Sentinels of the Multiverse erfuhr in der jüngsten Vergangenheit eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Nach dem ursprünglichen Funding auf Kickstarter wurde das Spiel schnell zu einem beliebten kooperativen Spiel. Auf der Welle des Erfolgs schwimmend, wurde von den Designern selbstverständlich das veranlasst, was jeder gute Publisher in einem solchen Fall tun würde - es wurden Erweiterungen veröffentlicht. Aber nicht eine, zwei oder drei. Nein, Sentinels of the Multiverse hat sich mittlerweile fast schon zu einem Collectable Cardgame entwickelt. Ist es den Trubel und das Geld wert? Ich sage es Euch.
Spielverlauf und Spielziel
In Sentinels of the Multiverse übernehmen zwei bis fünf Spieler die Rollen von Superhelden und treten in gut 60 Minuten kooperativ gegen den, sich selbst steuernden, Bösewicht in einer vorher vereinbarten Umgebung an. Die Ziele sind dabei klar gesteckt. Last-Man-Standing. Entweder fallen alle Helden oder es gelingt den Bösewicht zu stürzen.
Das Regelwerk bei Sentinels of the Multiverse präsentiert sich dabei verblüffend simpel und lässt sich zutreffend auf einer DIN A5 Seite zusammenfassen. Hierbei kommen Bösewicht, Helden und Umgebung nacheinander im Uhrzeigersinn, mit dem Bösewicht startend und der Umgebung endend, zum Zug.
Die Aktionen des Bösewichtes beschränken sich hierbei darauf eine Karte seines individuellen Bösewicht-Decks zu ziehen und ins Spiel zu bringen, sowie Aktionen bereits ausliegender Karten und/oder standardisierte Aktionen seiner Charakterkarte zu aktivieren und auszuführen.
Wurde dies erfolgreich abgehandelt, lässt sich der Zug eines jeden Helden ebenfalls simpel zusammenfassen: Zunächst spielt der Heldencharakter eine seiner Handkarten und führt evtl. auftretende Effekte aus, danach aktiviert er noch eine individuelle Heldenpower von seiner Charakterkarte oder einer bereits ausgespielten Handkarte. Der Heldenzug endet mit dem Nachziehen einer neuen Karte vom individuellen Heldendeck.
Waren alle Helden am Zug, kommt die Umgebung ins Spiel, welche ebenfalls eine Karte des individuellen Decks aufdeckt und evtl. auftretende Effekte ausführt.
Und schon sind wir wieder am Anfang. Dies geht so lange bis der Bösewicht besiegt, die Helden kampfunfähig sind oder einer weint. Klingt einfach? Ist es auch - bis zu einem gewissen Grad. Warum? Das erzähle ich Euch im Fazit.
Resume
Ich beginne dieses Fazit mal mit einem starken Satz: Sentinels of the Multiverse ist kein Spiel. Es ist ein Erlebnis. Ufff. Ob ich diesen Hammer jetzt noch erklären kann? Ich will es versuchen.
Fangen wir zunächst mit den Komponenten an. Dazu muss erwähnt werden, dass ich das Spiel in seiner "Enhanced Edition" getestet habe. Betrachtet man diese, dann kann es eigentlich keine zwei Meinungen zu den Komponenten geben. Sucht man ein Superheldenspiel und erwartet eine grafisch perfekte Umsetzung. Dann ist man hier richtig. Die Karten sind griffig, stabil und absolut wundervoll illustriert. Grelle bunte Farben und Layout unterstreichen das Superheldenthema perfekt. Allein die Charakterkarten, welche aussehen wie das Cover eines Comics. Wundervoll.
Die Box der "Enhanced Edition" ist ebenfalls beste Qualität. Ein Inlay ala Thunderstone ermöglicht die perfekte Aufbewahrung nicht nur für das Basisspiel, sondern auch für zahlreiche Erweiterungen. Erste Sahne! Besser geht es nicht. Für einen Handelspreis von knapp 40,00 EUR erhält man also Qualität vom Feinsten.
Kommen wir aber nun zum spielerischen Aspekt. Wie bereits am Anfang angedeutet: Sentinels of the Multiverse ist für mich kein wirkliches Spiel. Zu spartanisch sind die Entscheidungen in einem Spielerzug. Der eigene Zug bietet dem agierenden Spieler nämlich quasi keine Entscheidung bzw. diese Entscheidung ist so offensichtlich, dass es in diesem Sinne nicht wirklich als solche bezeichnet werden kann. Aus seinen wenigen Handkarten die einzige auszusuchen, welche man ausspielt ist meistens ein "No-Brainer". Es gibt nämlich tatsächlich Charaktere, welche fast ausschließlich Schadenskarten haben. Sich zu entscheiden, ob man nun die Karte mit dem Dreier- oder dem Zweierschaden ausspielt, ist nicht wirklich knifflig. Selbst das Auswählen der zu aktivierenden Power bietet keine größere Herausforderung. Meistens entfällt diese aufgrund mangelnder Auswahlmöglichkeiten ohnehin. Dadurch entwickelt das Spiel einen enormen Glücksfaktor, denn man ist auf das Nachziehen der einzelnen neuen Karte angewiesen.
Der Zug des Bösewichtes entwickelt sich, je nachdem welcher Bösewicht im Spiel ist, entweder zum gleichen "No-Brainer" wie der Zug der Helden (man deckt eine Karte auf und führt den Effekt aus) oder zu einem Exkurs in den Matheunterricht der fünften Klasse kombiniert mit einem Memoriespiel. Es gibt nämlich einige Bösewichte, welche zahlreiche Handlanger ins Spiel bringen. Diese haben Sonderfähigkeiten - genau wie der Bösewicht, welche im richtigen Zeitpunkt aktiviert werden müssen und an welche selbstverständlich gedacht werden müssen.
Hier mal ein Beispiel zum besseren Verständnis: Der Bösewicht ist am Zug. Seine Charakterkarte besagt, dass zu Beginn seines Zuges (also vor dem Ziehen der Karte) eine Karte vom Bösewichtstapel aufgedeckt werden muss. Zusätzlich liegen bereits drei Handlanger aus. Einer davon (mit der Unterbezeichnung Citizen) besagt, dass zu Beginn des Bösewichtzuges jedem Helden ein Schaden zugefügt werden soll. Ein weiterer Handlanger besagt, dass der Schaden, den Handlanger zufügen um eins erhöht wird. Der dritte Handlanger besagt, dass Schaden, der von Citizens zugefügt wird, sich zu Feuerschaden entwickelt. Ein Held hat die Fähigkeit, dass er bis zu einem Feuerschaden ignorieren kann. Die derzeit aktive Umgebungskarte besagt, dass sämtlicher Schaden um drei erhöht wird. Frage: Wie viel Schaden nimmt jeder Held? Antwort: Immer mit der Ruhe ich muss das nochmal in Ruhe durchlesen. Ergebnis: Wir sind jetzt schon verwirrt, ohne dass die Startfähigkeit des Bösewichtes überhaupt ausgeführt wurde bzw. dessen Zug überhaupt erstmal so richtig begonnen hat. Denn wir erinnern uns: Die Regeln sind simpel. Karte ziehen und ausführen und weiter.
So einfach wie die Regeln sind, so schwer ist es bei Sentinels of the Multiverse an jedes Detail zu denken. Vielleicht ist es auch gerade das, was das Spiel überhaupt spielbar macht. Kämen zu den hunderten an Fähigkeiten, welche man im Auge behalten muss, auch noch komplexe Regeln mit strategischen Entscheidungen - man hätte überhaupt keine Gehirnzelle mehr frei um sich diesen Entscheidungen zu stellen, da man permanent damit beschäftigt ist die zahlreichen Fähigkeiten im Auge zu behalten und korrekt umzusetzen. Nur gut, dass die "Enhanced Edition" mit Markern daherkommt, welche den Spielern als Gedächtnisstütze helfen. Nur doof, wenn man auch noch daran denken muss sie wieder zu entfernen, wenn der Effekt vorüber ist. Ansonsten verwirrt man sich nur umso mehr.
Das klingt tatsächlich, als ob Sentinels of the Multiverse bei mir durchgefallen wäre. Ist es aber nicht. Es bietet zwar keine wirklichen Entscheidungen und man fühlt sich eher vom Spiel gespielt, als dass man das Spiel spielt und wirkliche tiefgreifende Entscheidungen trifft, welche ein "High-Five" bei Bestehen der Mission rechtfertigen, aber das Spiel fasziniert trotz allem. Warum?
Die Vielfalt der Superhelden (jeder kommt mit einem vollkommen individuellen Deckt mit wunderschönen Karten), die Vielfalt der Bösewichte, die Vielfalt der Umgebungen garantieren ein immer neues (okay Spielerlebnis wäre jetzt unangebracht, siehe oben)...... ERLEBNIS. Sentinels of the Multiverse ist wie ein interaktiver Film. Man taucht ein in die einzigartig inszenierte Welt der Superhelden, interagiert mit der Geschichte und ist der Meinung, dass man dennoch irgendwie Einfluss nimmt. Das Spiel schafft hier eine phantastische Illusion, welche ablenkt von fehlenden tiefgreifenden, wichtigen Entscheidungen und jeden Spieler gerne in den Matheunterricht der fünften Klasse zurückversetzt - irgendwie zumindest.
Vielen Dank an Greater Than Games für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares
sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek.com bzw. vom jeweiligen Verlag (hier Greater Than Games)