lieben! Ich habe jede Runde genossen. Ich bin immer wieder dazu bereit es zu spielen und die bisher unentdeckten Story-Elemente zu erforschen. Und dennoch: Gerade weil Naufragos die Gruppe so spaltet, weil es so spielt mit uns, kann man dieser verfluchten Insel nicht entkommen und es lässt uns somit alle unweigerlich als Verlierer dastehen. Sind wir ehrlich. Naufragos ist auch als reines Koop-Spiel knackig schwer. Man schafft es nur bei ca. einem Drittel aller Partien lebend von der Insel. Findet die Gruppe jedoch in sich selbst noch ein weiteres Element die Schwierigkeit zu steigern, wird Naufragos zum Kampf gegen Windmühlen.
Was bleibt? Die Variante ohne Tagebuch? Eine rein kooperative Komponente, welche spielbar ist. Das machen andere Spiele dieser Gattung besser und innovativer (siehe Robinson Crusoe). Das Einzigartige an Naufragos ist das Nervenspiel, das Spiel mit und gegen die Gruppe. Dennoch: Kein Spieler wird sich ganz in den Dienst der Gruppe stellen. Hat man erst einmal drei Tage nicht gegessen, dann ist die Zeit für edle Ritter vorbei. Ein aktives Hinarbeiten auf das gemeinsame Entkommen lohnt nur, wenn ich Chancen auf den Sieg habe. Diese sind aber meistens gegen Ende des Spiels (trotz geheimer Siegpunktchips) oftmals klar verteilt. Kurzum: Auch dieses Element von Naufragos finden wir in anderen Titeln besser umgesetzt (siehe Archipelago). Naufragos ist toll konzipiert. Vielleicht fällt es mir gerade deswegen so schwer seine Schwächen aufzudecken. Ich will es ja mögen. Ich will. Ich will! Aber ich muss es akzeptieren, dass es wohl nie das sein kann, was es werden wollte.
Vielen Dank an Asmodee für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
Naufragos von Alberto CorralDie Packung überzeugte im Inneren vor allem mit einem: Einem fast nicht auszuhaltendem Gestank. Dabei riechen neue Spiele normalerweise ja richtig gut. Fast so gut, dass ich mir einen Duftbaum "Neues Brettspiel" mit Sicherheit gekauft hätte (oder gibt´s den schon? Bestellt bitte ein Dutzend für mich mit!). Wurde das Spiel jedoch einmal zum entlüften eine Nacht auf die Terrasse verbannt (ich empfehle an dieser Stelle den Wetterbericht zu studieren), so ist der Geruch nach verschollenen, Sonnen gegerbten, unrasierten Insulanern auch fast verschwunden. Ein bisschen Thematik muss ja schließlich sein.
Spielerisch betrachtet werden wir in einem Robinson Crusoe Szenario ausgesetzt - nur ohne Freitag, dafür aber mit bis zu drei weiteren egoistischen Mitinsulanern. Auf der Insel angekommen kämpfen wir gegen das Wetter, den Hunger, gefährliche Ureinwohner, wilde Tiere und unsere Mitstreiter. Einzigartig und deshalb besonders ist Naufragos nämlich nicht wegen seiner Thematik (das macht Robinson Crusoe nämlich mindestens genauso gut), seinem zugegebenermaßen großen Wiederspielreiz (knapp über 100 Storykarten warten nur darauf entdeckt zu werden), seiner tollen Komponenten (den Geruch mal außen vor) oder seinem Mechanikmix aus Arbeiter einsetzen im Camp und Press-your-Luck beim Erkunden (das wirkt dann zum Großteil doch eher klassisch). Naufragos ist einzigartig wegen der Gruppen- und Spieldynamik. Schafft es die Gruppe nämlich gegen die Insel zu siegen und mit einem Schiff in Richtung Zivilisation zu entkommen, so sind nicht etwa alle Sieger (wir sind hier ja nicht in der Mini Playback Show), sondern nur der Überlebende, welcher die tollste und spannenste Geschichte zu erzählen hat. Die begehrten Story-Punkte sammelt man dabei nicht nur beim Erkunden der Insel, sondern hauptsächlich beim Schreiben des eigenen Tagebuches. Doof nur, dass diese Aktion die einzige des Spiels ist, welche mal so gar nichts für die Gruppe bringt. Steht ein Spieler also vor der Wahl das letzte benötigte Essen zu sammeln oder doch lieber bei gutem Tabak und einem Glas Rum an seinem Sieg.... ähm Tagebuch zu schreiben, kann man sich förmlich die Gesichter der Mitspieler vorstellen, wenn es am Abend heißt "Sorry Peter, ich habe heute leider keinen Fisch für Dich! Aber guck! Dafür bin ich schon ein ganzes Kapitel weiter gekommen!".
Gegen Ende des Spiels spielt Naufragos eher mit der Gruppe, als dass die Gruppe mit Naufragos spielt. Und das ist nicht negativ gemeint. Während sich zu Beginn des Spiels noch alles recht einfach an fühlt, die Mägen gesättigt sind und das Feuer brennt, lässt es sich viel leichter verkraften, wenn ein Mitbewohner aus den angespülten Gegenständen etwa nicht den wertlosen Spiegel auswählt (der aber fast essentiell für das Anlocken des Schiffs und somit für den gemeinsamen Sieg ist), sondern das Tintenglas, welches von nun an die einzige Möglichkeit für Tagebucheinträge bietet.
Doch je länger eine Partie Naufragos andauert, umso enger zieht sich die Schnalle. Bewohner erleiden Wunden - später sogar Infektionen, andere müssen die Nacht im Urwald verbringen, da sie nach einer Expedition nicht mehr nach Hause gefunden haben. Dies ist dann der Punkt, in dem Naufragos die Verzweiflung und den möglichen Unmut untereinander perfekt simuliert. Jeder Spieler sieht sich permanent mit der Frage konfrontiert: Kann ich es mir leisten diese Aktion durchzuführen, obwohl sie eigentlich nur mir nutzt? Die Antwort ist mit zunehmender Spieldauer verblüffenderweise umso öfter: Ja, ich kann! Unmut kommt auf. Einzelne Gruppenmitglieder stellen den Erfolg der Mission in Frage. Wieso sollte auch gerade ein Spieler sich für die Gruppe opfern, während der Rest mehr darum bemüht scheint, die Buddenbrocks in Sachen Seitenanzahl eines Romans zu überbieten, als Essen für den hungernden Mitinsulaner zu sammeln?
Naufragos setzt dabei noch eins drauf, indem es den Spielern gezielt Storyelemente und Aktionsmöglichkeiten an die Hand gibt, welche das innere Dilemma der Gruppe noch weiter forcieren. Ist beispielsweise die Aktion "Streit" durch ein Storyelement ins Spiel gekommen (man kann anderen Spielern Story-Punkte klauen), ist es vielleicht eine gute Idee den Revolver von nun an nicht mehr zum Jagen von wilden Tieren (und damit für die Nahrungssuche) zu verwenden, sondern zum Jagen von Mitbewohnern.
Selten habe ich mich einer solchen ausweglosen Situation, wie sie Naufragos skizziert, so authentisch ausgesetzt gefühlt. Man lebt, man streitet, man klagt an, man fiebert mit. Und doch bleibt ein Beigeschmack.
Naufragos simuliert perfekt, ist mechanisch einwandfrei konstruiert, fasziniert thematisch und schafft es das Spiel vom Brett auf die Gruppe zu übertragen. Dennoch funktioniert Naufragos leider nicht. Ich wünschte es würde! Ich will Naufragos lieben! Ich habe jede Runde genossen. Ich bin immer wieder dazu bereit es zu spielen und die bisher unentdeckten Story-Elemente zu erforschen. Und dennoch: Gerade weil Naufragos die Gruppe so spaltet, weil es so spielt mit uns, kann man dieser verfluchten Insel nicht entkommen und es lässt uns somit alle unweigerlich als Verlierer dastehen. Sind wir ehrlich. Naufragos ist auch als reines Koop-Spiel knackig schwer. Man schafft es nur bei ca. einem Drittel aller Partien lebend von der Insel. Findet die Gruppe jedoch in sich selbst noch ein weiteres Element die Schwierigkeit zu steigern, wird Naufragos zum Kampf gegen Windmühlen.
Was bleibt? Die Variante ohne Tagebuch? Eine rein kooperative Komponente, welche spielbar ist. Das machen andere Spiele dieser Gattung besser und innovativer (siehe Robinson Crusoe). Das Einzigartige an Naufragos ist das Nervenspiel, das Spiel mit und gegen die Gruppe. Dennoch: Kein Spieler wird sich ganz in den Dienst der Gruppe stellen. Hat man erst einmal drei Tage nicht gegessen, dann ist die Zeit für edle Ritter vorbei. Ein aktives Hinarbeiten auf das gemeinsame Entkommen lohnt nur, wenn ich Chancen auf den Sieg habe. Diese sind aber meistens gegen Ende des Spiels (trotz geheimer Siegpunktchips) oftmals klar verteilt. Kurzum: Auch dieses Element von Naufragos finden wir in anderen Titeln besser umgesetzt (siehe Archipelago). Naufragos ist toll konzipiert. Vielleicht fällt es mir gerade deswegen so schwer seine Schwächen aufzudecken. Ich will es ja mögen. Ich will. Ich will! Aber ich muss es akzeptieren, dass es wohl nie das sein kann, was es werden wollte.
Vielen Dank an Asmodee für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
Erschienen bei Lookout-Spiele
Für 1-4 Spieler in ca. 150 Minuten
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